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der Verfaſſung noch zu sehr entfremdet seien. Allein die Mehrheit
von 56 Stimmen (darunter die Juristen Bolley, Feuerlein, Fiſcher,
v. Gaisberg, v. Gemmingen, die beiden Gmelin, Krauß, Lang, Moſi-
haf, Mühleiſen, Schmidlin, v. Seeger, Taglieber, Weber, Zahn), gegen
30 Stimmen (darunter die Juriſten Burkhard, Fetzer, Grieſinger, v. Ow,
Schott, Uhland, v. Welden) hielt diese Auslegung denn doch nicht
mehr vereinbar mit dem Wortlaut der Verfaſſung, und ihre Sprecher
warnten eindringlich davor, mit willkürlicher Auslegung von Gesetzen
der Regierung ein böſes Beispiel zu geben und die künftige Bewahrung
der Verfassung aufs Spiel zu setzen. Die Mehrheit erkannte an, daß
dem Richter die Entscheidung gebühre, daß der Richter das Vorliegen
einer Kriminalunterſuchung und die Wahrſcheinlichkeit der Verurteilung
zu einer den Abgeordneten aus der Kammer ausſchließenden Strafe
bejaht habe, und sie beſchloß daher ſchweren Herzens, daß Cist aus-
zuſcheiden habe. Sie hat sich aber damit nicht begnügt; sie hat zu-
gleich zum Schutze Ciſts und aller gegenwärtigen und künftigen Kammer-
mitglieder getan, was sie zu tun nur immer in der Lage war. Ein-
mal erklärte sie Liſts Ausſchluß nur für vorläufig; werde der Ober-
richter die eingeleitete Kriminaluntersuchung für nicht begründet er-
klären, ſo0 habe List das Recht in die Kammer wieder einzutreten.
Daneben forderte iſie weiter die Regierung auf zur Einleitung der
verfasſungsmäßigen Revision der Verfaſſungsurkunde und des Gesetzes
über Majestätsverbrechen. Die Zweite Kammer wiederholte i. J.
1827 diesen Antrag; aber die Erste verweigerte den Beitritt.
Man hat der 2. Kammer aus ihrem Beſchluß schwere Vor-
würfe gemacht, hat ihr unbegreiflichen Rechtsbruch, ja Selbstmord
vorgeworfen. Mit Unrecht. Rechtlich lag der Fall klar, und nur
Rechts-, nicht Ulugheitsgründe durften entſcheiden. Auch D. Frdr. Strauß,
gewiß kein Regierungsanbeter, erkennt an, daß die Kamnier „dem
klaren Wortlaut der Verfassung gegenüber“ nicht wohl gelinder er-
kennen konnte.) Reyſcher urteilt ebenſo.?) Ja die Kammer ſelbſt
ſtellte sich am 1. Febr. 1836 bei einem ähnlichen Fall ohne Debatte
einmütig (in geheimer Sitzung) auf den gleichen Standpunkt, daß
nämlich die Verflechtung in eine Kriminalunterſuchung zwar nur den
bedingten Ausſchluß nach sich ziehe, daß aber ,die richterliche Stelle
die einzig kompetente Behörde iſt, die über die vorliegende Sache zu
entscheiden hat“, insbeſ. alſo darüber, ob voraussichtlich eine zur Cand-
ſiandſchaft unfähig machende Strafe werde ausgesprochen werden.
Auch Uhland, Pfizer, Schott uſw. widersprachen jetzt nicht mehr, ob-
wohl der Angeſchuldigte ein Mitglied der Opposition war. Spätere Ge-
setze, ſo zuletzt das vom 4. März 1879, haben ausdrücklich den Gerichten
und nicht den Ständen ſelbſt die Entscheidung darüber zugewieſen, ob
eine Verurteilung voraussichtlich eine Entziehung der Wahl- und Wähl-
') Schweglers Jahrbücher der Gegenwart 1847, 709.
?) Zeitſchr. f. D. Recht 1845, 515.