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VI. Bauperiode.
Zweites Kapitel.
Freudenstadt— Schiltaeh.
Technischer Referent: Morlok; Administrativreferenten Rank, nachher Kaltenmark; Bau
periode: 1883—1886.
Wie schon vorgetragen, war die Richtung der Kinzigbahn vor deren Projektbearbeitung
von den beiderseitigen beteiligten Nachbarstaaten durch Staatsvertrag vom 29. Dezember 1873 i n
allgemeinen Umrissen, über Lossburg, Alpirsbach, Schiltaeh nach Hausach in der Art festgestellt,
dass Württemberg bis Schiltaeh, Baden von Schiltaeh bis Hausach zu bauen und ebenso zu be
treiben hatte.
Dieser Staatsvertrag wurde sodann von seiten der Stände mit Bestimmungen genehmigt,
an welche sich bei Bearbeitung der Pläne zu halten war, so dass sich also der Techniker nach
gebundener Marschroute zu bewegen hatte. Hinsichtlich der Anlage der Bahn ist hervorzuheben:
In ungefähr gleicher Höhe sind Freudenstadt und Lossburg gelegen und von dem einen zum
andern Platz könnte mit einigen Gefällen und Steigungen oder auch annähernd horizontal ge
langt werden.
Nach Einrechnung der Bau- und eventuellen Betriebskosten wurde aber zugleich mit Rück
sicht auf die bekannten Übeln Eigenschaften des thonigen und verworfenen Materials der Hochebene
zwischen Lossburg und Freudenstadt für angezeigt erkannt, die Bahn annähernd horizontal anzulegen.
Der jähe Abfall des Kinzigthaies von der Lossburger Höhe ab hatte Anlass gegeben, die
Rahnlinie an die tiefste Einsattelung des Bergrandes zu ziehen; dort hätte bei normalen unter gleich-
massigen Bodenverhältnissen durch einen Tunnel einfachste und billigste Einfahrt in das Kinzigthal
gewonnen werden können.
Die hierauf vorgenommenen Grunduntersuchungen zeigten aber eine Erdspalte und Ver
werfungen, welche von dem Bahnprojekt mit seinem Tunnel betroffen waren, wie solche bei
Rechberghausen und nächst Rohr bei dem Eisenbahnbau angegraben waren und welche solch reich
lichen Wasserzudrang in Aussicht stellten, dass derselbe für den Tunnel verhängnisvoll zu werden
drohte! So war der Projektant genötigt, den Tunnel an andere und mit ihm zugleich die Bahn an
seitliche Stelle zu verlegen.
Bei dem Einlauf der Bahn in das Kinzigthal durch diesen Tunnel tritt tief unter dem Visier
der Bahn die Kinzigquelle aus der Thalschlucht und senkt sich in extremen Gefällen 1 : 20—36 in
der Niederung des Thaies hin. Minder rasch fällt die Bahn ab — mit Gefäll von 1 : 42—1 : 45 —
und erhebt sich deshalb mehr und mehr über die Thalsohle. Auf ihrem Wege von Lossburg
nach Alpirsbach konnte die Bahn teils in das Gehänge des Kinzigthaies eingesenkt, teils demselben
— meist schlüpfrigem Bergschutt aus dem Totliegenden — aufgesetzt werden, womit die Befestigung
vieler zweifelhaften Stellen nötig wurde. Unterhalb Alpirsbach war nach dem generellen Projekt
die Bahn nicht mehr an die Bergwand anzulegen. Sie war vielmehr nach Massgabe der Hochwasser
stände der Thalsohle aufzusetzen.
Mit sanfteren Gradienten konnte sie gelegt werden, wenn die Gefälle des Thaies in eines
zusammengefasst worden wären. Da hierdurch aber grosse Ausgaben nötig geworden und an der
Bespannung der Bahnzüge nichts gewonnen worden wäre, wurden die Steigungen unter Einhaltung
des Maximalgradienten lediglich dem Terrain angepasst, der Kostenersparnis wegen das undulierende
System eingehalten.
Hiermit war gleicher Maschinendienst zwischen Alpirsbach—Lossburg und Alpirsbach—
Schiltaeh eingeleitet, wie derjenige ist, der die Gefälle 1 : 43 und x : 45 zwischen Lossburg und
Alpirsbach bildet.