Full text: ARCH+ : Studienhefte für architekturbezogene Umweltforschung und -planung (1969, Jg. 2, H. 5-8)

Marx, Freud und die Geologie. Dieses Schlagwort mag 
die Gefahren der '"'strukturalen Methode'' beleuchten. 
Nur ein "erkenntnistheoretischer Filter", der sich 
sehr weit von den Inhalten entfernt, kann die drei In- 
terpretationsprinzipien von Marxismus, Psychoanalv 
se und Geologie zusammendenken. 
Es ist ein so hoher Grad der Abstraktion und Formali 
sierung, der die drei Disziplinen unter dem Sachver- 
halt der Isomorphie zusammenbringt, daß mit Recht 
gefragt werden muß, ob die strukturalistische Tätig- 
keit überhaupt in der Lage ist, eine sinnvolle Abbildung 
der untersuchten Phänomene zu liefern. 
So kritisiert Schiwy die Totemismus-Interpretation von 
L6vi-Strauss dann auch: "Bleibt die Frage: Wieviel hat 
das konkrete "totemistische Phänomen" noch gemein 
mit dem durch die strukturalistische Tätigkeit geschaf- 
fenen abstrakten und deshalb durchsichtigen '"Totemis- 
mus”?, (15). 
Über Freud, Marx und die Geologie hinaus hat der 
Einfluß der "Strukturalen Linguistik'' von Ferdinand de 
Saussure eine oparable Methodisierung gebracht. 
De Saussure wandte sich gegen ein rein historisches 
Vorgehen in der Sprachwissenschaft, das ein zu unter 
suchendes Phänomen als hinreichend erklärt fand, 
wenn es genetisch einzuordnen war. De Saussure 
schloß sich einer Forderung an, daß sich die Erfor- 
schung der Sprache nur an das Sinnlich-Wahrnehmbare 
jetzt vorhandene Material halten dürfe. Die Voraus- 
setzung ist eine exakte Beschreibung von Sprachstruk- 
turen. 
Diese Strukturen hat L6vi-Strauss übernommen. Die 
Berechtigung dieser Übernahme mag eine Äußerung 
aus den "Träurigen Tropen" verdeutlichen: 
"Wer Mensch sagt, sagt Sprache, und Sprache bedeutet 
Gesellschaft'', (16). 
Zunächst trennt de Saussure "parole'' (das individuelle 
Sprechen) und "langage'' (Sprache als Gesamtheit der 
empirisch faßbaren Sprachäußerungen) von der Sprache 
selbst "langue'', die unbewußt ist und allgemein. 
Sie ist als die jedes Sprechen bestimmende Struktur 
der eigentliche Gegenstand der Linzuistik. 
"Wenn wir die Summe der Wortbilder, die bei allen In- 
dividuen aufgespeichert sind, umspannen könnten, 
dann hätten wir das soziale Band vor uns, das die 
Sprache ausmacht. Es ist ein Schatz, den die Praxis 
des Sprechens in den Personen, die der gleichen 
Sprachgemeinschaft angehören, niedergelegt hat, ein 
grammatikalisches System, das virtuell in jedem Ge- 
hirn existiert, oder vielmehr in den Gehirnen einer Ge- 
samtheit von Individuen; denn die Sprache ist in keinem 
derselben vollständig, vollkommen existiert sie nur in 
der Masse. Indem man die Sprache vom Sprechen 
scheidet, scheidet man zugleich: 1. das Soziale vom 
Individuellen; 2. das Wesentliche vom Akzessorischen 
und mehr oder weniger Zufälligen. Die Sprache ist 
nicht eine Funktion der sprechenden Person; sie ist 
das Produkt, welches das Individuum in passiver Wei: 
se einregistriert; sie setzt niemals eine vorherige 
Überlegung voraus, und die Reflektion ist dabei nur 
beteiligt, sofern sie Einordnung und Zuordnung bestä- 
tigt", (17). 
Mit diesem kurz skizzierten neuen Selbstverständnis 
der Linguistik ist die Disziplin zu einem speziellen As- 
pekt einer allgemeinen Systemtheorie geworden. 
De Saussure bezeichnet ihre Systematik "synchronisch" 
während das genetische Verständnis "diachronisch' 
genannt wird. Diese von ihm eingeführten Begriffe 
"synchronisch" und "diachronisch'" bezeichnen in aller 
Deutlichkeit den völlig neuen Denkansatz, der später 
von den französischen Strükturalisten übernommen 
wurde und stellenweise konsequent zur reinen Synchro- 
nie hin ideologisiert worden ist. Das heißt, die viel 
strapazierte Dimension "Geschichtlichkeit' geriet 
völlig aus dem Blickwinkel solchen Denkens. 
Neben dieser Dichotomie von Synchronie und Diachronie 
wird von de Saussure eine zweite eingeführt, die in 
den Rahmen einer allgemeinen Zeichentheorie gehört. 
Es ist dies die von "Signifikat" und "Signifikant". 
Was damit gemeint ist, wird am deutlichsten anhand 
der triadischen Zeichenrelation, die Bense in seiner 
"Semiotik'" kurz beschreibt: 
Mittel-Signifikant 
AS >, 
Objekt-Signifikat Interpretant 
"Die Zuordnung, die mit einem zum Zeichen erklärten 
Etwas gegeben wird, ist triadisch: das Etwas ist als 
"Mittel" einem "Objekt" für einen "Interpretanten'' zu- 
geordnet", (18). 
Diese Relation ist allen semiotischen Systemen gemein- 
sam. 
Elemente der Signifikat-Ebene sind Elemente der 
Sprache selbst: "langue''; Elemente der Signifikant- 
Ebene sind Elemente des Sprechens: "langage''. Die 
Signifikat-Signifikant-Struktur ist innerhalb des "Franz 
Strukturalismus'' von anderen Disziplinen übernommen 
worden (Soziologie, Psychologie, Anthropologie, Li- 
teraturkritik). Damit ist eine kritische Dualisierung 
des Weltbildes gegeben, die von metaphysischen Kon- 
zeptionen nicht weit entfernt ist. 
Die Sprache als das Sprechen strukturierende System 
ist das wichtigste aller Zeichensysteme, die der 
Mensch zur Kommunikation braucht. Sie strukturiert 
jede Form von Nachricht. Man könnte sie als Meta- 
Semiotik einer abstrakten Semiotik bezeichnen im Sin- 
ne Benses, der seine "Semiotik'' mit den programma- 
tischen Sätzen beginnt: "Zeichen ist alles, was zum 
Zeichen erklärt wird und nur, was zum Zeichen er- 
klärt wird". (19). 
Wer erklärt zum Zeichen? 
Die Sprache, die das Sprechen des Senders in ihre 
Struktur einregistriert. 
De Saussure forderte schon früh eine Wissenschaft von 
allen "semiologischen'' Systemen. 
Mit dieser terminologischen Differenz ("semiotisch'- 
"semiologisch'') wird auf jene Metastruktur gewiesen 
zur Semiotik, daß jede Theorie der Zeichen sprachlich 
im Sinne von "'langue'' begründet werden muß. 
Wie aktuell die Forderung de Saussures nach einer all- 
gemeinen Semiologie ist, mag der Aufsatz von Bense 
"Urbanismus und Semiotik'' bestätigen, (20). De 
Saussure: "Man kann sich also vorstellen eine Wissen- 
schaft, welche das Leben der Zeichen im Rahmen des 
ARCH +2 (1969) H. 6
	        

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.