Damit war auch § 78 der Verfaſſungsurkunde vollzogen. Der Ge-
setzesentwurf gab der 2. Kammer zugleich Anlaß zu der Bitte um
baldige Vorlage eines Verfassungsgesetzes, das das Uönigliche Plazet
zugunsten der Evangelischen Kirche ebenso beschränke, wie es zugunsten
der katholischen Kirche ſchon durch das Gesetz von 1862 (S. 129) ge-
schehen iſte Ein Antrag Viktor Rembolds, das landesherrliche Plazet
ganz zu beseitigen, war nur vom Zentrum unterſtützt, von allen üb-
rigen Seiten abgelehnt worden. Aber auch der von der 2. Kammer
beschlossenen Bitte iſt bis 1918 von der Regierung nicht entsprochen
worden.
Schon bei Beginn des Landtags hatte die Regierung auch einen
Entwurf vorgelegt, der für Städte mit über 10 000 Einwohnern die
Lebenslänglichkeit der Ortsvorsteher beseitigen wollte. Piſchek, der
neue Minister des Innern, dachte freier als sein Vorgänger Schmid;
zugleich stach sein freundliches und liebenswürdiges Wesen angenehm
ab von dem Donnern und Blitzen seines Vorgängers.') Neuere Vor-
fälle, besonders in Heilbronn, hatten viele aus Anhängern zu Gegnern
der Lebenslänglichkeit gemacht; deren Abſchaffung war weiter vorbe-
reitet worden durch die Verleihung von Penſionsrechten an die Körper-
ſchaftsbeamten. Die Abschaffung fand daher in der 2. Kammer keine
Gegner. Um sd allgemeiner war der Widerspruch gegen den Vor-
ſchlag der Regierung, die Wahl von den Gemeindebürgern weg auf
die Gemeindekollegien zu übertragen; die Kammer lehnte diesen Vor-
schlag ab und verlangte mit allen Stimmen gegen 9 Privilegierte eine
neue Vorlage, welche die Lebenslänglichkeit der Ortsvorsteher für sämt-
liche Gemeinden beseitige, aber ihre unmittelbare Wahl durch die Ge-
meindebürger beibehalte. Die Regierung entsprach diesem Wunſch
unterm 23. Juni 1897. Ihre Vorlage wurde von der 2. Kammer
mit allen gegen 8 Stimmen angenommen. Aber die 1. Kammer ging
gar nicht auf die Beratung des Entwurfes ein; die Lebenslänglichkeit
der Ortsvorsteher erschien ihr als das einzige konservative Gegengewicht
gegen den demokratischen Aufbau der Gemeindeverfaſſung Württem-
bergs; sie könne daher nur dann entbehrt werden, wenn zugleich die
übrige Gemeindeverfaſſsung umgestaltet werde, wozu es auch aus anderen
Gründen doch bald kommen müsse. So blieb dieser. alle Programm-
punkt der Volkspartei abermals unerfüllt, und es stieg ihre Erbitterung
gegen die 1. Kammer.
Einen neuen Verfassungsentwurf über die Zuſammensetzung des
Landtages legte die Regierung erſt am 29. Juni 1897 vor nach neuen
Besprechungen mit Ritterschaft und Standesherren. Endlich hatte
Mittnacht erkannt, daß nur die 2. Kammer als reine Volkskammer
Aussicht auf Annahme mit der nötigen Zweidrittelmehrheit habe; er
verzichtete darum auf das bisher für die 2. Kammer stets verlangte
konservative Element und verlegte es in die 1. Kammer durch Ver-
1) Payer i. I. 1911. Prot. 92, 1782.