schlechter Sozialwissenschaftler und ein großer Archi-
tekt. Aus der Kritik seiner grandiosen Irrtümer ler-
nen wir heute und fassen Gedanken für eine neue ge-
sellschaftliche und architektonische Realität.
Anmerkungen:
1. Vgl. dazu die Abhandlung von Susanrie K. Langer:
Philosophie auf neuem Wege, Frankfurt 1965
Nach einem Vortrag von Rudolf Hillebrecht: Wand-
lungen im Städtebau der Gegenwart, Berlin 1968 =
Schriftenreihe des Architekten- und Ingenieur-
vereins zu Berlin, Heft 20
Hans Gerd Schütte
RATIONALITÄT UND ARCHITEKTUR
Es gehört zu den Überraschungen, die den Charakter
einer Bestätigung eines bereits zögernd formulierten
Urteils haben, wenn man feststellen muß, wie wenig
eine zutreffende Charakterisierung einer Situation zur
Änderung dieser Situation beiträgt. Aus der Distanz
des mehr an den Architekten als an der Architektur,
(und mehr an den Städten als an den Gebäuden) interes-
sierten Soziologen drängen sich zwei Beobachtungen
auf: Es gibt anscheinend nur noch Architekten, die ihre
Berufsrolle und das greifbare Ergebnis ihrer Tätig-
keit mit teils zurückhaltender, teils aggressiver Kri-
tik bedenken; und nichts scheint sich darauf hin am
Gegenstand der Kritik zu ändern.
Um mehr als vage Vermutungen darüber entwickeln zu
können, warum dieser widerspruchsvolle Zustand an-
hält, muß man über Daten verfügen, die eben nur un-
vollständig vorhanden sind, und die im Grunde mehr
Fragen aufwerfen, als sie beantworten können. Ich
werde trotzdem versuchen, einige Anmerkungen zu
den Ursachen der Stabilisierung eines Dilemmas zu
formulieren, die sich auf die Auswertung von Inter-
views mit Architekten, Architekturstudenten und Ex-
perten der Stadtplanung stützen. Dabei mache ich nur
die Annahme, daß die Daten zuverlässiger sind als im-
pressionistische Beobachtungen.
Die Überlegungen, die der Datenerhebung zugrunde-
liegen, lassen sich auf einige einfache Formeln brin-
gen. Traditionelle Berufe, deren Mitglieder sich im
Laufe der Zeit auf eine bestimmte Charakterisierung
ihrer internen und externen Probleme geeinigt haben,
lassen sich unter dem Gesichtspunkt des Verhältnis-
ses ihrer Rollenelemente zueinander analysieren.
Rollen sind Bündel von Tätigkeiten, deren Auftreten
auf bestimmte Stimuli hin erwartbar ist. Eine Abwei-
chung von den Erwartungen pflegt negativ, ihre Erfül-
lung positiv sanktioniert zu werden. Sofern es für die
Dimensionen der Rolle einen Markt gibt, werden fi-
nanzielle Sanktionen dominant sein. Das Rollenmodell
ist allerdings umfassender als das ökonomische Markt
modell. Es bezieht auch nicht-ökonomische Sanktionen
in das Kalkül mit ein, wie etwa Prestige, Autonomie
oder sozio-ästhetische Symbolwerte. Insofern eignet
es sich besser zur Analyse solcher Märkte, die nicht
eindeutig nur auf den Tausch von Gütern oder Leistun-
gen gegen Geld hin strukturiert sind.
Die gegenseitigen Erwartungen, Sanktionen und Tätig-
keiten können im Gleichgewicht sein: dann ist die Wahr-
scheinlichkeit der Verhaltensänderung sehr gering.
Entspricht das Ergebnis des Austauschprozesses dage-
gen nicht den Erwartungen eines der Partner des Rol-
lenspiels, oder übersteigen die - sozialen oder ökono-
mischen - Kosten den Nutzen, dann kann man unterstel:
len, daß die Änderungswahrscheinlichkeit des Verhal-
tens auf beiden Seiten zunimmt. Die Struktur der kom-
plementären Rollenbeziehung wird instabil. Wenn aus
beliebigen Gründen, weil zum Beispiel neue Schichten
von Abnehmern auftauchen, die Instabilität der Aus-
tauschbeziehungen eine ganze Berufsgruppe erfaßt,
muß man damit rechnen, daß zunächst die Innovations-
rate zunimmt, und schließlich in der Organisation der
beruflichen Tätigkeit ein grundsätzlicher Wandel ein-
tritt.
Architekten halten sich nicht an diese Theorie. Trotz
einer sehr ausgeprägten Diskrepanz zwischen ihrem
beruflichen Anspruch und ihrer eigenen, durchaus rea-
listischen Einschätzung der Möglichkeiten ist der Wan-
del der Verhaltensweisen nur oberflächlicher Natur.
Die Wahrnehmung der sozialen Realität, soweit sie das
Verhältnis von Architekten zu Bauherren betrifft,
kommt in der folgenden Tabelle zum Ausdruck. Sie ver-
mittelt sowohl einen Eindruck von der Rangordnung der
Präferenzen, wie von der überaus starken Diskrepanz
zwischen Präferenzstruktur und der Einschätzung ihrer
Realisierungsmöglichkeit.
Frage: "Welche der folgenden Tätigkeiten wird wohl
den größten (1), den zweitgrößten (2) usw. Teil
der Zeit des Architekten beanspruchen ?
Frage: ''Und was sollte Ihrer Ansicht nach an erster
(1), an zweiter (2) usw. Stelle stehen?
Die Prozentwerte in der linken oberen Hälfte jeder
Zelle der Matrix beziehen sich auf die erste Frage,
die Werte in der rechten unteren Hälfte auf die zweite
Frage. So glauben also 48% der Befragten, daß die
ARCH + 1(1968) H.4