Horst Küsgen
ENTSCHEIDUNGSVERFAHREN DER BAUPLANUNG
Der Beitrag der Planungsökonomie
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Anpassung der Bauplanung an Nutzungsprozesse
Eine Behauptung: Die Architekten des Spätbarocks hatten
einen flexibleren Zeitbegriff als die meisten ihrer Kolle-
gen heute. Vom Sakralbau über das Schloß, Triumphzugde-
koration bis zur Sekunden dauernden Feuerwerksarchitek-
tur reichte die Skala der Aufgaben. Die "über Nacht" für
einen bestimmten Anlaß gebauten Projekte vom Typ Soli-
tude bei Stuttgart oder Bagatelle in Frankreich sind nicht
nur als Fürstenlaune aufzufassen, sondern auch als Ver-
suche, die Architektur zu dynamisieren, um sie dem
schnellen höfischen Leben anzupassen. Dieser Ansatz ist
mit der Verbürgerlichung der Höfe verlassen worden, mit
dem Klassizismus wurde bis heute die Fiktion der ewigen
Lebensdauer des Gebauten wieder hergestellt, die zu-
nehmende Beschleunigung der Änderungen in der mensch-
lichen Umwelt wurde verdeckt,
Sieht man die jüngste Entwicklung der Bauplanung einmal
nicht vom gewohnten technischen Aspekt - neue Werk-
stoffe, neue Konstruktionen, neue Hilfsmittel auf der Bau-
stelle und im Werk - so kann man sie als die längst über-
fällige Auseinandersetzung zwischen dieser Fiktion und
der Wirklichkeit interpretieren. Ihr Ablauf kann hier nur
skizziert werden:
Nachdem in Deutschland die "Wieder" aufbauphase abge-
schlossen war, war die Dynamisierung der Nutzung nicht
mehr übersehbar: Industriebau, Hochschulbau, Kranken-
hausbau, Verwaltungsbau u.a.. Die Bauaufgabe, d.h.
die Nutzung, war nur im Bereich der ersten Nutzungsjahre
einigermaßen definierbar, danach schien sie sich als
Nutzungsprozess ins Ungewisse zu verlieren. Zur Lösung
des Problems boten sich den Bauplanern drei Möglichkei-
ten an:
|. Das "flexible" Gebäude, das sich durch Änderungen
seiner baulichen Bestandteile, allen nur denkbaren
Nutzungsänderungen anpaßt,
2. Das kurzlebige Gebäude, das für den Zeitraum kon-
zipiert ist, für den die Nutzung noch übersehbar ist.
3. Mischform von | und 2, die variable und kurzlebige
Baukomponenten verwenden,
Andere als diese technischen Möglichkeiten waren nicht
denkbar. Es ist bemerkenswert, daß nur von Lösung 1
Horst KÜSGEN, 1935. Architekturstudium Aachen, Ab-
schluß 1962. 1959/60 Postgraduate Studium Imperial
College, Diplom DIC. Planung Universität Bochum. 1966
Gründung des Entwicklungsbüros für Bauplanung Aachen,
jetzt Stuttgart. Arbeiten über Raumtragwerke, Polyeder-
geometrie, Planung des Raumbedarfs für Hochschulen,
funktionelle Ausschreibung, Grundlagen der Typenplanung,
Nutzungskosten, Kostenprognose. 1966-67 Seminare
über Planungsökonomie an der HfG Ulm.
wirklich Gebrauch gemacht worden ist. Vermutlich, weil
diese Lösung es gestattet, die Fiktion vom ewigen Be-
stand des Gebauten unangetastet zu lassen, denn die
Grundsubstanz, vor allem das für konventionelle Aesthe-
tik wichtige Tragwerk, blieb unverändert, nur der "Aus-
bau" wurde variabel gemacht. Bezeichnend ist auch, daß
die Baukörper sich meist kaum von bisherigen Lösungen
unterschieden, die Forderung nach Wachstum der Nutzung
und damit Erweiterbarkeit des Gebauten wurde gerne ig-
noriert, da die damit verbundene Zufälligkeit der äußeren
aesthetischen Erscheinung untragbar erschien.
Lösung 2 - Kurzlebige Bauten, wird erst in letzter Zeit
häufiger diskutiert. So enthält eine Studie (I), die im Auf-
trag des Wissenschaftsrats die Kosten in- und ausländischer
Hochschulbauten vergleichen sollte, einen kurzen Anhang
über "Überbrückungs- und Behelfsbauten" . Abgesehen von
dem kommentierend-diskriminierenden Titel enthält dieser
Anhang die interessante Feststellung, daß die Baukosten
kurzlebiger Bauten im Mittel 28 - 66 % der Kosten lang-
lebiger Bauten für den gleichen Zweck betragen. Trotz
dieser aufsehenerregenden Unterschiede wird ohne sach-
liche Diskussion kurzum festgestellt "Als Mittel zur Kosten-
ersparnis sind sie daher - auf die Dauer gesehen - untaug-
lich", Auffallend ist, daß die Fragen nicht mit Methoden
angegangen werden, sondern mit Meinungen, die sich an
alten Maßstäben orientieren.
So sind auch die beträchtlichen Mehrkosten flexibler Bau-
ten nach Kenntnis des Verfassers nie ausreichend durch
Nutzungsanalysen und darauf aufbauende Kostenvergleiche
alternativer Planungslösungen abgesichert worden. Das
Problem wurde mit technischen Mitteln gelöst, man in-
vestierte soviel Veränderbarkeit in die Gebäude, bis der
Planer mit Sicherheit annehmen konnte, daß für alle
Nutzungsentwicklungen der kommenden Jahre vorgesorgt
war. Diese Ablehnung anderer als technischer Mittel bei
der Lösung dynamischer Nutzungsprobleme hat mit großer
Wahrscheinlichkeit zu beachtlichen Fehlinvestitionen ge-
führt. Nachdem die ersten Nutzungserfahrungen vorliegen,
ist zweifelhaft, ob das Maß angebotener Variabilität aus-
reichend genutzt und an den Stellen gebraucht werden
wird, an denen sie investiert wurde.
Durch die Rezession der Jahre 1966 und 1967 und den Um-
ARCH + 1(1968) H.4