treiben laſſe.)) Aber solange wollte die Volkspartei nicht warten;
sie wollte die reine Volkskammer und sie wollte sie jetzt und war
bereit, dafür selbſt einen hohen Preis zu zahlen, d. h. die 1. Kammer
nicht bloß fortbeſtehen zu lassen, nicht bloß zu vergrößern, sondern
selbst das von Payer so genannte „rückläufige Schwänzchen“ des er-
weiterten Budgetrechtes der 1. Kammer mit in den Kauf zu nehmen.
Das Zentrum vollends sah in der 1. Kammer den Hort des Ratholi-
zismus und wollte sie nicht beseitigen, sondern befestigen.
So stellte sich denn die 2. Kammer auf den Boden der Regierungs-
vorlage. An dem Vorſchlag ihrer eigenen Zusammensetzung änderte
sie nichts wesentliches. Bei der 1. Kammer ſtrich sie die Ernennbar-
keit neuer erblicher Mitglieder, verdoppelte die Zahl der kirchlichen
Mitglieder und beschränkte dagegen die Zahl der Ritter von 8 auf 6,
die der lebenslänglich Ernannten von 10 auf 8, obwohl dadurch die
doch gewünschte Ernennung von Vertretern des Handels und Gewerbes
faſt unmöglich wurde; das Recht zur Stellvertretung der Standesherren
schränkte sie weiter ein auf den nächsten Agnaten. Außerdem wollte
sie das Wählbarkeitsalter für beide Kammern von 30 auf 25 Jahre
herabsetzen und den Wohnsitz im Lande auch von den in die 1. Kam-
mer Gewählten verlangen; ausgedehnt wurde das ſtändiſche Wahl-
prüfungsrecht; das von der Regierung verlangte Recht, auch den
Kommiſssionsberatungen anzuwohnen, wurde jetzt grundsätzlich aner-
kannt, abgelehnt dagegen jede Ausdehnung der Rechte der 1. Kammer
bei der Abgabenbewilligung. Gegen den so geſtalteten Entwurf stimmten
nur 18 d. h. alle anwesenden Privilegierten, außer dem ältesten kath.
Dekan, der als Zentrumsmitglied mit Ja stimmte. Die Verneinenden
sahen in den Verhältniswahlen der Ureise keinen entsprechenden Ersatz
für ihr Ausſcheiden. Auch die Nationalliberalen hatten ihre Bedenken
gegen die vorgeſchlagenen Verhältniswahlen noch nicht überwunden,
aber zurückgestellt, weil die sonstigen Fortschritte der Vorlage die Nach-
teile der Verhältniswahl überwiegen. Für den Entwurf stimmten da-
mit 69 Stimmen, also reichlich zwei Drittel. Aber das Zentrum, das
bisher vorbehaltlos mitgearbeitet hatte, erklärte nach Rückkehr Gröbers
aus dem Reichstag überraschender Weise seine Abstimmung nur als
vorläufig. Es hatte bemerkt, daß bei der neuen Zuſammenſetzung der
1. Kammer, deren (durch Wegfall evangelischer Prinzen und Standes-
herren und Religionswechsel des Hauſes Quadt) allmählich entstandene
katholische Mehrheit wieder zur Minderheit werden könnte, und es
verlangte dafür einen „Erſatz“ bei ~ Schule und Mönchsorden. Es
brachte hiezu einen Gesetzesvorſchlag ein, der nach dem Grundsatz
Dauzenbergs ,die Schule iſt ein Annex der Kirche“ die Volksſchule
als eine konfessionelle festlegen, dem Biſchof die Leitung des katholischen
Religionsunterrichtes in allen Unterrichtsanstalten, höheren und niederen,
öffentlichen und privaten, unter völligem Ausschluß des staatlichen Ober-
1) Ludwig Gaupp im Schwäb. Merkur (Kronik) 1897 S. 2163. 2479.