Dem Drang der Städter, Natur zu suchen, entspricht der
Versuch, auch das Menschenwerk, die Stadt, mit der
Idylle Natur zu veredeln. So kommt man auf die Garten-
stadtidee. Bei aller Vernunft sozial-reformerischer Über-
legungen bedeutet sie doch nicht Vermittlung in der
Kontroverse Mensch - Natur, sondern deren ins Absurde
führende Konsequenz. Sie hat, zumindest in ihrer deut-
schen Fassung, zum Verlust urbaner Substanz und zur
großen Landzerstörung beigetragen. Aus grauer Städte
Mauern, zieh’n wir - immer noch - hinaus aufs Feld.
Mit dem deutschen Naturgefühl verbindet sich der My-
thos der Nation. Volk und Heimatnatur werden Objekte
patriotischer Hingabe und nationalistischer Weihestun-
den.
1858 fordert W.H. Riehl, einer der Väter des Natur-
schutzgedankens, zu Volks- und Heimatforschung auf.
In seiner "Naturgeschichte des deutschen Volkes"
schlägt er den "echten Waldton" an, preist die Mächte
des Beharrens, die im Bauerntum ruhen, klagt über
"Entartetes" und "Zersetzendes" vornehmlich in der
Stadt.
Ein völkischer Naturmythos gärt, den der geschichts-
feindliche Chamberlain dann ins Heroische übertreibt:
"Dieses sich Wenden an die Natur, eine Großtat der
germanischen Seele... bedeutet... eine gewaltige,
ja eine geradezu unermessliche Bereicherung des
Menschlichen... Nunmehr trinkt der Mensch unmit-
velbar aus der Quelle aller Erfindung, aller Geniali-
tät... Nunmehr liegt er an den Brüsten der Mutter
Natur. "
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts weicht die sentimen-
tale Haltung zur Natur, Pendant zur positivistischen,
unter dem Druck von Industrialisierung und gesteigerter
Naturausbeutung in sektiererische Formen aus. Zahl-
reiche Vereine und Bünde zum Schutz der Natur und
zur Organisation gemeinsamer Naturerlebnisse werden
gegründet. Progressive Tendenzen mischen sich trüb mit
reaktionärem "Gedankengut". Auch die Jugendbewegung
weiß ein Lied davon zu singen. Mit ihr zieht die neue
Zeit, ohne Zweifel.
"Das Gefühl der Naturverbundenheit" sitzt "dem deut-
schen Menschen als heiliges Erbgut tief im Blute". Nebu-
lose Philosopheme und dubiose Volkstümelei bereiten den
Boden für die faschistische Perversion der Naturideologie.
In der sogenannten Weltanschauung der Nationalsozia-
listen werden Blut und Boden kurzgeschlossen.
Der Mensch, im wesentlichen auf seine biologischen
Funktionen reduziert, ist dem "Walten" der Natur unter-
worfen. Die "Gesetze des ewigen Kampfes und Ringens
in der Natur" beherrschen ihn. Zeitgemäße Naturan-
schauung, wie sie sich beispielsweise bei Moeller van
den Bruck äußert, spricht der Wirklichkeit Hohn: "Die
Natur ist konservativ, weil sie auf einer nicht zu er-
schütternden Konstanz der Erscheinungen beruht, die sich
auch dann, wenn sie vorübergehend gestört wird, immer
wieder herstellt." Entwicklung als den Naturerscheinun-
gen immanente Eigenschaft wird unterschlagen, Empfind-
lichkeit natürlichen, dynamischen Gleichgewichts und
Grenzen der Anpassungsfähigkeit an Unzuträgliches außer
acht gelassen.
