ARCHITEKTONISCHE MONATSHEFTE
die gesamte Zimmerausstat- | ET ES
den besonderen Charakter der |
Bevölkerung ob wir’s mit |
Friesen oder Holländern oder |
Sachsen zu thun haben, ob |
mit Landbebauern, mit Fischern,
mit Seefahrern, ob ‘mit frei-
heitsstolzen Bauern oder mit
hörigen, all das fühlen wir bei -
allen Aehnlichkeiten zum Teil |
auf den ersten Blick heraus. |
Hier Ernst, da Fröhlichkeit, da Schwulst — hier Farbenstille, |
da Farbenlust — hier Derbheit, da Zartheit oder fast Ele-
ganz. Hier die alte Fischertechnik, der Kerbschnitt, da |
Schnitzerei, da Lust an reichen Verkröpfungen (Wilster- |
marsch), da Intarsia (Propstei und Vierlanden). Hier hat der
Bauernstil etwas Nordisches (Nordschleswig), da sehen wir
uralt Romanisches lebendig (Friesland), hier wieder eine schöne
edle Renaissance mit Bevorzugung des Pflanzlichen (Dithmar-
schen), dort holländische, Art (Eiderstedt), hier (Wilstermarsch)
ein eigenartiges, schönes dekoratives Barock, da ein schüchter- |
nes Louis XVI u. s. f. Hier geometrische Motive, da historische |
Stilarten, da Naturalismus (Walfisch, Möwen kommen vor), da |
Vorliebe für dekorative Verwendung des Monogramms (ein
solches bildet z. B. an schleswigschen Stühlen bisweilen die
ganze Rücklehne!) u. a. m.
Besonders treten die charakteristischen Sonderstile, wie
immer bei Bauernstilen, an den verschiedenen Stuhltypen her“
vor, die wohl kein deutsches Land in solcher Mannigfaltigkeit
ausgebildet hat, wie das hier geschehen ist, trotzdem der sog.
Brettstuhl mit ausgesägter Brettrücklehne fast ganz fehlt. Vom
urtümlichen‘ Stuhl von einer Hallig, z. B. von Röm, bis zum be-
quemen Wilstermarschstuhl finden wir da eine fabelhaft grosse
Mannigfaltigkeit fast mustergültig schöner und eigenartiger
Formen, die weder untereinander, noch mit irgend welchen
andern deutschen Stuhltypen zu verwechseln sind.
Auch unter den andern Möbeln bestehen charakteristische
Unterschiede; besondere schleswig-holsteinische Möbel sind
das Hörnschapp (Eckschrank), der Tresor (ein dreieckiges, offe-
nes, dreibortiges Tassenbort an der Wand), das Mangelbrett,
kerbschnittgezierte Löffelbretter und andres Kleingerät, als Pfeifen-
=
Fig. 23. Stuhl aus Nordschleswig.
(Altonaer Museum.)
Fig. 24. Rathaus in Burg auf Fehmarn, Architekt: Karl Voss in Kiel.
tung, wie das einzelne Gerät | “N MR Al TE
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Fig. 25.
Rathaus in Burg auf Fehmarn.
Treppenhaus.
Architekt: Karl Voss in Kiel.
bretter, herzförmige Uhrhalter u. a. Manche Gegenden haben
noch allerlei für sich, z. B. scheinen der Wilstermarsch beson-
ders eigen ein flacher Eckschrank von = -Grundriss, eine
schöne Form eines Ofenrecks (Trockengestell), die besonders
schöne Ausbildung eines Fensters, das aus der Stube auf die
Diele führt, sowie die von der Decke herabhängende Gestalt
eines‘ Pelikans. Bemerkenswert ist auch die westholsteinisch-
friesische Ofenform, der »Bilegger« (Kastenform mit Gusseisen-
platten), meist auf vier Eisenstangen als Füssen stehend; oben
auf dem Ofen die meist messingene „Stülpe“ zum Warmstellen
von Speisen. Speziell friesische Lieblingstechnik ist bekannt-
lich der Kerbschnitt; die Wilstermarsch hat in ihrer Behandlung
des Barock- und Rokokoornaments eine eigene, parallele Strei-
fung liebende Schnitzart, auch die nordschleswigsche Schnit-
zerei hat viel Eigenart.
Ebenso charakteristisch wie die Möbel sind die Textil-
arbeiten, Beiderwandwebereien, Knüpfarbeiten, Stickereien u. s.W.;
weniger, wie immer, weil nicht überall geübt, sondern an be-
stimmten Orten für den Bedarf des ganzen Landes gearbeitet,
die Metall- und Töpferarbeiten. Besonders schleswig-holsteinisch
sind an Metallarbeiten die erwähnten messingenen Ofenstülpen
und »Schienteller«, dazu schön gezierte Bettwärmer, sodann
schmiedeeiserne Huthalter einzelner Kirchen des Westens (am
schönsten allerdings in Vierlanden), prachtvolle Beschläge (an
Schlitten u. a.), sowie die schönen Zieranker der Häuser.
Solche Verschiedenheiten, wie sie der Bauernhausrat auf-
weist, kann man von den Städten natürlich nicht erwarten,
da sorgte der Verkehr für viel grössere Annäherung unter-
einander und an die Mode. Wenn wir da z. B. in dem Cha-
rakter der Kanzeln verschiedene Richtungen unterscheiden
können, so spielt da die Individualität eines Einzelnen die Rolle,
die in der Bauernkunst die Volksindividualität spielt. Natürlich
hat diese den einzelnen Künstler auch stark beeinflusst, aber
nicht allein und auch nicht am stärksten.
In alten Zeiten, als die Städte noch nichts andres als
grosse Dörfer waren, werden auch sie Verschiedenheiten in
ihrer Wohnungsausstattung gehabt haben, aber das ist lange
her! Heute ist es wohl ganz unmöglich, von dem Kunst-