II. Das Volk.
i. Die historische Entwicklung der Chinesen bis zur
Neuzeit (1800).
Die Zusammensetzung und Verbreitung des chinesischen Volkes
kann ohne eine wenigstens summarische Übersicht über seine ge
schichtliche Entwicklung nicht verstanden werden.
Bis vor wenigen Jahrzehnten kümmerte man sich in Deutschland,
einige ganz vereinzelte Spezialforscher ausgenommen, gar nicht um
die Geschichte der Chinesen. Die „Weltgeschichte“ des Altmeisters
Ranke schließt sie im Eingang von der Betrachtung bewußt aus mit
der Begründung, daß sie für den fortschreitenden Entwicklungs
gedanken der Menschheit nichts beigetragen habe. Noch bezeichnen
der ist, daß die so weit verbreitete „Allgemeine Geschichte in Einzel
darstellungen“, herausgegeben von W. On cken ,von seinen 47 dicken
Bänden zwar den Geschichten der Ägypter und Inder, der Babylonier,
Assyrier und Phönizier umfangreiche Teile widmet, aber die Chinesen
vollkommen unbeachtet läßt.
Erst ganz neuerdings ist dies anders geworden. Werke wie die
Helmoltsche und die Pflugk-Hartungsche (Ullstein) Welt
geschichte lassen auch die chinesische Geschichte, erstere durch
M. v. Brandt, letztere durch Conrady, behandeln, und auch um
fangreichere Spezialwerke stellen sie dar, wie: Schülers Geschichte
der Chinesen, Krauses Geschichte Ostasiens.
Hätte zwar auch schon vorher für den tiefer Denkenden die Ge
schichte Ostasiens, insbesondere ihres geistig führenden Volkes, der
Chinesen, ein besonderes Interesse verdient, nicht trotz ihrer Selb
ständigkeit, sondern gerade wegen dieser — denn dadurch gerade
wird sie eine unermeßlich wertvolle Urkunde für die Erforschung der
Gesetze menschlicher Entwicklung überhaupt, gewissermaßen ein be
sonderes Experiment allergrößten Maßstabes —, so ist doch bei der
großen Menge dies späte Erwachen des Interesses immerhin begreif
lich, denn die ostasiatische Geschichte ist ja in der Tat bis vor kurzem
so gut wie völlig abseits von der abendländischen verlaufen, wie ein
ganz getrennt fließender Strom. Erst seit wenigen Jahrhunderten hat