ARCHITEKTON ISCHE MONATSH EFTE
VI. Jahrgang
er überall durchdringen.
Vorläufig haben wir eine
solche Architektur erst in
verschwindend wenigen
Fällen aufzuweisen. Was
wir aber leider schon
haben, ist das inzwischen
Fertiggebaute, das Be-
stehende, das darum auch
nicht ohne weiteres ver-
schwinden wird und kann:
jene allerneuesten Ge-
bäude und Wohnkasernen,
Strassen und Stadtviertel,
welche eine rentenhung-
rige Speculation, als
Denkmäler unsterblichen
Stumpfsinns, sich selber
aufgerichtet hat.
Was sollen wir mit
dieser trostlosen Realität
anfangen, die das sensible
Auge tief verletzen muss?
Abdecken und herunter-
reissen geht nicht. An den
Formen ist nichts mehr zu
bessern. Wie wäre es, wenn
wir es einmal mit der Farbe
versuchten ?
Unser Leben braucht
die Farbe wieder. Für weite
Schichten derBevölkerung
unserer Städte könnten
bunt angestrichene Häuser
eine gute Schule des Auges
werden. Bunte Häuser;
ein- oder mehrfarbig an-
gestrichen, würden aus
ER
mancher finsteren Gasse
Häuser-
oder plumpen
masse mit
der Zeit ein
einigermassen fröhliches, freundliches Bild schaffen
können, wenn .sie nach einem einheitlichen, ver-
ständigen Plan farbig behandelt würden. Durch richtig
gewählte Anstriche kann ein solches Strassenbild
bald so verändert werden, dass nicht nur die einzel-
nen Gebäude in der Nähe angenehme Farbencontraste
abgeben, sondern auch in der Entfernung, durch die
perspectivische Verkürzung, zu harmonischen, leben-
digen »Farbenflecken« wirkungsvoll verschmelzen.
Skizze.
Fr. Matouschek, Wien.
Man. denke dabei in erster Linie an Strassen,
die nicht ganz gerade laufen, wie ‘sie namentlich
in den älteren Stadtvierteln grösserer und mittlerer
Städte vorhanden sind — wo ein Haus etwas vor-
springt, ein zweites mehr zurücktritt — wo die Biegung
der Häuserreihen schon von selbst zur Wirkung in
die Ferne einladet. Ich denke dabei z. B. an manche
unserer rasch emporblühenden Mittel-
und Provinzstädte in Deutschland. Denn
Fr. Matouschek, Wien.
An der Sache ist also einstweilen nichts zu ändern. Das Roth
ist da. Wie neutralisire und dämpfe ich es? Durch Gegensätze. Das
Nachbarhaus muss einen gedämpften, perlgrauen Anstrich erhalten,
oder dunkelolivengrün. Das dritte mag hellgelb sein; das vierte
dunkelbraun oder grau, das fünfte blau. Ein blau gestrichenes
Haus? Schauderhaft! Nur gemach! Das ist durchaus nicht so
schauderhaft. Es. braucht
ja ‘nicht gleich ein grelles,
gemeines Waschblau zu
sein.
Gibt es den sonst
gar kein Blau, hell- und
dunkel-, violett- oder grün-
lich-blau? Wir müssen nur
erst wieder den. Muth
haben, das vernachlässigte
oder "aus unbekannten
Gründen unerlaubte Blau
wieder unbefangen anzu-
sehen und auszunützen in
der Farbenscala des täg-
lichen Lebens, ähnlich wie
dassolange verpönte Grün.
Gerade hier wäre » Erlaubt
ist, was gefällt« am Platze,
nämlich was dem gesunden
Auge gefällt, welches un-
befangen das Farbige auf-
nehmen und zu harmo-
nischen Wirkungen brin-
gen kann.
Was einfache farbige
Gegensätze bedeuten, das
erkennt man leicht an kleinen Villen und Landhäusern,. die von
Grün umgeben sind. Die von heiteren und oft auch die architek-
tonischen Formen wohlwollend verdeckenden Baum- und Garten-
anlagen umgebenen Privathäuser in den Vorstädten und Villen-
vierteln geben Zeugnis dafür.
Wir müssen: hier von dem Gedanken ausgehen, dass es sich
nicht darum handelt, etwas zu verändern durch Zerstörung-dessen,
was da ist, sondern das einmal Vorhandene möglichst
zu verwerthen und annehmbar zu gestalten. Durch
Farbe kann man viel erreichen. Das Capitel von der
Erziehung zur Farbe sollte für die breiten Volk-
schichten auf der Strasse anfangen. Es kommt bei
solchen Dingen auf unermüdliches Anregen und Hin-
weisen an, auf die Ausdauer im Wollen und Wünschen.
Neu ‚ist dieser Vorschlag weniger, als er vielmehr
eine nothwendige Ergänzung unserer modernen Be-
strebungen, das Leben künstlerisch auszuweiten und
zu ‚durchdringen, sein muss. Gewiss haben Andere
schon vor mir dasselbe empfunden und ausgesprochen.
Wir müssen die Furcht vor der: Farbe in
unserer täglichen Umgebung überwinden. Sie hat eine
gewisse Verwandtschaft mit der Furcht vor dem
(Grundriss zu Tafel 31.)
Witz, . die .in. einigen höheren Regionen ' herrscht.
Humor und Farbe sind verwandte Wesensäusserungen.
Sie wirken stets erfrischend und sind darum für die
Erhaltung der Volksgesundheit nicht zu
entbehren. Die Wechselwirkung zwischen
nicht nur in den Haupt- und Residenz-
städten wachsen diese Etagewohnungen
ohne Erbarmen empor, jene zusammen-
hängenden Backsteinmassen, welche, in
festem Gefüge aneinandergebaut, einer
Strasse den lastenden, niederdrückenden
Charakter geben. Von einer wirklichen
Schuld oder Versäumnis’‘ kann man. da-
bei auch nicht ohne weiteres reden, da
diese Häuser dem unabweisbaren Ver-
langen nach Raumausnützung entsprechen
und man hier schon zufrieden sein muss,
wenn sie nur halbwegs gesund und rein-
lich sind. In diese Massen würde durch
lebhafte Farbengegensätze mit verhältnis-
mässig geringen Unkosten wohlthuende
Abwechslung hineingebracht werden.
Angenommen, das Haus, in dem ich zur Miethe wohne, ist
aus Ziegelsteinen gebaut, hellgelb oder intensiv branstig roth. Es
gibt genug solcher aufdringlicher Ziegelhäuser, bei denen man sich
freuen muss, dass man das Haus, in dem man wohnt, glücklicher-
weise nicht selber sehen kann, sobald man darin ist.
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inneren Ge-
äusseren ästhetischen. und
müthsein-
drücken ist
beim Ver-
kehr der
Menschen
untereinan -
der fort-
während in
mehr oder
minder be-
wusster
Form vor-
handen.
Wenn un-
sere täg-
liche Umge-
bung, statt der peinlichen Unlust-
gefühle, angenehme, -heitere Ein-
drücke erweckt, so übt das auf un-
sere ganzen Lebensanschauungen,
unsere Gedanken, auf den Verkehr
Fr. Matouschek, Wien,
iR
Fr. Matouschek, Wien,