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worden. Ein Gesetzesentwurf vom Oktober 1867 wollte die „inhu:
manen“ Heiratsbeſchränkungen wegen schlechten Leumundes und ſchlechten
Nahrungsstandes ganz aufheben. Aber weder auf dem Landtag von
1866/68 noch auf dem von 1868/70 kam die 2. Kammer dazu, ihn
u beraten. f
; Die Verfaſſung Württembergs war bis 1866 mannigfach be-
stimmt gewesen durch die Gesetze des Deutschen Bundes. Soweit sie
davon unabhängig war, kann ihr das Zeugnis nicht. versagt werden,
daß sie die verſchiedenen Beſtandteile des Königreichs erfolgreich zu
einem Staat und einem gemeinsamen Staatsbewußtsein verbunden, -
daß sie Württemberg aus einem mittelalterlichen Ständeterritorium zu
einem modernen konſstitutionellen Staat umgebildet und viele gute tt
getragen, daß sie besonders auch die geistige und politische Bildung
des Volkes mächtig gefördert hat. Auch die deutschen Grundrechte
von 1848 (S. 89) waren in allen wesentlichen Punkten verwirklicht;
rückständig waren hauptsächlich noch die Adelsvorrechte bei der Zu- .
sammensetzung des Landtages.
9. Ins DPeutſche Reich !
1871-1894.
Die Wahlen vom Dezember 1870, bei denen erstmals Regierung
| und Nationalliberale zuſammen gingen, brachten 150 000 Stimmen für
die Einigung Deutschlands auf Grund der Verſailler Verträge und
nur noch 60 000 Stimmen dagegen. Die meisten Führer der bisherigen
Gegnerſchaft waren auf der Wahlstatt geblieben; nur 17 Anhänger
der alten großdeutſch-demokratiſch-katholiſchen Linken zogen in den Halb-
mondſaal ein. Die Thronrede, mit der der neue Landtag am 19. De-
zember eröffnet wurde, forderte die Zustimmung zu den in Versailles
zur Einigung Deutschlands geſchloſſenen Verträgen; würde ,dieses Ziel,
um welches Deutſchland so lange gerungen, jetzt nicht erreicht, so fehlt
den weltgeſchichtlichen Ereigniſſen dieses Jahres die höchste Weihe“.
Daß die Verträge eine Underung der Verfaſſung enthielten, alſo Zwei-
drittelmehrheit zur Annahme verlangten, war diesmal von keiner Seite
beſtritten. Sie wurden von der 2. Kammer gutgeheißen mit 74 und
76 gegen 14 und 12, von der 1. Kammer mit 26 gegen 3 Stimmen
(Fürſt v. Öttingen-Wallerſtein, Prof. Kuhn, Frh. v. Neurath). Auch
die Üeinſager waren im Herzen froh wie nach einer Operation; sie
hatten nur nicht, mit dem Erfolg gehend, als charakterlos erſcheinen
wollen.!) Württemberg erhielt nach der Reichsverfaſſung im Bundes-
rat 4 Stimmen, d. h. soviel wie im alten Bundestag, im Reichstag
s? Lang „Im Neuen Reich“" 1871 1, 195 f. Isolde Uurz: Herm. Kurz
1906 S. 330.