Abteilung VIII.
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Stellung der Gotik auf mannigfache Art und Weise
erklärten. Wir halten daran fest und versuchen
nun, stets auf diese Grundlagen eingestellt, das
Wesen und den Werdegang der Gotik an Hand
der Tafeln unseres Werkes genauer kennen zu
lernen. (Zu S. Yved vgl. Tafel 2 u. 6.)
Tafel 2. Grundrisse frühgotischer
Kirchen.
Fig. 1. Franziskanerkirche S. Georg in
Eßlingen, jetzt nur noch der Chor erhalten. Früh
gotische Basilika mit drei flachgedeckten Schiffen
in der Art der Bettelordenskirchen. Ein Lettner
schloß das Langhaus in der ganzen Breite ab. Chor
Ende des 13. Jahrhunderts, Langhaus etwas älter.
Fig.2. Minoritenkirche in Regensburg, wie
die vorige eine flachgedeckte Basilika; der künst
lerische Ausdruck wird in schönen Verhältnissen und
Profilierungen der Arkaden gesucht. Viel Ähnlichkeit
auch sonst mit der vorigen Kirche in Eßlingen.
Auch der Chor wie dort gewölbt, mit 5 /s-Schluß.
Fig. 3. Dominikanerkirche S. Paul in Eß
lingen. Einfache süddeutsche Anlage ohne Quer
schiff, Mittelschiff ohne Triumphbogen und ohne
Erhöhung mit dem Chor verbunden. Gewölbte
Basilika, wie Fig. 4. »Bei großer Ähnlichkeit der
Behandlung sind meist die Dominikanerkirchen
gewölbt, die der Franziskaner flachgedeckt.« (Für
den Aufbau vgl. Tafel 5, Fig. 9—16.)
Fig. 4. Dominikanerkirche in Regensburg.
Wie die vorige eine querschifflose Basilika. Im
Osten drei Apsiden mit 5 /»-Schluß. (Für den Auf
bau vgl. Tafel 5, Fig. 1—8).
Fig. 5. S. Leu d’Esserent. Westteile noch
ganz romanisch, um 1140. Chor bereits gotisch,
1170—1180, nach dem Vorbild von S. Denis, mit
Kapellenkranz zwischen den Streben des polygo
nalen Chors, romanisch ist noch die Anlage von
Osttürmen, eine eigentliche Vierung fehlt, d. h. sie
ist unterdrückt.
Fig. 6. Notre Dame zu Dijon (vollendet 1240).
Chor ohne den im Burgundischen üblichen Ka
pellenkranz, polygonal mit Seitenapsiden. Langhaus,
Vierung und Vorchor mit sechsteiligen Gewölben.
In der burgundischen Gotik bleibt der Zentralturm
noch beliebt. Charakteristisch auch große offene
Vorhalle. Westtürme vermutlich nicht beabsichtigt.
Fig. 7. S. Yved zu Braisne. Geweiht 1216.
Besonders interessant ist hier die Lösung der
Kapellenanlage hinter dem Querschiff an Stelle eines
um den Chor herum gelegten Kapellenkranzes
(vgl. Fig. 5). Dadurch wird hinter der Vierung
eine bedeutende Weiträumigkeit erreicht. Die
den Winkel ausfüllenden Kapellen haben die
Höhe der Seitenschiffe, während der Chor selbst
die volle Höhe des Mittelschiffs beibehält. In dieser
Anlage steckt ein Stück Zentralbau (vgl. Tafel 3,
Fig. 3).
Fig. 8. S. Elisabeth zu Marburg. (1235—1283,
Türme erst 1314—60). Merkwürdige Vereinigung
einer zentralisierenden Osthälfte mit dem als Hallen
kirche ausgebildeten Langhaus, aber »neben der
Liebfrauenkirche in Trier ist die Elisabethkirche
der früheste Bau Deutschlands in einheitlicher
und abgeklärter gotischer Gedankenentwicklung«.
(Zum Aufbau vgl. Tafel 25.)
Nur die Beispiele Fig. 1—4 zeigen deutsche —
»vereinfachte« — Gotik. Die anderen aber lassen
erkennen, wie vielfache Lösungen gerade der Ost
hälfte vor allem in Frankreich zu Anfang der Gotik
noch versucht wurden (vgl. auch Tafel 4).
Tafel 3. Grundrisse gotischer Kirchen.
Fig. 1. S. Stephan in Wien, ln Österreich ist
der Typus der Hallenkirche vorherrschend, wahr
scheinlich im Anschluß an ältere bis in die roma
nische Zeit hineinreichende ähnliche Anlagen. Ent
sprechend dieser Eigentümlichkeit ist das Grund
rißschema einfach, das Querschiff fehlt, der drei-
apsidiale Abschluß ist wie in Bayern üblich. Der
Chor von S. Stephan ist 1340 vollendet, das Lang
haus wurde 1359 begonnen, doch erst in der Mitte
des 15. Jahrhunderts in reichen spätgotischen
Formen ausgeführt. Bemerkenswert ist die sehr
weite Pfeilerstellung. Gegen Westen schloß der
Bau sich an eine ältere romanische Turmanlage
an, während ein gotisches Turmpaar zu beiden
Seiten die Stelle eines Querschiffs betont.
Fig. 2. Dom in Regensburg. Entwurf des
Ganzen, Nebenchöre, Hauptchor bis zum Gurt
gesims und die östlichen Joche im südlichen Seiten
schiff seit 1275. Der Plan erinnert an die für
Bayern in der romanischen Zeit übliche Anlage
(Regensburg S. Emeran, Moosburg u. a.) mit drei
Apsiden, kann aber auch auf Burgundisches zurück
geführt werden (S. Benigne in Dijon). Die Ver
kümmerung des Querschiffs zeigt hier schon die
Reife der gotischen Zeit. Die geplante Anlage eines
Vierungsturmes ist unterblieben. Auch die Zerlegung
der Wand in zwei Schalen ist typisch für den reifen
Stil, wie er sich in Burgund und Lothringen zeigt.
Dort beginnt die Anordnung von Umgängen um
das Querschiff zunächst als Verbindung der Em
poren, beim Wegfall derselben wird der Umgang
in das Triforium verlegt (vgl. Tafel 22 f.).
Fig. 3. Katharinenkirche zu Oppenheim.
Das Motiv von S. Yved zu Braisne (Fig. 7, Tafel 2)
ist hier abgekürzt wieder verwendet zur Erweiterung
des Langchors. Querschiff und Vierungsturm sind
wie dort, aber alles kleiner und bescheidener an
geordnet. Es ist nicht ganz unwahrscheinlich,
daß der Baumeister der Ostteile das Vorbild ge