Peter Schreiber, M.Sc.
EINFACHE SPIELE ALS MODELLE EINFACHER
ENTSCHEIDUNGSSTRUKTUREN
(Veränderte und erweiterte Fassung eines Referates
auf dem Symposion Planungsmethoden, HBK + TUB am
25.6.1969)
von Sprachbarrieren wird übrigens auch mit Vorliebe von
sogenannten Wissenschaftlern bei der "Verwissenschaft-
lichung" allgemein bekannter Sachverhalte betrieben,
indem sie diese Sachverhalte mit Fremdwörtern oder aus
Fremdwörtern zusammengesetzten neuen Fremdwörtern,
ja sogar mit neu erfundenen deutschen Wörtern beschrei-
ben.)
Was sollen nun Formalisierungen leisten? Um es ganz
kurz zu sagen: Dasjenige, was von einer-Symbolisierung
unter "a" erreicht wird; und vermeiden dasjenige, was
unter "b" als Sprachbarriere beschrieben ist.
Exakter versteht man unter einer Formalisierung eines
Sachverhaltes die Konstruktion einer mathematisch-lo-
gischen Struktur, die ein Modell dieses‘ Sachverhaltes
sein kann. Eine der Forderungen an die Exaktheit einer
Wissenschaft ist die Möglichkeit zur Auffindung von
Widersprüchen, die dann also Hypothesen widerlegen.
Diese Widersprüche lassen sich aber nur in formalisierten
Darstellungen entdecken.
Il. Der vorzutragende Beitrag soll ein Beispiel dafür sein,
wie sich ein sprachlich formulierter Sachverhalt for-
malisieren läßt.
Frage 1: Warum sollen einfache Entscheidungsstrukturen
ein Beitrag zu einem Symposion über Planungs-
methoden sein?
Frage 2: Warum sind Formalisierungen heute erforder-
lich?
Lassen Sie mich bitte kurz beide Fragen, ausgehend von
einer vereinfachten und damit anfechtbaren Position,
beantworten, um nach der Beantwortung dieser Fragen
zum Kern meines Beitrages zu kommen.
Zur Frage 1:
Planungsprozesse sind Problemlösungsprozesse. Die Menge
der am Planungsprozeß teilnehmenden Personen hat die
folgenden Gruppenentscheidungen zu treffen:
1. Welche der auftretenden Probleme sollen gelöst
werden? - Wenn sich ein Problem lösen läßt, dann
gibt es im allgemeinen nur unter sehr eingeschränkten
Bedingungen eine eindeutig bestimmte Lösung.
Dies ist Anlaß für zwei weitere Entscheidungen:
2. Was tut man mit unlösbaren Problemen?
3. Welche der möglichen Lösungen soll in der Praxis
angewendet werden?
Die hierbei auftretenden Gruppenentscheidungen ge-
hören in den Bereich der einfachen Entschei-
dungsstrukturen.
Zur Frage 2:
Ein Teil einer Formalisierung eines Sachverhalts besteht
darin, daß man ihn ganz oder teilweise symbolisiert.
Beispiel:
Der Satz: "Eine der deutschen Universitäten ist die
Technische Universität Berlin"
läßt sich teilweise symbolisieren: "Eine der deutschen
Unis ist die TUB".
Diese Symbolisierung leistet zweierlei:
a) Sie verkürzt die Länge des Satzes.
b) Sie verkleinert die Menge derjenigen Personen, die
diesen Satz verstehen. (Es gibt bestimmt Berliner,
welche die Abkürzung TUB nicht kennen.)
Die Leistung einer Symbolisierung besteht also im wesent-
lichen im Aufbau von Sprachbarrieren. (Dieser Aufbau
Ein rein praktischer Zwang zu Formalisierungen ist durch
die große Anzahl der zu verwertenden Daten mit Hilfe
elektronischer Rechenmaschinen gegeben, die zur Zeit
nur formalisierte Sachverhalte verarbeiten können.
Es seien mir noch einige Bemerkungen darüber gestattet,
welche Rolle meiner Meinung nach die Architektur in
der heutigen Gesellschaft spielen sollte:
Ich betrachte die Architektur als eine angewandte So-
zialwissenschaft, das heißt eine Wissenschaft, deren
Methoden und Zielsetzungen aus einer exakten Soziolo-
gie, Ökonomie, Psychologie, Organisations- und Sy-
stemtheorie usw. abgeleitet werden.
Weder diese exakten Wissenschaften selbst noch ihre
möglichen Anwendungen gibt es in genügender Anzahl
Zitat von Oskar Morgenstern (1):
"Eines der Hauptprobleme der Wissenschaft ist die Ent-
wicklung ordentlicher Begriffe. Diese Aufgabe ist von
besonderer Bedeutung in den Sozialwissenschaften, wo
wir eine riesige Anzahl von Phänomenen vorfinden, die
auf sehr schwierige Weise zu beschreiben, zu ordnen und
zu analysieren sind. Nur ordentliche, scharf definierte
Begriffe können Exaktheit geben; Daten, wie gut sie
auch immer sein mögen, können dies nicht."
Das Studium der verhältnismäßig jungen Disziplinen der
Sozialwissenschaften ist sehr schwierig, da erst seit
einigen Jahren geplante Experimente, Beobachtungen
und Messungen ähnlich denen in der Physik durchge-
führt werden.
Da die soziale Welt, wie jedem von Ihnen einsichtig,
sehr verschieden von der physikalischen Welt ist, sind
auch die Theorien dieser Welten sehr voneinander ab-
weichend. Stellen wir nun die Forderung der Exaktheit
an eine Theorie, so läßt sich diese Exaktheit nur in
Form einer logisch-mathematischen Struktur erreichen.
Es wird dann also auch die mathematische Struktur eineı
sozialwissenschaftlichen Theorie unter Umständen er-
heblich von der mathematischen Struktur einer natur-
wissenschaftlichen Theorie abweichen.
Die Sozialwissenschaften haben meiner Meinung nach
zur Zeit einen Grad der Mathematisierbarkeit erreicht
der bestenfalls demjenigen der Physik zur Zeit Galilei’
entspricht.
ARCH+ 2 (1969) H. 7