Max Bense
URBANISMUS UND SEMIOTIK
Die Technische Realität unserer Zivilisation, die in
Schichten primärer, sekundärer und tertiärer Maschinen-
sphären hierarchisch aufgebaut ist, lässt in ihrer
äussersten Rinde verfeinerte, selektierbare und manipu-
lierbare mobile Mittel notwendig erscheinen, die der
Information und der Kgammunikation dienen. Als Signale
haben sie materiellen, als Zeichen immateriellen Charak-
ter. Man kann die natürlichen, konventionellen Sprachen
ebenso dazu rechnen wie die künstlichen Terminologien
und zusammenfassend von einem semiotischen Instrumen-
tarium sprechen, das im eigentlichen Sinne die Kontakte
zwischen Welt und Bewusstsein, zwischen Realität und
Gesellschaft herstellt. Es ist sinnvoll , zu sagen, die
semiotischen Systeme stellen den daseinsmässigen Zu-
sammenhang der technischen Realität unserer Zivilisation
erst her, halten sie in Funktion und schliessen sie auch
in gewisser Hinsicht ab. Menschliches Verhalten und
Handeln, Fortschritt und Veränderlichkeit jener Zivili-
sation, Produktion und Konsum, Kreation und Organisa-
tion beruhen stets auf der Transformierbarkeit von In-
formation und Kommunikation und damit auf der Mobilität
der semiotischen Systeme, und es ist zweifellos richtig,
wenn Y.Friedman in seinem Manifest zur "architecture
mobile" hervorhebt, dass "jedes vollkommen unveränder-
liche Objekt... für unsere Sinne. .nicht existent" sei.
Die Mobilität der gesamten technischen Realität unserer
Zivilisation, konzentriert und komplex in den städtischen
Zonen, ist sicherlich eines ihrer hervorstechendsten
Merkmale.
Damit stösst man auf den Zusammenhang zwischen Urba-
nismus und Semiotik. Wo menschliches Leben in seiner
individuellen und gesellschaftlichen Ausprägung sich
häuft und verdichtet und verstärkt auf Information und
Kommunikation, auf Kreation und Produktion angewiesen
ist, gewinnen die semiotischen Systeme notwendig an
Funktion und transzendieren bedeutungsvoll die lingu-
istischen Mittel. Sie entwickeln eigene hierarchische
Schichten feinerer und gröberer Strukturalität, die auf
feineres und gröberes menschliches Handeln und Verhalten
schliessen lassen, erzeugen Konfinien zwischen Signal-
ement und Reflexion und formen Grammatiken zu allge-
meineren Schemata der Manipulation und Operation der
Mittel um,
Diese zunehmende Semiotisierung unserer äusseren Welt,
wie ich nun sagen möchte, wurde vielleicht, wenn auch
nicht unter diesem technologischen Aspekt, zuerst be-
merkt, als Marx im "Kapital" vom "Fetischcharakter der
Warenwelt" sprach und unter diesem metaphorischen Aus-
druck die Abtrennung des wertbestimmten "Arbeitsproduk-
tes vom blossen physischen "Ding" vollzog. Dagegen hat
die Warenform und das Wertverhältnis der Arbeitsprodukte
mit ihrer physischen Natur und den daraus entspringenden
dinglichen Beziehungen absolut nichts zu schaffen. Es ist
nur das bestimmte gesellschaftliche Verhältnis des Men-
schen selbst, welches hier für sie die phantasmagorische
Form eines Verhältnisses von Dingen annimmt. Die Auf-
einanderfolge von "Dingwelt" und "Warenwelt" setzt sich
fort in der"Plakatwelt'", die dann die Ablösung der onto-
logischen Thematik durch die semiotische endgültig macht
und die äussere Erscheinung unserer urbanistischen Systeme
kennzeichnet, indem sie ihr materielles Sein in einem
immateriellen, der ebenso verdeckenden wie entschleiern-
den Zeichenschichten nämlich, abfängt. Die wesentlichen
Kommunikationsschemata unserer ebenso technologischen
wie urbanistischen Zivilisation sind also durch spezifische
semiotische Systeme hoher Komplexität und verstärkter
Mobilität ausgezeichnet, deren Analyse zugleich eine
solche urbanistischer Organisation sein könnte.
Unabhängig von der theoretischen Semiotik, wie sie
Ch.S.Pierce entwickelt hat und die wir heute benutzen,
kann man zunächst feststellen, dass die urbanistische
Zivilisation uns zwingt, mit der städtebaulichen "Ding-
welt" zugleich eine kommunikative "Zeichenwelt" zu
bewohnen, die, wie jedermann täglich erfährt, haptischen
(mechanischen), akustischen (phonetischen), optischen
(visuellen) oder linguistischen (sprachlichen) Charakter
besitzen kann. Man wird ferner vor allem zwischen Werbe-
zeichen(Plakatierungen), Verkehrszeichen(Ampeln),
Kennzeichen (Autonummern, Strassennamen), Angabezei-
chen(Uhren) , Orientierungszeichen(Wegweisern) , Aus-
kunftzeichen (Tafeln an historischen Gebäuden) und Ver-
haltenszeichen (z.B. auf Friedhöfen) zu unterscheiden
haben, deren sensuelle, materiale "Qualität" (Quali-
Sign, wie Peirce sich ausdrückt) klassifiziert werden kann.
Auch ist zu berücksichtigen, dass es "tote" und "lebende"
Zeichen gibt, je nachdem, ob die Zeichen längst ver-
braucht, bezugslos, funktionslos, warenlos sind wie die
Namen von Dingen, die es nicht mehr gibt oder aktuell
sind wie Wahlplakate in der Wahlperiode. Es kann sich,
denkt man an die Objektbezüge dieser Zeichen, um
blosse "Symbole" (Namen), um "Icone" (Farben, Abbilder)
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