Brigitte Wormbs
ZUR ERFASSUNG UND BEWERTUNG DER LANDSCHAFT
Planen in Korrespondenz mit Gegebenheiten und Mög-
lichkeiten der Landschaft setzt genauere Kenntnis davon
voraus, als in einseitiger Bearbeitung der Materie Land-
schaft bisher üblich. Mittel der Erkenntnis, von Inte-
ressen unabhängig im Rahmen des Möglichen, bieten sich
in landschaftsökologischen Untersuchungsmethoden an.
Als komplexes, dynamisches System von Raumstrukturen
und Wirkungsgefügen ist Landschaft selbstverständlich
nicht in ihrer Totalität, aber in zahlreichen Komponen-
ten quantitativ faßbar. Beim Versuch, qualitative Mo-
mente in meßbares Beweismaterial zu verwandeln, bleibt
zu bedenken, daß Quantifizierung von Qualitäten den
Erkenntnisgrad nicht unbedingt steigert. Der Verdacht,
daß der Meßbarkeit landschaftlicher Realität letztlich
Grenzen gesetzt sind, sollte diese Grenzen indessen
nicht voreilig ziehen lassen und Ermittlungen keines-
falls beeinträchtigen. Bestätigt er sich schließlich, ist
Resignation nicht der Weisheit letzter Schluß. Was in
Zahlen sich nicht dingfest machen läßt, muß sich des-
halb noch nicht rationalem Fassungsvermögen entzie-
hen.
Erfassen der Landschaft, verstanden als möglichst objek-
tive Feststellung von Strukturen und Prozessen, vollzieht
sich methodisch im Pendeln zwischen Analyse und Syn-
these, Empirie und Theorie, individuell-idiographischen
und normativ-typologischen Aussagen und endet in einer
Dokumentation der Gegebenheiten und (bedingten) Pro-
gnosen von Entwicklungen.
In der systematischen Landschaftsanalyse zeigen sich
viele Ansatzpunkte zur Messung und Kartierung einzel-
ner Faktoren der Teilkomplexe:
‚topographisch-5kologischer Reliefformenkomplex
(Makro-, Meso-, Mikro- Relief; Messung der Exposition,
Hangneigung, Höhendifferenzen, Wirkungsmechanismen
der Erosion etc.; Darstellung in Höhenlinienkarten),
‚topo-hydrographischer Komplex (Messung der Wasser-
führung, Fließgeschwindigkeit, des Hoch- und Niedrig-
wassers, des Grundwasserstandes und der Grundwasser-
schwankungen etc.; Kartierung des Oberflächenwassers
mit Flüssen, Bächen, Gräben, Seen, Teichen, Mooren,
Quellen und zusammenhängender Gebiete gleichen
Grundwasserstandes, der Grundwasserzüge, Flächen mit
Staunässe, Wassergewinnungsflächen etc.),
‚Ökoklimakomplex (Makro-, Meso-, Mikro-Klima: Mes-
sung des Temperaturverlaufs, der Niederschlags-Mengen
und -Verteilungen, der Haupt-Wind-Richtungen und
-Intensitäten, der Sonneneinstrahlung und des Luftdrucks;
Darstellung in Diagrammen und Tabellen),
‚topographisch-ökologischer Bodentypenkomplex (Messung
physikalischer, chemischer und biologischer Faktoren,
z.B. Körnung, Wasserhaltigkeit, Struktur, Dichte, Trag-
fähigkeit, Reaktion, Bodenlebewesen etc.; Festst. des
geologischen Untergrundes; Kartierung der Bodentypen in
ihrer horizontalen Verbreitung, ergänzt durch vertikale
Bodenprofile),
‚topographisch-ökologischer Phytozönosenkomplex (Er-
hebung der Zahl und Verteilung von Individuen und Ar-
ten, Feststellung von Abundanz und Deckungsgrad etc.;
Kartierung der pflanzensoziologischen Verbände oder
Assoziationen in ihrem Verbreitungsareal).
Auch im kultürlich-sozialen Bereich gibt es eine Fülle
von Möglichkeiten zur Messung und graphischen Dar-
stellung einzelner Faktoren seiner Teilkomplexe.
Auf analytisch gewonnene Daten und Fakten stützt sich
die Ermittlung der strukturellen und funktionellen Land-
schaftszusammenhänge, der synchronoptischen Aufzeich-
nung von Raumstrukturen und Wirkungsgefügen als Pla-
nungsgrundlage .
Mit der Planung setzt unverhohlen Wertung ein. Wert-
setzung hat bekanntlich nur Sinn unter genau definierten
Voraussetzungen und im Hinblick auf einen bestimmten
Zweck oder bestimmte Zielvorstellungen. Die Frage ist,
ob für die Intentionen der Planung der Zweck- bzw.
Ziel-Begriff nicht erweitert werden muß im Sinne eines
Freisetzens des gesamten landschaftlichen Leistungs-
potentials, Zweckmäßige Bewertung im Einzelfalle
sollte auf möglichst wertneutraler Ermittlung dieses
Potentials basieren, will man nicht Gefahr laufen, in
einseitiger Zweckverfolgung wesentliche Zusammen-
hänge und Konsequenzen zu übersehen.
Es fragt sich daher, ob eine Methode, wie sie beispiels-
weise H. Kiemstedt in seiner Arbeit "Zur Bewertung der
Landschaft für die Erholung" vorschlägt, mehr als tak-
t+ischen Nutzen bringen kann.
Ziel seiner Arbeit ist, objektive Maßstäbe zur Bewertung
und Ausweisung von Landschaftsteilen für die Erholung
zu gewinnen. Er versucht, "die naturbedingten Voraus-
setzungen der Erholungseignung eines Gebietes zahlen-
mäßig zu erfassen", um Entscheidungshilfe für die Pla-
nung und eine Vergleichsgrundlage in der Konkurrenz
mit anderen Landnutzungen zu erhalten.
Der Autor geht davon aus, daß der Mensch zur Erholung
von technisiertem Dasein der ausgleichenden Wirkungen
natürlicher Umweltfaktoren bedarf, als Erholungsgebiete
also möglichst "naturnahe", d.h. vorwiegend von ha-
türlichen Elementen geprägte Landschaften in Betracht
kommen. Er stellt drei Wirkungsbereiche natürlicher
Landschaftsfaktoren fest: den Bereich sinnlichen Natur-
erlebnisses, den der Benutzbarkeit der Landschaft für
Betätigungen verschiedener Art und den direkter phy-
sischer Einflüsse auf den menschlichen Organismus. Als
Wirkungsträger - die Auswahl der Bewertungsmerkmale
erfolgt aus praktischen Gründen auch nach ihrer Domi-
nanz und statistischen Erfaßbarkeit - werden Wald- und
Gewässerränder auf Meßtischblättern in m gemessen,
Relief, Klima und Flächennutzung nach vorhandenen
Unterlagen registriert, sodann unter Voraussetzen einer
gewissen Attraktivität nach (subjektivem) Ermessen mit
ARCH +2 (1969) H. 6