Full text: ARCH+ : Studienhefte für architekturbezogene Umweltforschung und -planung (1969, Jg. 2, H. 5-8)

VISUELLES PROJEKT 2 
Georg Nees 
Der Ort der generativen Graphik innerhalb der Informa- 
tionsästhetik 
Eine Einführung in den Gegenstand der generativen Gra- 
phik kann nicht besser begonnen werden als mit der 
Definition der generativen Ästhetik, wie sie Max Bense 
im rot-Bändchen 19 (1) folgendermaßen formuliert: "Unter 
generativer Ästhetik ist die Zusammenfassung aller Ope- 
rationen, Regeln und Theoreme zu verstehen, durch deren 
Anwendung auf eine Menge materialer Elemente, die als 
Zeichen fungieren können, in dieser ästhetische Zustände 
(Verteilungen bzw. Gestaltungen) bewußt und metho- 
disch erzeugbar sind". Betrachtet man die generative 
Ästhetik als ein Teilgebiet der Informationsästhetik, die 
sich in jeder notwendigen Weise mit dem ästhetischen 
Aspekt von Information, d.h. von Zeichensystemen be- 
schäftigt, so ist das spezielle Ziel der generativen Ästhe- 
tik das Studium der operativen Herstellung von Zeichen- 
systemen (über einem Arsenal von Zeichen), die als 
ästhetische perzipierbar sind. Anders ausgedrückt: Gene- 
rative Ästhetik widmet sich der regularisierten Genese 
und der wissenschaftlichen Reflexion auf solche Genese 
von ästhetischer Information. Dadurch, daß ihr Gegen- 
stand besondere ästhetische Information, nämlich gra- 
phische Information ist, sondert sich nun die generative 
Graphik aus der allgemeinen generativen Ästhetik aus. 
Unter Graphik verstehen wir ganz im klassischen Sinn 
die flächige Darstellung von Zeichensystemen vornehm- 
lich in Schwarz-Weiß, wobei die Zeichen mit einer ge- 
wissen Diskretisation auf die Fläche gebracht werden. 
Die von der Graphik dargebotenen Zeichenverteilungen 
betrachten wir als graphische Information. Fälle von 
graphischer Information sind die Bilder, die zu unserer 
Untersuchung gehören. 
In der Aesthetica (2) wird die Vorgehensweise der gene- 
rativen Ästhetik geschildert: "Das effektive Ziel des 
Systems generativer Ästhetik besteht darin, die Charak- 
teristiken ästhetischer Strukturen, die in einer Menge 
Computer-Grafik, herausgegeben von M. Bense und 
E. Walther; rot-19, Stuttgart 1965 
Max Bense: Aesthetica, Agis-Verlag, Baden-Baden 
1965: S. 334 
materialer Elemente realisierbar sind, numerisch und 
operationell so zu beschreiben, daß sie als abstrakte 
Schemata eines "Prinzips Gestaltung", eines "Prin- 
zips Verteilung" und eines "Prinzips Zusammenhang" 
gelten können und manipulierbar einer materialen, un- 
gegliederten ("verdampften") Menge von Elementen 
aufgedrückt werden können, um gemäß diesen "Prin- 
zipien" das hervorzurufen, was wir als "Ordnungen" 
und "Komplexität" makroästhetisch und als "Redundan- 
zen" und "Information" mikroästhetisch am Kunstwerk 
wahrnehmen. Das Aufdrücken ist indessen nicht als " 
Anwendung einer Schablone zu verstehen, sondern als 
Erzeugungsprinzip. Auch "Programme" in bestimmten 
"Programmiersprachen" zur "maschinellen" Realisation 
"freier" (stochastischer, intuitiver) oder "gebundener" 
(im voraus festgelegter, deduzierter) ästhetischer Struk- 
turen gehören zum System generativer Ästhetik und 
ihren Projekten, sofern sie metrische (Abstände, Wort- 
\ängen), statistische (Wortfolgen, Positionierungen) und 
topologische (Verbindungen, Deformationen) Bestimmun- 
gen einkalkulieren, um "ästhetische Information" zu 
erzeugen." Wir halten im Zitieren dieses gründlegenden 
Textes ein, um schon hier Konsequenzen für die Aus- 
führung des "Projekts generativer Graphik" aufzuweisen. 
Sofern wir versuchen, graphische Information im metho- 
dologischen Rahmen der generativen Ästhetik sowohl zu 
produzieren als auch zu begreifen, muß graphische In- 
Formation prinzipiell verstehbar sein als bestimmt durch 
Gestaltung, Verteilung und Zusammenhang. Für jede 
einzelne Graphik sind daher diese drei Prinzipien zu 
verknüpfen mit drei Merkmalen "Gestaltung", "Ver- 
teilung", "Zusammenhang", die jedoch in keiner Weise 
begriffsrealistisch als die der Graphik vorgeordneten 
Ideen aufgefaßt werden dürfen, vielmehr handfest die 
materielle Herstellung der betreffenden Graphik zu 
überwachen haben. Das kann nur bedeuten, daß schon 
die Vorschrift, nach der die Graphik produziert werden 
soll, auf Gestaltung, Verteilung und Zusammenhang 
hinarbeiten muß. Diese Produktionsvorschrift für die 
Graphik ist nichts anderes als das von Bense erwähnte 
Erzeugungsprinzip der Graphik: ihr Programm. Nun kann 
man sich die Entstehungsgeschichte jeder Graphik min- 
destens im nachhinein als nach einem wohldefinierten 
Programm abgelaufen vorstellen, da auch im handwerk- 
lichen Vollzug Richtung und Gliederung zu erkennen 
und Etappen zu unterscheiden sind. Im Rahmen generati- 
ver Graphik jedoch ist das Programm mit seiner Struktur 
die erste und bewußt konstituierte Komponente des ästhe- 
tischen Erzeugungsprozesses derart, daß von der Struktur 
der erzeugten Graphik jederzeit auf die dokumentierte 
Struktur des erzeugenden Programms zurückgefragt werden 
kann. Dabei ist die generative Graphik in der glückli- 
chen Lage, in der sich die Astronomie erst nach der Er- 
Findung des Teleskops befand. Sie kann nämlich die Pro- 
gramme, die sie erstellt, von den als Computern oder 
Datenverarbeitungsanlagen bezeichneten Maschinen aus- 
werten lassen. Man hat den Computer als Komplexitäts- 
Fernrohr bezeichnet, weil er vorher unzugängliche Kom- 
plexität überhaupt erst auflösbar, dann allerdings sogar 
manipulierbar macht. Die Programme, als Erzeugungs- 
prinzipien von graphischer Information, müssen in nor- 
mierten Sprachen geschrieben sein, um von Datenverar- 
beitungsanlagen verstanden werden zu können. 
Wir schließen die Übersicht mit einigen zusammenfassen- 
den "Thesen" ab: 
ARCH+ 2 (1969) H.7
	        

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