Full text: Geschichte der Stadt Stuttgart

Vorn 16. bis ins >y. Jahrhundert 
franjiska erwarb, schließlich der Erbprinz Friedrich, und nach ihm Kronprinz Cdtlbelm 
bewohnte (das jetzige auswärtige Ministerium). 6s ist nicht zu verwundern, daß 1713 
„ungebührliches Räsonnieren über den Regenten" untersagt werden mußte; noch weniger, 
was von pflichttreuen, unerschrockenen Geistlichen der Stadt aus jenen bösen Cagen be 
richtet wird. Der Oberhofprediger drlfperger predigte am Karfreitag ernst und freimütig, 
sodaß der Herzog ihm sagen ließ: er müsse am Sonntag widerrufen, er sei schon willens 
gewesen, ihn von der Kanzel herunterzuschießen. Qrlfperger antwortete, widerrufen könne 
er nicht, müsse daher Seiner Durchlaucht überlassen zu tun, was dieselben für gut finden. 
6r wurde verhaftet, der fürst legte das Codesurteil dem Geheimenrat v. Schütz zur Unter 
schrift vor, aber dieser übergab Hmt und Degen und erklärte, daß er keine Blutschulden 
unterschreibe. Der Hofkaplan sßalblanc verweigerte der Grävenit; das heilige Abendmahl und 
einer seiner Dachfolger, Oechslin, soll es gewesen sein, der auf ihr Verlangen, in das Kirchen 
gebet eingeschlossen zu werden, die denkwürdige Antwort gab: es geschehe regelmäßig in der 
siebenten Bitte (Erlöse uns von dem Qebel). Der Spitalhelfer Ankaufs und der Stiftshelfer 
frisch wurden wegen „schlimmer Reden“ über den Herzog und die Grävenit; entlassen, ohne daß 
das Konsistorium es verhindern konnte; aber dieses machte dem verblendeten fürsten wiederholt 
Vorstellungen und „legte es ohne alle Hofkunft feinem Gewissen recht nahe, ob er es wohl 
wagen wollte, in diese Verbindung verflochten das heilige Abendmahl zu genießen, betrachtete 
auch die Mätresse selbst als exkommuniziert". 
Datürlich fehlte es oft an Geld. Es wurde daher 1713 eine Gesellschaft JJraeliten zu 
„Hofjuden" angenommen, trotz der dringenden Vorstellungen der Landschaft, daß ihre Ein 
führung eine Anzeige von dem äußerst verdorbenen Zustand eines Landes sei. Ein zweifelhaftes 
Mittel, dem ßahrungsftand aufzuhelfen, war die Neuerung, daß jetzt fast alle Metzger und 
Becken, auch viele Hofbediente Mein ausschenkten, während früher beeidigte Bürger gegen 
Bürgschaft ihren Mitbürgern den Mein verzapften, wofür sie einige Lichter und 48 Kreuzer vom 
Eimer erhielten. Dabei hatte die Zahl der Meinberge so zugenommen, daß sich der Magistrat 
an die Regierung mit der Bitte wandte, dem „allzu vielen und indiftinkten" Meinbau Ein 
halt zu tun, weil viel schlechter und saurer Mein erzeugt werde, den man nur zur Verderbung 
des bessern brauche, wodurch der Kleinhandel in Verfall geriet. 
Mie ein Hohn auf die verlassene Residenz klingt es, wenn der Herzog 171g befiehlt, der 
Karneval solle den Beamten, Kauf- und andern ehrbaren Bürgersleuten angesagt und geboten 
werden, sich auf der Redoute bei Vermeidung der allerhöchsten Angnade fleißig einzufinden. 
Es half nichts, der franke Johann Georg Keyßler, Hofmeister zweier Barone von Bernftorff in 
Cübingen, fand 1729 das herrliche Lufthaus, worin ehemals die Redouten gehalten worden, so 
öde und verlassen wie die ganze Stadt. Man dachte daran, diese für den Verlust der Kanzleien 
durch Verlegung der Universität dahin zu entschädigen, wie der Diakonus Cafingervon Cübingen 
an seinen freund Bilfinger nach Petersburg schrieb: „Jn Stuttgart ist ein großes Lamentieren, 
weil nunmehr die ganze Kanzlei hinaus muß auf Ludwigsburg. Jn Cübingen würde der Lärm 
ebenso groß werden, wenn die Universität auf Stuttgart müßte, welche Zeitung sich wieder 
geregt hat. Einige halten’s zwar für abenteuerlich, ich weiß aber wohl, daß man bei Hof auf 
den Gedanken gekommen, auch daß der Herr Kanzler deswegen auf Stetten im Remstal (das 
der Grävenit; geschenkt war) zitiert worden, mit ihm davon zu sprechen.“ Es wurde leider 
damals so wenig wie bei den spätern Anläufen etwas daraus. 
Bei alle dem blieb das Volk in einer staunenswerten Gemütsverfassung. Der Berner 
Albrecht v. Haller, der nachher berühmt gewordene Naturforscher, studierte 1724 und 25 in 
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