Bernd Wendland
Entwerfen mit Kostenanalyse und Kostenplanung
1.1 Die Aufgabe des Architekten
Vor kurzem wurde an der Universität Stuttgart (TH) ein
Lehrstuhl für"Architekturtheorie"gegründet. Ein weiterer
an der Technischen Universität Berlin soll folgen.
Diese Entwicklung spiegelt das Unbehagen im Selbstver-
ständnis der Architekten wieder, ist eine erste Antwort
auf die immer deutlicher zutage tretende Tatsache,dass
die Architekten ihrer Aufgabe,d.h. dem,was man von ih-
nen erwartet, nicht mehr voll genügen können. Man muss
die Geschichte des Berufsstandes zurückverfolgen, um sei-
ne heutige Lage zu verstehen. Architekt bedeutet ursprüng-
lich" Oberhandwerker" , Als solcher war er nur selten
mehr als ein Vorsänger im Chor der Bauleute. Mit der Re-
naissance kam der Architekt als Dirigent, als selbstbewuss-
ter "Künstler". Jedoch erst im 19. Jahrhundert, als das
Zeitalter des Handwerks schon zu Ende ging und das In-
dustriezeitalter heraufkam, gewann das Bild vom "Künst-
ler"-Architekten Allgemeingültigkeit, zu einer Zeit also,
da das Handwerk, aus dem heraus die Architekten kamen,
bereits von der Industrie allmählich abgelöst wurde.Schon
im 18. Jahrhundert hatte sich diese Entwicklung angekün-
digt, damals wurden deshalb auch die ersten Unterrichts-
stätten für Architekten gegründet. Aber noch blieb die
Architektur der Vergangenheit verhaftet, im Historismus
Fasste sie gleichsam die europäische Architekturge-
schichte noch einmal zusammen, bis schliesslich heute die
moderne Architektur versucht, der Gegenwart und ihren
Forderungen zu entsprechen. Aber sie pflegt noch immer
das Künstler-Ideal der Renaissance. Auch wenn die an den
technischen Hochschulen und Universitäten ausgebildeten
Architekten inzwischen den Titel "Ingenieur" ‚und das
heisst soviel wie"Erfinder " ‚erhalten - zu Recht,denn auch
sie haben wie die rein technischen Fächer ständig neu zu
erfinden - herrscht doch an diesen Fakultäten mehr oder
weniger versteckt ein antiwissenschaftlicher Geist, aus
Furcht,durch wissenschaftliche Kriterien könnte die schö-
pferische Freiheit eingeschränkt werden. Das erscheint un-
verständlich, denn wer könnte heute auf einer Ebene, wie
der der Architekten-Arbeit erfinderisch sein ohne Wissen-
schaften als Grundlage? So aber ist es kein Wunder, dass
es kaum Bauforschung an Architektur-Fakultäten gibt, dass
Gegensätze zu den Bauingenieur-Fakultäten bestehen oder
gar gepflegt werden, dass das Entwerfen als Refugium und
Tummelplatz der Irrationalität ängstlich gehütet wird.Das
läuft darauf hinaus, eine geistesgeschichtliche Entwicklung
aufhalten zu wollen,die nicht aufzuhalten ist: die ständi-
ge Erweiterung menschlichen Bewusstseins und dadurch das
ständige Wachsen des rationalen Entscheidungs- und Ge-
staltungsbereichs. Mit ihrem Verhalten aber ziehen sich die
Architekten aus der Geistesgeschichte zurück und unter-
liegen Willkür, Beliebigkeit und Modeerscheinungen an-
stelle folgerichtiger Entwicklung. Gleichzeitig verändern
die Human- und Naturwissenschaften die Welt, und die
Architekten sehen sich gezwungen, dieser veränderten Welt
Gestalt zu geben, menschlichen Arbeits- und Spielraum zu
bewahren und ihn für die kommende, weltweite Bevölke-
rungsexplosion in den nächsten Jahrzehnten in gewaltigem
Umfang neu zu "erfinden" , Trotzdem haben sie die Wissen-
schaften so gut wie noch gar nicht zu Hilfe geholt, ge -
schweige eigene wissenschaftliche Methoden entwickelt,
haben noch kaum gemerkt, dass der verhältnismässig kleine
Chor der Bauleute inzwischen eine stattliche Ergänzung
durch ein Orchester mit zahlreichen neuen Instrumenten
erhalten hat, mit dem zu arbeiten von ihnen erwartet wird.
Die Architekten sind so in einen bedrohlichen Rationali-
tätsrückstand geraten, während in der zunehmend komple-
xer werdenden Welt der Wirtschaft und Technik immer
mehr rationale Entscheidungen notwendig werden.
1.2 Entwerfen als Wissenschaft
Wenn heute Architekten mit Rang und Namen erklären,
man brauche zwanzig bis dreissig Jahre Berufserfahrung,
bis man in seinen Entscheidungen sicher sei,so zeigt das
nur zu deutlich, wie es um diesen Beruf steht. Es müssen
Wege sachlicher, nachvollziehbarer, eben "rationaler" In-
formation gesucht und gefunden werden, die es ermögli-
chen, laufend auch die individuellen Erfahrungen zu sam-
meln, auszuwerten, durch gezielte, wissenschaftlich kon -
trollierte Experimente zu ergänzen und zugänglich zu
machen, Informationen, die die für sichere Entscheidungen
notwendige praktische Berufserfahrung auf zwei bis drei
Jahre verringern. Auf diese Weise könnte aus der Architek-
tur eine leistungsfähige Wissenschaft von der Gestaltung
des menschlichen Lebensraums werden,Eine solche Entwurfs
Wissenschaft hätte alle Ergebnisse aus den Wissenschafts-
zweigen zu übernehmen, die zu ihrer Erweiterung und Ab-
sicherung beitragen können. Neben den wenigen, bisher
(mangelhaft) berücksichtigten, vorwiegend technischen
ARCH + 1(1968)H1