Marx, Freud und die Geologie. Dieses Schlagwort mag
die Gefahren der '"'strukturalen Methode'' beleuchten.
Nur ein "erkenntnistheoretischer Filter", der sich
sehr weit von den Inhalten entfernt, kann die drei In-
terpretationsprinzipien von Marxismus, Psychoanalv
se und Geologie zusammendenken.
Es ist ein so hoher Grad der Abstraktion und Formali
sierung, der die drei Disziplinen unter dem Sachver-
halt der Isomorphie zusammenbringt, daß mit Recht
gefragt werden muß, ob die strukturalistische Tätig-
keit überhaupt in der Lage ist, eine sinnvolle Abbildung
der untersuchten Phänomene zu liefern.
So kritisiert Schiwy die Totemismus-Interpretation von
L6vi-Strauss dann auch: "Bleibt die Frage: Wieviel hat
das konkrete "totemistische Phänomen" noch gemein
mit dem durch die strukturalistische Tätigkeit geschaf-
fenen abstrakten und deshalb durchsichtigen '"Totemis-
mus”?, (15).
Über Freud, Marx und die Geologie hinaus hat der
Einfluß der "Strukturalen Linguistik'' von Ferdinand de
Saussure eine oparable Methodisierung gebracht.
De Saussure wandte sich gegen ein rein historisches
Vorgehen in der Sprachwissenschaft, das ein zu unter
suchendes Phänomen als hinreichend erklärt fand,
wenn es genetisch einzuordnen war. De Saussure
schloß sich einer Forderung an, daß sich die Erfor-
schung der Sprache nur an das Sinnlich-Wahrnehmbare
jetzt vorhandene Material halten dürfe. Die Voraus-
setzung ist eine exakte Beschreibung von Sprachstruk-
turen.
Diese Strukturen hat L6vi-Strauss übernommen. Die
Berechtigung dieser Übernahme mag eine Äußerung
aus den "Träurigen Tropen" verdeutlichen:
"Wer Mensch sagt, sagt Sprache, und Sprache bedeutet
Gesellschaft'', (16).
Zunächst trennt de Saussure "parole'' (das individuelle
Sprechen) und "langage'' (Sprache als Gesamtheit der
empirisch faßbaren Sprachäußerungen) von der Sprache
selbst "langue'', die unbewußt ist und allgemein.
Sie ist als die jedes Sprechen bestimmende Struktur
der eigentliche Gegenstand der Linzuistik.
"Wenn wir die Summe der Wortbilder, die bei allen In-
dividuen aufgespeichert sind, umspannen könnten,
dann hätten wir das soziale Band vor uns, das die
Sprache ausmacht. Es ist ein Schatz, den die Praxis
des Sprechens in den Personen, die der gleichen
Sprachgemeinschaft angehören, niedergelegt hat, ein
grammatikalisches System, das virtuell in jedem Ge-
hirn existiert, oder vielmehr in den Gehirnen einer Ge-
samtheit von Individuen; denn die Sprache ist in keinem
derselben vollständig, vollkommen existiert sie nur in
der Masse. Indem man die Sprache vom Sprechen
scheidet, scheidet man zugleich: 1. das Soziale vom
Individuellen; 2. das Wesentliche vom Akzessorischen
und mehr oder weniger Zufälligen. Die Sprache ist
nicht eine Funktion der sprechenden Person; sie ist
das Produkt, welches das Individuum in passiver Wei:
se einregistriert; sie setzt niemals eine vorherige
Überlegung voraus, und die Reflektion ist dabei nur
beteiligt, sofern sie Einordnung und Zuordnung bestä-
tigt", (17).
Mit diesem kurz skizzierten neuen Selbstverständnis
der Linguistik ist die Disziplin zu einem speziellen As-
pekt einer allgemeinen Systemtheorie geworden.
De Saussure bezeichnet ihre Systematik "synchronisch"
während das genetische Verständnis "diachronisch'
genannt wird. Diese von ihm eingeführten Begriffe
"synchronisch" und "diachronisch'" bezeichnen in aller
Deutlichkeit den völlig neuen Denkansatz, der später
von den französischen Strükturalisten übernommen
wurde und stellenweise konsequent zur reinen Synchro-
nie hin ideologisiert worden ist. Das heißt, die viel
strapazierte Dimension "Geschichtlichkeit' geriet
völlig aus dem Blickwinkel solchen Denkens.
Neben dieser Dichotomie von Synchronie und Diachronie
wird von de Saussure eine zweite eingeführt, die in
den Rahmen einer allgemeinen Zeichentheorie gehört.
Es ist dies die von "Signifikat" und "Signifikant".
Was damit gemeint ist, wird am deutlichsten anhand
der triadischen Zeichenrelation, die Bense in seiner
"Semiotik'" kurz beschreibt:
Mittel-Signifikant
AS >,
Objekt-Signifikat Interpretant
"Die Zuordnung, die mit einem zum Zeichen erklärten
Etwas gegeben wird, ist triadisch: das Etwas ist als
"Mittel" einem "Objekt" für einen "Interpretanten'' zu-
geordnet", (18).
Diese Relation ist allen semiotischen Systemen gemein-
sam.
Elemente der Signifikat-Ebene sind Elemente der
Sprache selbst: "langue''; Elemente der Signifikant-
Ebene sind Elemente des Sprechens: "langage''. Die
Signifikat-Signifikant-Struktur ist innerhalb des "Franz
Strukturalismus'' von anderen Disziplinen übernommen
worden (Soziologie, Psychologie, Anthropologie, Li-
teraturkritik). Damit ist eine kritische Dualisierung
des Weltbildes gegeben, die von metaphysischen Kon-
zeptionen nicht weit entfernt ist.
Die Sprache als das Sprechen strukturierende System
ist das wichtigste aller Zeichensysteme, die der
Mensch zur Kommunikation braucht. Sie strukturiert
jede Form von Nachricht. Man könnte sie als Meta-
Semiotik einer abstrakten Semiotik bezeichnen im Sin-
ne Benses, der seine "Semiotik'' mit den programma-
tischen Sätzen beginnt: "Zeichen ist alles, was zum
Zeichen erklärt wird und nur, was zum Zeichen er-
klärt wird". (19).
Wer erklärt zum Zeichen?
Die Sprache, die das Sprechen des Senders in ihre
Struktur einregistriert.
De Saussure forderte schon früh eine Wissenschaft von
allen "semiologischen'' Systemen.
Mit dieser terminologischen Differenz ("semiotisch'-
"semiologisch'') wird auf jene Metastruktur gewiesen
zur Semiotik, daß jede Theorie der Zeichen sprachlich
im Sinne von "'langue'' begründet werden muß.
Wie aktuell die Forderung de Saussures nach einer all-
gemeinen Semiologie ist, mag der Aufsatz von Bense
"Urbanismus und Semiotik'' bestätigen, (20). De
Saussure: "Man kann sich also vorstellen eine Wissen-
schaft, welche das Leben der Zeichen im Rahmen des
ARCH +2 (1969) H. 6