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des Landtages, ihre eigene Uberzeugung erkennen. Dann wurde fort-
gefahren: „Das verfaſſungsmäßige öffentliche Ceben iſt gelähmt; die
Preſſe liegt in Feſſeln; die Vereine zur Beſprechung landständiſcher
Angelegenheiten und zur Darlegung der Wünſche des Volkes an die
Abgeordneten sind ohne gesetzliche Begründung. verboten“. Dieſe Er-
klärung an die Regierung ſelbſt zu richten, wurde unterlaſſen, weil
dieſe am 16. April im Regierungsblatt bekannt gemacht hatte, daß
zu einem außerordentlichen Candtag keine Veranlassung vorliege, daß
der Landtag erſt mit Anfang des künftigen Jahres werde berufen
werden und daß fernere Eingaben um frühere Berufung keine Be-
achtung zu erwarten hätten. Die Bekanntmachung war unterzeichnet
von dem neuen Minister des Innern, Weishaar, dem bisherigen
Präsidenten der 2. Kammer, einst dem Haupt der Liberalen und von
ihnen zum Himmel erhoben, jetzt gehaßt „als ein wahrer Teufel“.
Aber Weishaar war ein kranker und krankhaft erregter Mann. Er
war wie der UKsnig erſchreckt von der neuen Bewegung und glaubte,
dem Eingreifen des Bundestages durch Verbote zuvorkommen zu
müſſen. Recht zur Bestätigung der in der Boller Erklärung behaup-
teten Feſſelung der Preſſe wurde der Abdruck der Boller Erklärung
irotz ihrer zahmen Faſſung von den Zenſoren in allen Zeitungen ge-
strichen, nachträglich aber, nachdem dadurch erſt neue Erbitterung
hervorgerufen worden, doch gestattet. Sie machte in Deutschland mehr
Aufsehen als der Brand des Braunſchweiger Schloſſes.")
Die Vorfälle beim Hambacher Feſt am 27. Mai 1832, bei welchem
Volksſsuveränität und Republikaniſierung Deutschlands beſchloſſen wurden,
veranlaßten Baden, bei Bayxern, Heſſen und Württemberg gemein-
schaftliche Maßregeln gegen ähnliche Vorfälle anzuregen.?) Im Ger-
heimen Rat erklärte Weishaar, es ſei zwar in Hambach nichts vor-
gefallen, was die geſellſchaftliche Ordnung unmittelbar gefährde, aber
es sei kein iſoliertes Ereignis, sondern in Verbindung geſtanden .mit
einem in Frankreich auszuführenden Schlag und sei ein Anreiz zu
Wiederholungen; es bedürfe darum kräftiger Maßregeln, um unabſeh-
bares Unglück zu verhüten. Der Geheime Rat beſchloß darauf ein-
stimmig die von Baden vorgeschlagene Auslieferung der wegen poli-
tiſcher Vergehen geflüchteten Ausländer und die Beſtrafung der In-
länder wegen ausländischer politiſcher Vergehen. Nur eine Mehrheit
aber fand sich für das vorgeschlagene Verbot politischer Verſammlungen
ohne polizeiliche Erlaubnis ; der Minderheit schien die Pflicht zu vor-
gängiger Anzeige genügend. Eine Ugl. Verordnung vom 12. Juni
m Q Versammlungen ohne polizei-
liche Erlaubnis, neben dem bereits erlaſſenen Verbot politiſcher Ver-
eine. Was sffentliche Versammlungen ſeien, ſagte das Verbot nicht;
der Geheime Rat hatte eine Begriffsbeſtimmung ſselbſt zu schwer ge-
) Bacherer : Salon Deuiſcher Zeitgenossen S. 39.
) Schreiben Winters vom 31. Mai 1832.