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Weberchronik von Clemens Jäger
ehe kam exempel an ir haben möchten, hat sie ir selbs ain straff zu
vollbringen aufgesetzt und ain messer, so sie haimlich bei ir gehapt,
zu iren brüsten eingestochen, daß sie ir blut verzört, vor onmacht auf
die erden gefallen und von stundenan gestorben ist.
Als nun soliches beschehen, haben ir vatter und gemahel sampt s
iren dartzu berufften frainden ain große, schwere klag und belaidigung
darumb entpfangen und den Sextum treffenlich darumb gescholten
und auch darneben ob der bestendigen hertzenhafftigkait Lucretiens
große Verwunderung gehapt. dardurch ainer, Junius Brutus genant,
wölicher die königkliche regierung von wegen irer gewaltsamkait und i»
tirannei über die maßen hasset, hoch beweget ward; dann umb daß
er von dem könig Tarquinius zufriden belibe, hat er sich ainer
wohnwitzigen weis angenomen, dann er im [24b] zuvor ainen bruder
unrechtlich getobt hett. diser Junius Brutus fieng an und tröstet die
fraintschafft Lucretiae, wöliche traurend und gantz laidig umb sie n>
herumb stunden, und zaiget in an die tirannei des königs und seines
sons. und ermanet sie, wie beschwerlich dem römischen volck das
königkliche regiment were, was stoltz, Übermut, gesarlichkait und
tirannei sie imerzu von inen zu gewarten hetten. so wurden ire kinder
imerzu von inen veracht, dargegen die iren, so mit vil untugent be- 20
laden, jederzeit in hohen ehren gehalten, sie mießten auch in kriegs-
und fridszeiten allemalen nach irem gefallen leben, und es were der
statt Rom, dem volck und senat vil nützlicher und besser, domit sie
solicher tirannei von inen entladen wurden, kamen könig in Rom
mer zu haben, sonder dargegen ain gmaine, freie regierung in der «
statt Rom anzurichten, in wölicher fteien regierung sie die magistration
und oberkait zu setzen und zu entsetzen macht haben möchten, und
nicht jedem tirannen, so durch die gepurt zu dem regiment käme,
gehorsamen.
Mit disen und dergleichen Worten bracht es Brutus dartzu, daß so
sie samentlichen das messer aus dem todten leib der werden Lucretien
zöchen und ainen harten aidt darauff schwuren, mit leib und gut
ainander beraten und beholfen zu sein und, solang ir leib und leben
weret, ainander nicht zu verlassen, so lang und vil, bis sie den könig-
klichen stand aus der statt Rom vertriben und ausgetilget hetten, und 35
daß sie den könig Tarquinium und Sextum, seinen son, in die statt
Rom nimermer einkomen lassen wollten, und zu fürderung dises
ires Vorhabens gab inen Brutus disen rat, daß sie den doten leib der