Full text: Erläuternder Text (Textband) (1905)

Abteilung VIII. 
zeigt dann den Schnitt am Gewölbekämpfer. Die 
Last der Hochwand ist stark aus dem Mittel ver 
schoben, wird aber durch die abgespaltete Wand 
und Pfeilermasse unter dem Strebebogenansatz 
und überhaupt durch die ganze Anordnung der 
Gewölbe und ihrer Widerlager im Gleichgewicht 
gehalten. Es ist eine kühne Bauart, wo nicht der 
einzelne Teil eines Pfeilers oder einer Mauer für 
sich, sondern nur im ganzen Zusammenhang fest 
steht. Eine solche Bauart verlangt eine ganz be 
sonders vortrefflich ausgebildete Steinmetzkunst. 
Alles beruht auf dieser; der Maurer hat hier nichts 
mehr zu tun. Und tatsächlich ist auch mit den 
Aufgaben die Steinbehandlung zu einer Vollendung 
entwickelt worden wie nie zuvor in Deutschland. 
Tafel 17. Dom zu Köln, Grundrisse der 
nördlichen Chorjoche. Man sieht hier über 
sichtlich die Anordnung der Strebepfeilermassen in 
verschiedenen Schnittebenen. Das Übergewicht 
der Hochwand und des über dem mittleren Seiten 
schiffpfeiler stehenden Strebepfeilers (vgl. Fig. 1, 
Tafel 14 u. 15) wird nur ausgeglichen durch die 
nach unten wachsende Masse des äußeren Strebe 
pfeilers. 
Tafel 18 u. 19. Dom zu Köln, Strebe 
pfeiler und Strebebogen. Der Teilschnitt 
zeigt noch eindringlicher die Hinausverlegung der 
stützenden Teile, wodurch dem Beschauer im In 
nern jeder Gedanke an die stoffliche Bedingtheit 
entzogen wird. Er zeigt auch die Kühnheit der 
Bauart, die Schwierigkeiten der Wasserabführung 
bei der gewählten Dachform und den^Reichtum in 
der Bildung der Fensterprofile und der Strebebogen. 
Ihr Maßwerkaufsatz wird förmlich zum Gitterträger. 
Tafel 20. Dom zu Köln, oberer Schluß 
der Mittelschiffenster. In der Gotik ist die 
konstruktive Form völlig zur Schmuckform ent 
wickelt worden. Das Maßwerk belebt die riesige 
von außen sonst tot wirkende Fensterfläche, es 
wächst darüber hinaus in die spitzen Giebel der 
Wimperge, die wohl ursprünglich als Dachmotiv auf 
zufassen sind, das an vortretenden Portalen entstan 
den ist und dort auch häufiger vorkommt. Das Maß 
werk setzt sich auch fort in einer Brüstung auf dem 
Dachrand, die zwischen die hochragenden Fialen 
eingespannt ist. Seine Zeichnung ist überaus streng, 
fast hart, es hat nichts von jener in Deutschland 
im 14. Jahrhundert so beliebten flüssigen Linien 
führung, sondern ist gleichweit von dieser spä 
teren Art wie von der frühesten, noch rein kon 
struktiven Teilung (vgl. Tafel 76) entfernt, noch 
streng symmetrisch. Das übrige Ornament tritt 
ganz zurück. Für die Wirkung des Ganzen ist es 
fast bedeutungslos. Die Gotik hat zu einer .gefühls 
mäßigen Erläuterung« eines geschmückten Teiles 
keine Möglichkeit, weil nur die starre Notwendigkeit 
vorherrscht. Das gotische Ornament ist nur eine 
Vervielfachung des starren konstruktiven Gerüstes. 
Tafel 21. Doppeljochbildung des Schiffes 
von Notre Dame zu Dijon. Vollendet um 1240. 
Burgund, das für den Süd westen Deutschlands 
in der romanischen Zeit maßgebend war, das durch 
seine Entwicklung zum spätromanischen sog. Über 
gangsstil der Gotik vorarbeitete, hat etwa bis 1220 
seine eigentümliche geschlossene Bauüberlieferung 
und Absicht bewahrt. Dann aber kamen die 
Einflüsse aus dem Gebiet der Picardie und Ile de 
France, dem eigentlichen Heimatland der franzö 
sischen Gotik, und veränderten das Bild stark. So 
kommt es, daß Notre Dame de Dijon kein bur- 
gundisch-romanischer Bau mehr ist, aber auch noch 
kein echt französisch gotischer. Als burgundisch 
sprechen wir an: die Vorliebe für frühgotische For 
men neben einer höchstentwickelten Konstruktions 
kunst, die breit gelagerten Verhältnisse und das 
Streben nach einem Ausgleich zwischen vertikaler 
und horizontaler Gliederung. Hätte die eigentlich 
französische Gotik als der stärkere Ausdruck des 
Zeitstils nicht gesiegt, Burgund würde wohl nie zu 
einer gleich vollkommen entwickelten Gotik durch 
gedrungen sein, sondern hätte sich bei seinen 
bescheidenen Verhältnissen mehr mit einem for 
malen Ausgleich begnügt, statt die Folgen aus den 
konstruktiven Möglichkeiten zu ziehen. Fig. 1 
zeigt die hochentwickelte kühne Steinmetzkunst 
im Aufbau der Hochwand, deren Querschnitt den 
des Rundpfeilers übersteigt und in den Pfeiler 
achsen sogar mehr als um das Doppelte Über 
tritt. Auch die Bildung des erhöhten Strebe 
pfeilers zeigt, wie verwegen konstruktiv man 
dachte. Man bemerkt, daß bei der Strebenanord 
nung die Seitenschiffgewölbe hier wesentlich mit- 
wirken müssen; ohne diese würde die Hochwand 
trotz des Strebebogens nicht festhalten. Die Schild 
wand ist in Schalen zerlegt. Da die äußere die 
Fenster enthält, sind diese nicht an die Höhe des 
Schildbogens gebunden, sondern völlig selbständig 
entwickelt. 
Tafel 22 u. 23. Jochbildung des Domes 
zu Regensburg. Bauzeit 1275 bis zum Aus 
gang des Mittelalters. Chor vor 1313 vollendet. 
Bei einem Vergleich mit dem Vorhergehenden er 
sehen wir sofort, daß auch hier die Kenntnis der 
französischen Gotik dem Baumeister die Mittel 
zum Ausdruck gegeben hat. Am Chor ist die 
zweigeschossige Anordnung der Fenster beibe 
halten, trotzdem kein Umgang oder Kapellenkranz 
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