Full text: ARCH+ : Studienhefte für architekturbezogene Umweltforschung und -planung (1968, Jg. 1, H. 1-4)

Max Bense 
URBANISMUS UND SEMIOTIK 
Die Technische Realität unserer Zivilisation, die in 
Schichten primärer, sekundärer und tertiärer Maschinen- 
sphären hierarchisch aufgebaut ist, lässt in ihrer 
äussersten Rinde verfeinerte, selektierbare und manipu- 
lierbare mobile Mittel notwendig erscheinen, die der 
Information und der Kgammunikation dienen. Als Signale 
haben sie materiellen, als Zeichen immateriellen Charak- 
ter. Man kann die natürlichen, konventionellen Sprachen 
ebenso dazu rechnen wie die künstlichen Terminologien 
und zusammenfassend von einem semiotischen Instrumen- 
tarium sprechen, das im eigentlichen Sinne die Kontakte 
zwischen Welt und Bewusstsein, zwischen Realität und 
Gesellschaft herstellt. Es ist sinnvoll , zu sagen, die 
semiotischen Systeme stellen den daseinsmässigen Zu- 
sammenhang der technischen Realität unserer Zivilisation 
erst her, halten sie in Funktion und schliessen sie auch 
in gewisser Hinsicht ab. Menschliches Verhalten und 
Handeln, Fortschritt und Veränderlichkeit jener Zivili- 
sation, Produktion und Konsum, Kreation und Organisa- 
tion beruhen stets auf der Transformierbarkeit von In- 
formation und Kommunikation und damit auf der Mobilität 
der semiotischen Systeme, und es ist zweifellos richtig, 
wenn Y.Friedman in seinem Manifest zur "architecture 
mobile" hervorhebt, dass "jedes vollkommen unveränder- 
liche Objekt... für unsere Sinne. .nicht existent" sei. 
Die Mobilität der gesamten technischen Realität unserer 
Zivilisation, konzentriert und komplex in den städtischen 
Zonen, ist sicherlich eines ihrer hervorstechendsten 
Merkmale. 
Damit stösst man auf den Zusammenhang zwischen Urba- 
nismus und Semiotik. Wo menschliches Leben in seiner 
individuellen und gesellschaftlichen Ausprägung sich 
häuft und verdichtet und verstärkt auf Information und 
Kommunikation, auf Kreation und Produktion angewiesen 
ist, gewinnen die semiotischen Systeme notwendig an 
Funktion und transzendieren bedeutungsvoll die lingu- 
istischen Mittel. Sie entwickeln eigene hierarchische 
Schichten feinerer und gröberer Strukturalität, die auf 
feineres und gröberes menschliches Handeln und Verhalten 
schliessen lassen, erzeugen Konfinien zwischen Signal- 
ement und Reflexion und formen Grammatiken zu allge- 
meineren Schemata der Manipulation und Operation der 
Mittel um, 
Diese zunehmende Semiotisierung unserer äusseren Welt, 
wie ich nun sagen möchte, wurde vielleicht, wenn auch 
nicht unter diesem technologischen Aspekt, zuerst be- 
merkt, als Marx im "Kapital" vom "Fetischcharakter der 
Warenwelt" sprach und unter diesem metaphorischen Aus- 
druck die Abtrennung des wertbestimmten "Arbeitsproduk- 
tes vom blossen physischen "Ding" vollzog. Dagegen hat 
die Warenform und das Wertverhältnis der Arbeitsprodukte 
mit ihrer physischen Natur und den daraus entspringenden 
dinglichen Beziehungen absolut nichts zu schaffen. Es ist 
nur das bestimmte gesellschaftliche Verhältnis des Men- 
schen selbst, welches hier für sie die phantasmagorische 
Form eines Verhältnisses von Dingen annimmt. Die Auf- 
einanderfolge von "Dingwelt" und "Warenwelt" setzt sich 
fort in der"Plakatwelt'", die dann die Ablösung der onto- 
logischen Thematik durch die semiotische endgültig macht 
und die äussere Erscheinung unserer urbanistischen Systeme 
kennzeichnet, indem sie ihr materielles Sein in einem 
immateriellen, der ebenso verdeckenden wie entschleiern- 
den Zeichenschichten nämlich, abfängt. Die wesentlichen 
Kommunikationsschemata unserer ebenso technologischen 
wie urbanistischen Zivilisation sind also durch spezifische 
semiotische Systeme hoher Komplexität und verstärkter 
Mobilität ausgezeichnet, deren Analyse zugleich eine 
solche urbanistischer Organisation sein könnte. 
Unabhängig von der theoretischen Semiotik, wie sie 
Ch.S.Pierce entwickelt hat und die wir heute benutzen, 
kann man zunächst feststellen, dass die urbanistische 
Zivilisation uns zwingt, mit der städtebaulichen "Ding- 
welt" zugleich eine kommunikative "Zeichenwelt" zu 
bewohnen, die, wie jedermann täglich erfährt, haptischen 
(mechanischen), akustischen (phonetischen), optischen 
(visuellen) oder linguistischen (sprachlichen) Charakter 
besitzen kann. Man wird ferner vor allem zwischen Werbe- 
zeichen(Plakatierungen), Verkehrszeichen(Ampeln), 
Kennzeichen (Autonummern, Strassennamen), Angabezei- 
chen(Uhren) , Orientierungszeichen(Wegweisern) , Aus- 
kunftzeichen (Tafeln an historischen Gebäuden) und Ver- 
haltenszeichen (z.B. auf Friedhöfen) zu unterscheiden 
haben, deren sensuelle, materiale "Qualität" (Quali- 
Sign, wie Peirce sich ausdrückt) klassifiziert werden kann. 
Auch ist zu berücksichtigen, dass es "tote" und "lebende" 
Zeichen gibt, je nachdem, ob die Zeichen längst ver- 
braucht, bezugslos, funktionslos, warenlos sind wie die 
Namen von Dingen, die es nicht mehr gibt oder aktuell 
sind wie Wahlplakate in der Wahlperiode. Es kann sich, 
denkt man an die Objektbezüge dieser Zeichen, um 
blosse "Symbole" (Namen), um "Icone" (Farben, Abbilder) 
ARCH + 1(1968)H3
	        

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