1903
ARCHITEKTONISCHE MONATSHEFTE
Diese charakteristische Bauweise der fran-
zösischen Fachwerkbauten hat sich bis in unsere
Zeit erhalten, und wir können sie auch jetzt bei
den neueren englischen und nordamerikanischen
Landhausbauten vielfach beobachten.
Wie reizvoll diese Anordnung bei kleineren
Anlagen ‚wirkt, zeigt uns Fig. 6, ein eingebautes
Landhaus in Braisne bei Soissons, dessen Ober-
geschoss aus einem vorgekragten Fachwerksbau
besteht. Aus dem Dache ragt noch ein zierlich
mit Figuren geschmückter Teil eines steinernen
Turmhelmes der anliegenden Stadtmauer heraus.
Im Gegensatz zu diesem kleinen Hause wirkt
die Fachwerkanordnung bei grösseren Gebäuden
mit den stetig senkrecht und enge gestellten
Pfosten schematisch und langweilig, was Fig. 22,
ein Eckhaus aus Rouen, klar veranschaulicht.
Bemerkenswert ist bei diesem noch das reich und
streng gotisch ausgebildete Hauptgesims. (Fig.21%.)
Fig. 21* und 22 folgen im nächsten Heft.
Ausser dem schon angeführten Abkehlen
der Füllhölzer, Schnitzen der Unterzugköpfe und
Kopfbänder wurden zum reicheren Schmuck der Fassaden
stets wechselnde geometrische Muster der Gefache vielfach
und mit Vorliebe angewandt;', diese erzielten mit den ausser-
dem noch eingesetzten glasierten und ornamentierten Kachel-
platten ein stattliches und belebendes Flächenornament. Vgl.
Fig. 10' u. "' mit den verschiedenen Teilzeichnungen und das
Gesamtbild Fig. 11, welche zwei Holzhäuser in der Rue de
la manufacture zu Beauvais darstellt.
Auch Fig. 34, ein altes Giebelhaus aus Ca@n, Rue St. Pierre,
erhielt eine offenbar neuere Ueberkleidung der einzelnen
Putzgefache durch gelochte Zinkplatten, welches Mittel zur
Sicherung gegen eindringende Feuchtigkeit auch bei unseren
neueren Landbauten zu empfehlen wäre.
Den oberen Abschluss des Hauses bildet meist ein der
Strasse zugekehrter Giebel in verschiedenen Abstufungen und
Abwalmungen, und zwar oft in so malerischer Weise ange-
ordnet, dass es uns Deutsche ordentlich heimatlich anmutet
und wir uns in unsere alten Harzstädte Hildesheim, Goslar,
Halberstadt u. a. versetzt denken mit ihren gemütlichen schief-
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winkeligen Strassen und den traulichen, oft noch schiefer
stehenden Bauten. Fig. 27—29 bieten uns so recht die reiz-
volle Wirkung sowohl bei Eck- als auch eingebauten Häusern
in Lisieux.
Die Behandlung des Ornamentalen basiert bei diesen
Fachwerkbauten zumeist auf gotischen Grundformen, ist aber
reichlich mit Renaissancemotiven durchsetzt, alles jedoch in
einfacher, wohlverteilter und stets eleganter Anwendung. Das
Figürliche lehnt sich stark an die daselbst vorherrschenden
normannischen Grotesk- und Phantasiefiguren an, während die
pflanzlichen Ornamente schon ganz den Geist der an die
Höfe berufenen italienischen Meister der Renaissance, Serlio
(1541), Benvenuto Cellini, Rosso von Florenz u. a., atmen.
Vgl. Fig. 7, 17, 18, 21, Teilzeichnungen aus Beauvais, Rouen
und Amiens.
Dies würde in Kürze das charakteristische Merkmal der
konstruktiven und ornamentalen Teile von Nordfrankreichs
alten Fachwerkbauten sein. Es erübrigt nun noch, etwas
genauer auf die einzelnen Figuren einzugehen, welche ich im
Verlauf meiner Studienreise aufzunehmen Gelegenheit hatte.
Nach dem Reiseplan von Metz ausgehend, kamen wir
über Chälons sur Marne nach Reims, wo wir am Markte ein
altes Holzhaus mit mannigfaltigem figürlichem Schmuck aus
spätgotischer Zeit vorfanden. (Fig. 5.)
Die Schrägstellung der Pfosten und Riegel ist bei diesem
Bau vermieden, und die nur senkrecht und wagerecht ver-
legten Hölzer geben der Fassade ein ungelenkes und lang-
weiliges Aussehen. Die Ausführung des ornamentalen Schnitz-
werkes ist jedoch sehr stilgerecht und äusserst zierlich.
Dann ging die Reise über Laon nach Soissons, und wir
hatten erst in einem benachbarten Dorfe, in Braisne, wieder
Gelegenheit, das schon vorher erwähnte malerische Landhaus
mit seinem aus dem Dache hervorlugenden massiven Turm-
helme als letzten Rest einer vergangenen Holzbauperiode zu
betrachten. (Fig. 6.)
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