In der Apostrophierung von Natur als "ewiger Substanz",
geschichtsloser "Urgegebenheit" werden die Verflechtun-
gen von Natur und Geschichte negiert. Das "Naturhaft-
Organische", worunter so verschwommene Begriffe wie
die "Mächte des Blutes" und des "Bodens" verstanden
werden, ist als ein Erstes und Letztes aller Rechtfertigung
enthoben. Ein unkritischer Naturbegriff, der den Blick
für wirkliche Zusammenhänge trübt, ist an der Tagesord-
nung, ist verordnet. "Das deutsche Naturgefühl, wie es
sich in der Liebe zu Tier und Landschaft immer wieder
gezeigt hat, ist in den letzten Jahren wieder stark her-
vorgebrochen. Eine nationalsozialistische Kunstpflege
wird diese Entwicklung mit allen Mitteln fördern, ist sie
doch nur ein Ausdruck des allgemeinen deutschen We-
sens, das sich in weltanschaulichen Bekenntnissen durch
alle Zeiten ebenso deutlich ausgesprochen hat wie inder
biologisch-rassenkundlichen Gesetzgebung des Dritten
Reiches" (A. Rosenberg 1938). Vom Walten bis zum Ver-
walten der Natur ist es nicht weit. Der "Naturschutzge-
danke", vor allem aus der "Sorge um die Erhaltung" von
Naturdenkmalen, deutschem Wald und deutscher Art ge-
boren, findet sein System und seine Durchführungsver-
ordnungen. Die ihm von Anfang an eigene Irrationalität
pervertiert in eine Scheinrationalität, sanktioniert im
Reichsnaturschutzgesetz von 1935.
Das Gesetz dient einer "straffen Durchführung aller Hei-
mat- und Naturschutzobliegenheiten" und "erstreckt"
sich auf schutzwürdige Pflanzen und Tiere, Naturdenk-
male und ihre Umgebung, Naturschutzgebiete und "son-
stige Landschaftsteile in der freien Natur, deren Erhal-
tung wegen ihrer Seltenheit, Schönheit, Eigenart oder
wegen ihrer wissenschaftlichen, heimatlichen, forstli-
chen oder jagdlichen Bedeutung im allgemeinen Interesse
liegt". Kleine Schubladen! Von einigen blumigen Flos-
keln über Schutz und Pflege der gesamten Landschaft und
Pflege der gesamten Landschaft und drohenden Gefahren
abgesehen, bleiben Sorge und Vernunft im Detail stecken
Das Ganze der Kulturlandschaft, das im Zusammenspiel
aller natürlichen und kultürlichen Faktoren unsere Um-
welt und Existenzgrundlage ausmacht, wird in seinen
Beziehungen und Wechselwirkungen weder begriffen
noch berücksichtigt.
Das Reichsnaturschutzgesetz ist unter "Auslassung einiger
für die Zeit seines Erlasses bezeichnender Eigentümlich-
keiten" (Hellmich) in der Art eines Rahmengesetzes heute
noch gültig. Als Landesrecht hat das Naturschutzrecht
zwar an neuen Verordnungen zugenommen und an "Straff-
heit" eingebüßt, den alten Rahmen zu sprengen, scheint
indes nicht möglich. Naturstein bleibt Naturstein. Das
"Gedankengut" des Reichsnaturschutzes überwintert in
der Sprache der "Bewegung", die eine merkwürdige Mi-
schung bürokratischer, militaristischer und religiös-sek-
tiererischer Ausdrucksweisen ist. Da wird Materialge-
rechtigkeit gepredigt, Ehrfurcht vor der erhabenen Na-
tur verordnet und Furcht vor der Rache der Geschände-
ten beschworen. Das "Althergebrachte", Bodenständige,
die "Naturhaftigkeit", gleichbedeutend mit Wahrhaf-
tigkeit, sind Werte an sich, "aufbauende Sachen", würde
der Herr Karl sagen. Die "Zeugen unserer Vergangenheit"
erweisen sich als unverwüstlich. "Wenn der Erdkreis
zerbrochen zusammenstürzt, werden die Trümmer einen
Unerschrockenen erschlagen." So Alwin Seiferts Lebens-
losung. Er wurde nicht erschlagen. Unerschrocken be-
kennt er noch heute, daß er sich in seinem "Leben für
die Landschaft"... "viel mehr von einem eingeborenen
Gefühl... als vom Verstand" leiten ließ. Er schloß sich
früh dem Wandervogel an, "jener kraftvollen, von kei-
nes Gedankens Blässe angekränkelten Urzelle alles des-
sen, was man später als Jugendbewegung bezeichnet hat"
So steht auch der rauhe Olympier moderner Landschafts-
ARCH +2 (1969) H. 6