Full text: ARCH+ : Studienhefte für architekturbezogene Umweltforschung und -planung (1969, Jg. 2, H. 5-8)

Brigitte Wormbs 
ZUR ERFASSUNG UND BEWERTUNG DER LANDSCHAFT 
Planen in Korrespondenz mit Gegebenheiten und Mög- 
lichkeiten der Landschaft setzt genauere Kenntnis davon 
voraus, als in einseitiger Bearbeitung der Materie Land- 
schaft bisher üblich. Mittel der Erkenntnis, von Inte- 
ressen unabhängig im Rahmen des Möglichen, bieten sich 
in landschaftsökologischen Untersuchungsmethoden an. 
Als komplexes, dynamisches System von Raumstrukturen 
und Wirkungsgefügen ist Landschaft selbstverständlich 
nicht in ihrer Totalität, aber in zahlreichen Komponen- 
ten quantitativ faßbar. Beim Versuch, qualitative Mo- 
mente in meßbares Beweismaterial zu verwandeln, bleibt 
zu bedenken, daß Quantifizierung von Qualitäten den 
Erkenntnisgrad nicht unbedingt steigert. Der Verdacht, 
daß der Meßbarkeit landschaftlicher Realität letztlich 
Grenzen gesetzt sind, sollte diese Grenzen indessen 
nicht voreilig ziehen lassen und Ermittlungen keines- 
falls beeinträchtigen. Bestätigt er sich schließlich, ist 
Resignation nicht der Weisheit letzter Schluß. Was in 
Zahlen sich nicht dingfest machen läßt, muß sich des- 
halb noch nicht rationalem Fassungsvermögen entzie- 
hen. 
Erfassen der Landschaft, verstanden als möglichst objek- 
tive Feststellung von Strukturen und Prozessen, vollzieht 
sich methodisch im Pendeln zwischen Analyse und Syn- 
these, Empirie und Theorie, individuell-idiographischen 
und normativ-typologischen Aussagen und endet in einer 
Dokumentation der Gegebenheiten und (bedingten) Pro- 
gnosen von Entwicklungen. 
In der systematischen Landschaftsanalyse zeigen sich 
viele Ansatzpunkte zur Messung und Kartierung einzel- 
ner Faktoren der Teilkomplexe: 
‚topographisch-5kologischer Reliefformenkomplex 
(Makro-, Meso-, Mikro- Relief; Messung der Exposition, 
Hangneigung, Höhendifferenzen, Wirkungsmechanismen 
der Erosion etc.; Darstellung in Höhenlinienkarten), 
‚topo-hydrographischer Komplex (Messung der Wasser- 
führung, Fließgeschwindigkeit, des Hoch- und Niedrig- 
wassers, des Grundwasserstandes und der Grundwasser- 
schwankungen etc.; Kartierung des Oberflächenwassers 
mit Flüssen, Bächen, Gräben, Seen, Teichen, Mooren, 
Quellen und zusammenhängender Gebiete gleichen 
Grundwasserstandes, der Grundwasserzüge, Flächen mit 
Staunässe, Wassergewinnungsflächen etc.), 
‚Ökoklimakomplex (Makro-, Meso-, Mikro-Klima: Mes- 
sung des Temperaturverlaufs, der Niederschlags-Mengen 
und -Verteilungen, der Haupt-Wind-Richtungen und 
-Intensitäten, der Sonneneinstrahlung und des Luftdrucks; 
Darstellung in Diagrammen und Tabellen), 
‚topographisch-ökologischer Bodentypenkomplex (Messung 
physikalischer, chemischer und biologischer Faktoren, 
z.B. Körnung, Wasserhaltigkeit, Struktur, Dichte, Trag- 
fähigkeit, Reaktion, Bodenlebewesen etc.; Festst. des 
geologischen Untergrundes; Kartierung der Bodentypen in 
ihrer horizontalen Verbreitung, ergänzt durch vertikale 
Bodenprofile), 
‚topographisch-ökologischer Phytozönosenkomplex (Er- 
hebung der Zahl und Verteilung von Individuen und Ar- 
ten, Feststellung von Abundanz und Deckungsgrad etc.; 
Kartierung der pflanzensoziologischen Verbände oder 
Assoziationen in ihrem Verbreitungsareal). 
Auch im kultürlich-sozialen Bereich gibt es eine Fülle 
von Möglichkeiten zur Messung und graphischen Dar- 
stellung einzelner Faktoren seiner Teilkomplexe. 
Auf analytisch gewonnene Daten und Fakten stützt sich 
die Ermittlung der strukturellen und funktionellen Land- 
schaftszusammenhänge, der synchronoptischen Aufzeich- 
nung von Raumstrukturen und Wirkungsgefügen als Pla- 
nungsgrundlage . 
Mit der Planung setzt unverhohlen Wertung ein. Wert- 
setzung hat bekanntlich nur Sinn unter genau definierten 
Voraussetzungen und im Hinblick auf einen bestimmten 
Zweck oder bestimmte Zielvorstellungen. Die Frage ist, 
ob für die Intentionen der Planung der Zweck- bzw. 
Ziel-Begriff nicht erweitert werden muß im Sinne eines 
Freisetzens des gesamten landschaftlichen Leistungs- 
potentials, Zweckmäßige Bewertung im Einzelfalle 
sollte auf möglichst wertneutraler Ermittlung dieses 
Potentials basieren, will man nicht Gefahr laufen, in 
einseitiger Zweckverfolgung wesentliche Zusammen- 
hänge und Konsequenzen zu übersehen. 
Es fragt sich daher, ob eine Methode, wie sie beispiels- 
weise H. Kiemstedt in seiner Arbeit "Zur Bewertung der 
Landschaft für die Erholung" vorschlägt, mehr als tak- 
t+ischen Nutzen bringen kann. 
Ziel seiner Arbeit ist, objektive Maßstäbe zur Bewertung 
und Ausweisung von Landschaftsteilen für die Erholung 
zu gewinnen. Er versucht, "die naturbedingten Voraus- 
setzungen der Erholungseignung eines Gebietes zahlen- 
mäßig zu erfassen", um Entscheidungshilfe für die Pla- 
nung und eine Vergleichsgrundlage in der Konkurrenz 
mit anderen Landnutzungen zu erhalten. 
Der Autor geht davon aus, daß der Mensch zur Erholung 
von technisiertem Dasein der ausgleichenden Wirkungen 
natürlicher Umweltfaktoren bedarf, als Erholungsgebiete 
also möglichst "naturnahe", d.h. vorwiegend von ha- 
türlichen Elementen geprägte Landschaften in Betracht 
kommen. Er stellt drei Wirkungsbereiche natürlicher 
Landschaftsfaktoren fest: den Bereich sinnlichen Natur- 
erlebnisses, den der Benutzbarkeit der Landschaft für 
Betätigungen verschiedener Art und den direkter phy- 
sischer Einflüsse auf den menschlichen Organismus. Als 
Wirkungsträger - die Auswahl der Bewertungsmerkmale 
erfolgt aus praktischen Gründen auch nach ihrer Domi- 
nanz und statistischen Erfaßbarkeit - werden Wald- und 
Gewässerränder auf Meßtischblättern in m gemessen, 
Relief, Klima und Flächennutzung nach vorhandenen 
Unterlagen registriert, sodann unter Voraussetzen einer 
gewissen Attraktivität nach (subjektivem) Ermessen mit 
ARCH +2 (1969) H. 6
	        

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