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nische Spradie, obwohl sie linguistisch ganz anders ist als die
chinesische, mit chinesischer Schrift geschrieben wird; und die Ja
paner haben schon damals bei der Aneignung dieser Kultur die
selbe erstaunliche Übernehmungsfähigkeit gezeigt, wie in der
Gegenwart bei der Aneignung der Vorzüge der abendländischen
Zivilisation.
Trotzdem ist es aber falsch, nun alle Ostasiaten in einen Topf
zu werfen, wie es bei uns, auch bei den sogenannten Gebildeten,
noch fast immer geschieht. Nichts ist falscher, als Chinesen und Ja
paner für ganz identisch zu halten. Um die Verschiedenheit beider
Völker für jeden an völkerkundliche Unterscheidungen Gewöhnten
mit einem einzigen Beispiel zu beleuchten, sei nur darauf hinge
wiesen, daß der Chinese im allgemeinen wie wir auf Stühlen sitzt,
der Japaner aus dem Volke dagegen auf seinen Fersen hockt. Der
Japaner hat im Mittelalter bei der Übernahme der chinesischen
Gesittung genau so, wie er es heute mit der europäischen macht,
nur das übernommen — das aber mit der größten Energie —, worin
er eine wirkliche Überlegenheit anerkannte, daneben aber seine
nationale Eigenart vollkommen gewahrt. So hat sich trotz dieser
Übernahme das japanische Volk ganz anders entwickelt als das
chinesische. Es war bis zu seiner Erschließung in der letzten Hälfte
des vorigen Jahrhunderts ein Volk von feudalistischer Verfassung
und aristokratischer Gesellschaftsstruktur, was auch heute noch
hindurchleuchtet. Ein militaristisches Volk mit ausgesprochen ritter
lichen Idealen, einem Sdhwertadel und einem alle Volksteile um
fassenden, geradezu religiösen Staats- und Vaterlandsgefühl. Der
Kaufmann galt bis vor kurzem dort ungefähr ebensoviel wie bei
uns im Mittelalter. Ganz umgekehrt ist das chinesische Volk, trotz
seines absoluten Kaisertums, seit zwei J ahrtausenden durchaus
demokratisch eingestellt; einen Adel unserer Art gibt es überhaupt
nicht; tatsächlich kann dort jeder alles werden, weitgehendste
Selbstverwaltung herrscht in Gemeinde-, Stammes- und Familien
verbänden. Seine Grundanschauung ist ausgesprochen unmilitärisch,
die Künste des Friedens haben stets höher gegolten als die des
Krieges. Der Gelehrte, der Kaufmann galten alles, der Soldat —
von den anormalen Zeitläuften der Bürgerkriege abgesehen — sehr
wenig. Auch ein eigentliches Vaterlandsgefühl kannte der Chinese
bis vor kurzem nicht. Nationalgefühl ist Rivalitätsgefühl; der
Chinese war aber infolge der Bewunderung, die seine Kultur über
all genoß, und der Größe seines Weltreiches durchaus universali-