Full text: ARCH+ : Studienhefte für architekturbezogene Umweltforschung und -planung (1968, Jg. 1, H. 1-4)

Horst Küsgen 
ENTSCHEIDUNGSVERFAHREN DER BAUPLANUNG 
Der Beitrag der Planungsökonomie 
(For english summary turn to page 32) 
Anpassung der Bauplanung an Nutzungsprozesse 
Eine Behauptung: Die Architekten des Spätbarocks hatten 
einen flexibleren Zeitbegriff als die meisten ihrer Kolle- 
gen heute. Vom Sakralbau über das Schloß, Triumphzugde- 
koration bis zur Sekunden dauernden Feuerwerksarchitek- 
tur reichte die Skala der Aufgaben. Die "über Nacht" für 
einen bestimmten Anlaß gebauten Projekte vom Typ Soli- 
tude bei Stuttgart oder Bagatelle in Frankreich sind nicht 
nur als Fürstenlaune aufzufassen, sondern auch als Ver- 
suche, die Architektur zu dynamisieren, um sie dem 
schnellen höfischen Leben anzupassen. Dieser Ansatz ist 
mit der Verbürgerlichung der Höfe verlassen worden, mit 
dem Klassizismus wurde bis heute die Fiktion der ewigen 
Lebensdauer des Gebauten wieder hergestellt, die zu- 
nehmende Beschleunigung der Änderungen in der mensch- 
lichen Umwelt wurde verdeckt, 
Sieht man die jüngste Entwicklung der Bauplanung einmal 
nicht vom gewohnten technischen Aspekt - neue Werk- 
stoffe, neue Konstruktionen, neue Hilfsmittel auf der Bau- 
stelle und im Werk - so kann man sie als die längst über- 
fällige Auseinandersetzung zwischen dieser Fiktion und 
der Wirklichkeit interpretieren. Ihr Ablauf kann hier nur 
skizziert werden: 
Nachdem in Deutschland die "Wieder" aufbauphase abge- 
schlossen war, war die Dynamisierung der Nutzung nicht 
mehr übersehbar: Industriebau, Hochschulbau, Kranken- 
hausbau, Verwaltungsbau u.a.. Die Bauaufgabe, d.h. 
die Nutzung, war nur im Bereich der ersten Nutzungsjahre 
einigermaßen definierbar, danach schien sie sich als 
Nutzungsprozess ins Ungewisse zu verlieren. Zur Lösung 
des Problems boten sich den Bauplanern drei Möglichkei- 
ten an: 
|. Das "flexible" Gebäude, das sich durch Änderungen 
seiner baulichen Bestandteile, allen nur denkbaren 
Nutzungsänderungen anpaßt, 
2. Das kurzlebige Gebäude, das für den Zeitraum kon- 
zipiert ist, für den die Nutzung noch übersehbar ist. 
3. Mischform von | und 2, die variable und kurzlebige 
Baukomponenten verwenden, 
Andere als diese technischen Möglichkeiten waren nicht 
denkbar. Es ist bemerkenswert, daß nur von Lösung 1 
Horst KÜSGEN, 1935. Architekturstudium Aachen, Ab- 
schluß 1962. 1959/60 Postgraduate Studium Imperial 
College, Diplom DIC. Planung Universität Bochum. 1966 
Gründung des Entwicklungsbüros für Bauplanung Aachen, 
jetzt Stuttgart. Arbeiten über Raumtragwerke, Polyeder- 
geometrie, Planung des Raumbedarfs für Hochschulen, 
funktionelle Ausschreibung, Grundlagen der Typenplanung, 
Nutzungskosten, Kostenprognose. 1966-67 Seminare 
über Planungsökonomie an der HfG Ulm. 
wirklich Gebrauch gemacht worden ist. Vermutlich, weil 
diese Lösung es gestattet, die Fiktion vom ewigen Be- 
stand des Gebauten unangetastet zu lassen, denn die 
Grundsubstanz, vor allem das für konventionelle Aesthe- 
tik wichtige Tragwerk, blieb unverändert, nur der "Aus- 
bau" wurde variabel gemacht. Bezeichnend ist auch, daß 
die Baukörper sich meist kaum von bisherigen Lösungen 
unterschieden, die Forderung nach Wachstum der Nutzung 
und damit Erweiterbarkeit des Gebauten wurde gerne ig- 
noriert, da die damit verbundene Zufälligkeit der äußeren 
aesthetischen Erscheinung untragbar erschien. 
Lösung 2 - Kurzlebige Bauten, wird erst in letzter Zeit 
häufiger diskutiert. So enthält eine Studie (I), die im Auf- 
trag des Wissenschaftsrats die Kosten in- und ausländischer 
Hochschulbauten vergleichen sollte, einen kurzen Anhang 
über "Überbrückungs- und Behelfsbauten" . Abgesehen von 
dem kommentierend-diskriminierenden Titel enthält dieser 
Anhang die interessante Feststellung, daß die Baukosten 
kurzlebiger Bauten im Mittel 28 - 66 % der Kosten lang- 
lebiger Bauten für den gleichen Zweck betragen. Trotz 
dieser aufsehenerregenden Unterschiede wird ohne sach- 
liche Diskussion kurzum festgestellt "Als Mittel zur Kosten- 
ersparnis sind sie daher - auf die Dauer gesehen - untaug- 
lich", Auffallend ist, daß die Fragen nicht mit Methoden 
angegangen werden, sondern mit Meinungen, die sich an 
alten Maßstäben orientieren. 
So sind auch die beträchtlichen Mehrkosten flexibler Bau- 
ten nach Kenntnis des Verfassers nie ausreichend durch 
Nutzungsanalysen und darauf aufbauende Kostenvergleiche 
alternativer Planungslösungen abgesichert worden. Das 
Problem wurde mit technischen Mitteln gelöst, man in- 
vestierte soviel Veränderbarkeit in die Gebäude, bis der 
Planer mit Sicherheit annehmen konnte, daß für alle 
Nutzungsentwicklungen der kommenden Jahre vorgesorgt 
war. Diese Ablehnung anderer als technischer Mittel bei 
der Lösung dynamischer Nutzungsprobleme hat mit großer 
Wahrscheinlichkeit zu beachtlichen Fehlinvestitionen ge- 
führt. Nachdem die ersten Nutzungserfahrungen vorliegen, 
ist zweifelhaft, ob das Maß angebotener Variabilität aus- 
reichend genutzt und an den Stellen gebraucht werden 
wird, an denen sie investiert wurde. 
Durch die Rezession der Jahre 1966 und 1967 und den Um- 
ARCH + 1(1968) H.4
	        
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