Robert Jungk
Entwurf für ein europäisches Look-out-Institut
EUROPARAT
Strassbourg, 10. Aug. 1967
AS/Inf. (67) 6
Or. Engl.
BERATENDE VERSAMMLUNG
ZUM BESCHLUSS 302 ANGENOMMENER VORSCHLAG
Denkschrift von Robert Jungk,beratender Sachverständiger
Die Denkschrift wurde auf Veranlassung des Kultur- und
Wissenschaftskomitees, im Hinblick auf die Erforschung
der Möglichkeiten des Nachfolgenden Beschlusses 302,
von Robert Junak vorbereitet.
Sie ist aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt.
I. Ist ein Look-out Institut notwendig?
Diese erste vorläufige Studie umreisst ein Europäisches
Look-out Institut, dessen Aufgabe das Studium der mög-
lichen, wünschenswerten und nicht wünschenswerten Zu-
kunft ist.
Die Notwendigkeit einer derartigen Einrichtung, die den
Horizont sowohl exekutiver als auch legislativer staat-
licher Stellen erweitern und damit Entscheidungshilfe lei-
sten könnte, ist erst in den letzten Jahren erkannt wor-
den. Dies wurde durch die beispiellose Beschleunigung
von Veränderungen verursacht, die ein Hauptmerkmal un-
serer Zeit ist, mehr noch durch das plötzliche Anwachsen
ausgeprägter, ja zerstörender Gewalten, die in der mo-
dernen Technik enthalten sind, so dass die menschliche
Gesellschaft gezwungen ist, die neuen Kräfte abzuschät-
zen und zu kontrollieren.
Wirkung seiner Handlungen informieren, ist eine der am
wenigsten anerkannten und hoffnungsvollsten Nach-
kriegsentwicklungen. In Verbindung mit der steigenden
Kapazität, die ständige und enorme Informationsmenge
innerhalb eines zweckmässig begrenzten Zeitraumes zu
sammeln, in Beziehung zu bringen und zu interpretieren,
wurde die Bemühung, begründete Schätzungen kommen-
der Krisen oder Möglichkeiten zu machen, zu einer
ernsthaften und lohnenden Tätigkeit. Angespornt durch
diese Notwendigkeit und Möglichkeit, hat eine wach-
sende Zahl von "Zukunftsforschern" begonnen, eine Viel-
zahl neuer, verfeinerter Methoden zu entwickeln, die
die Aufgabe haben, dem Menschen bei der "Vorausschau"
zu helfen.
Zweifellos keimte diese neue Bemühung (es dürfte zu früh
sein, sie eine "Wissenschaft" zu nennen) in den Hirnen
von Europäern. Denker wie H.G. Wells, Gaston Berger,
D. Gabor, B. de Jouvenel, F. Baade, J. Tinbergen,
J. Fourasti&, L. Armand, F. Polak etc. gehören zu den
Begründern der neuen Disziplin. Doch fanden ihre Ideen
ihre erste praktische Anwendung in den USA, Dort be-
gann vor 20 Jahren die Entwicklung bedeutender Voraus-
sagetätigkeiten, als ein europäischer Flüchtling, der her-
vorragende Physiker Th. v. Karman, 1944 ein Komitee
gründete, das "über den Horizont" militärischer Luftfahrt
hinausschauen sollte. Nach Beendigung des Il. Weltkrie-
ges wandte sich eine wachsende Zahl strategischer Stel-
len und Industrieunternahmen der "technischen Voraus-
schau" zu. Diese Bemühungen tragen in diesem Jahrzehnt
Früchte.
Es ist denkbar und wahrscheinlich, dass der tiefere Grund
für die vieldiskutierte "technologische Kluft", die die
USA und Europa trennt, eine erhebliche "Voraussage-
Kluft" ist. Es ist daher höchste Zeit, dass nicht nur euro-
päische Industriekonzerne, sondern auch die nationalen
und internationalen Institutionen Europas der Voraussage
langfristiger Entwicklungen, Gefahren und Möglichkei-
ten mehr Aufmerksamkeit widmen.
Zum Glück wurde die Fähigkeit, vorauszusagen und zu-
künftige Entwicklungen vorauszusehen, in den letzten
Jahren beträchtlich verbessert. Der ständig wachsende
Strom never Daten, die den Menschen nicht nur über den
gegenwärtigen Zustand der Welt, sondern auch über die
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