Full text: Ein Jahrhundert Württembergischer Verfassung

die Ausübung des Schutz- und Aufsichtsrechtes des Staates gegenüber 
der katholiſchen Kirche führte zum Umſchwung. Der ſtreitbare Frh. 
v. Hornstein brachte als Abgeordneter Anträge dagegen bei den Ständen 
ein. Sie fanden zwar von keiner Seite Unterstützung, selbst nicht vom 
Biſchof ; und der von beiden Kammern mit einem Gutachten über 
die Motion Hornstein beauftragte Ständische Ausſchuß wies Hornſteins 
Anstände von Punkt zu Punkt als unbegründet nach. Aber Hornſtein 
und einige Gefinnungsgenossen setzten den Streit in Flugſchriften fort. 
Neuer Zwiſt entstand i. J. 1836 beim Volksſchulgeſetz (s. S. 65) und 
i. I. 1839, wie anderwärts, durch die Weigerung katholischer Geist- 
licher, gemischte Ehen einzuſegnen. Doch auch jetzt noch stand der 
Biſchof anfangs auf Seite der Regierung, deren ergebenſter Anhänger 
er bisher gewesen. Aber i. J. 1842 stellte Biſchof Keller als. Mit- 
glied der 2. Kammer zum allgemeinen Erſtaunen einen Antrag auf 
Wiederherſtellung des Kirchenfriedens und beschuldigte dabei Heftig 
die Regierung vielfachen Unrechtes gegen die Kirche. Wahr ist, daß 
die ganze Ordnung der katholiſchen Kirche in joſefiniſchem Geiste ge- 
ſchehen war, und daß die Regierung die Kirche streng überwachte; 
aber das geschah nicht aus konfeſſsioneller Unduldsamkeit, sondern nach 
dem Geiſt der Zeit aus dem System des Staatskirchentumes. Auch 
wurde die evangeliſche Kirche noch weit strenger und ganz unmittelbar 
vom Staate regiert.) Dieses System ist freilich inzwiſchen als un- 
richtig erkannt. Aber damals war kein Grund zur Bitterkeit, da in 
der Tat guter Glaube und guter Wille auf Seiten des Staates waren. 
Diese kirchlichen Händel endeten zwar mit einer Niederlage des Biſchofs ; 
denn die 2. Kammer ſprach sich für die Regierung aus, mit Zuſtimmung 
ſelbſt der meisten katholiſchen Mitglieder. Sie waren aber doch von 
großer Bedeutung und für die Regierung ein entſchiedener, bleibender 
Nachteil, weil die Stellung der Parteien dadurch allmählich sich änderte. 
Die ſo laut und zuversichtlich vorgebrachten biſchöflichen Beſchwerden, 
schon von den überwiegend katholiſchen Standesherren entgegenkommen- 
der behandelt, fraßen tiefer und tiefer ein bei der Maſſe der Katholiken, 
und die Unzufriedenheit im Kirchlichen übertrug sich auf das Staatliche. 
Die bisher regierungsfreundlichen Katholiken verbündeten sich in der 
Uammer mit der Widerspruchspartei. Mancher, der gegen die biſchsf- 
liche Motion gestimmt, mußte schon bei. der nächsten Candtagswahl 
über die Ulinge springen, wie z. B. der Ravensburger v. Zwergern, 
einst Freiwilliger in den Befreiungskriegen, ein durchaus liberaler Mann 
in Gemeinde und Parlament. 
Ubrigens herrschte Unzufriedenheit auch auf evangelischer Seite 
über die pietistiſche Reaktion des Konſiſtoriums.?? Im Landtag kam 
sie freilich nicht zum Ausdruck; denn der liberalen Opposition fehlte 
damals wie später das volle Verständnis für religisſe und kirchliche 
  
1) Vergl. R. Mohl und R. Köſtlin a. a. O. S. 128. 
?) Süskind a. a. O. S. 77 u. a. 
Adam, Württ. Verfaſſung. 10 
 
	        
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