Full text: ARCH+ : Studienhefte für architekturbezogene Umweltforschung und -planung (1969, Jg. 2, H. 5-8)

Bezüglich der Übungsaufgaben und deren Bewertung war 
noch eine Einflußnahme der Studenten möglich. Ein Teil 
der Studenten bemerkte jedoch bald, daß die neue Re- 
form nur die alte Lehre in einem neuen Mantel war. In 
einer Plenumsdiskussion des Semesters mit der beauftrag- 
ten Architektengruppe formulierten die Studenten ihre 
Kritik und Gegenvorschläge und diskutierten Probleme 
des Faches Baukonstruktion, seine Inhalte und seine 
Form. Die Studenten setzten durch, daß sie ihre Pro- 
jekte selbständig wählen können und eine Änderung 
jederzeit möglich ist. Innerhalb dieses Projektprogramms 
sollten die Probleme komplex behandelt werden und 
nicht wie bisher dilettantisch und zusammenhanglos in 
Detailfragen. Die bisherigen Vorlesungen und Übungen 
mußten einer Gruppenarbeit weichen. Die Großgruppen 
beschäftigten sich auch mit psychologischen Fragen der 
Gruppenarbeit und der didaktischen Vermittlung des 
Lehrstoffs . 
Unabhängig davon wurde von der Studienkommission ein 
Projektkurs angesetzt, der für die kommenden 2 Semester 
ein Lehrprogramm für die Unterstufe ausarbeiten sollte. 
Anhand eines vorgegebenen Projektes (Studentisches 
Wohnen) sollten Fragen der Didaktik experimentell 
erarbeitet werden, obgleich die Studenten dieses Ex- 
periment zusammen mit der Architektengruppe für das 
Fach Baukonstruktion schon diskutiert und angenommen 
hatten. 
Zur Durchführung des Programms wurden einerseits Fach- 
kräfte (z.B. ein Diplompsychologe) bestellt, die an 
alle Gruppen das Wissen liefern sollten, andererseits 
arbeiteten Studenten höherer Semester als Tutoren mit. 
Bei der Einführung dieses Projektprogramms wehrten sich 
die Studenten in einer Diskussion gegen die Trennung 
dieses Programms von dem bereits selbst erarbeiteten 
Programm für Baukonstruktion und erzwangen die Zu- 
sammenlegung beider Programme (zeitliche Koordina- 
tion und inhaltliche Übereinstimmung). 
Die Arbeit im Projektprogramm stand in krassem Wider- 
spruch zu den üblichen Lehrformen. Auf der einen Seite 
wurde individvelle Arbeit und deren genaue Bewertung 
verlangt, die zu Prestigedenken und Konkurrenzver- 
halten führt und den einzelnen Studenten isoliert. Auf 
der anderen Seite arbeiten und lernen die Studenten im 
Kollektiv, was eine Zusammenarbeit erst richtig ermög- 
licht und die psychischen Probleme des einzelnen be- 
heben kann. Diese Zusammenarbeit fördert den regen 
Austausch von Information und befähigt den einzelnen, 
sein Wissen an andere zu vermitteln und gleichzeitig 
jede Information kritisch zu beurteilen, was beispiels- 
weise in einer Diskussion vorzüglich geleistet werden 
kann. Aus dieser neuen Lehrform ergibt sich als Konse- 
quenz auch eine neue Bewertungsmethode, die nicht 
mehr auf dem Konkurrenzprinzip basiert, das heißt, daß 
Prüfungen, die ein Hauptbestandteil der autoritären 
Lehrform sind, abgeschafft oder völlig neu gestaltet 
werden. Allerdings blieben in diesem Semester die Er- 
kenntnisse des Projektprogramms ohne Auswirkung auf 
die anderen Lehrveranstaltungen der Abteilung. Würde 
die Entwicklung der neuen Lehrform so unverbindlich 
wie bisher neben der alten weiterlaufen, dann müßte 
der Student eine schizoide Haltung annehmen. Um das 
zu verhindern, müssen die Ergebnisse des Projektpro- 
gramms ausgewertet und auch konsequent in anderen 
Lehrbereichen angewendet werden. Wenn auf der einen 
Seite die Studenten ihre Arbeit selbst bestimmen, können 
die Professoren auf der anderen Seite nicht ihre Lehrform 
weiter betreiben, die genau diese selbstbestimmte Arbeit 
verhindert. 
In diesem Zusammenhang ist vielleicht noch erwähnens- 
wert, daß von einigen Studenten ein Seminar über Fra- 
gen des Berufsbildes angestrengt wurde, Dieses Seminar 
behandelte die Stellung des Architekten in der Gesell- 
schaft, das Verhältnis von Berufspraxis und ökonomischen 
Gegebenheiten und die Relevanz dieser Überlegungen auf 
den Ausbildungsgang. Gegen Ende des Semesters begannen 
die kritischen Auseinandersetzungen mit den Prüfungen. 
Dies kann als konkrete Konsequenz der Arbeit im Projekt- 
kurs betrachtet werden. In Diskussionen merkten die Stu- 
denten bald, daß Professoren wider ihre angebliche Ein- 
sicht nicht gewillt waren, die studentischen Forderungen 
nach Abschaffung der Prüfung zu erfüllen und aktiv neue 
Lehrformen zu erarbeiten. 
Darauf formulierten die Studenten folgende 5 Punkte: 
1. Ersatz aller Pflichtfächer durch Wahlmöglichkeiten. 
Die Befähigung zur Wahl entsteht durch ständige Dis- 
kussion des Berufsbildes (Ziel: Formulierung von In- 
halten und adäquater Didaktik). Das Berufsbild ent- 
steht nicht aus der Bestandsaufnahme (Fremdbestim- 
mung), sondern aus der Analyse der Interessen und aus 
der Bestimmung politischer Notwendigkeiten. 
Einzige Lernmotivation ist der Bedarf, das Interesse der 
Lernenden. 
Das "Lehrangebot" wird ersetzt durch Beteiligung an 
der didaktischen und inhaltlichen Diskussion. 
Dann sind ein fester Stundenplan, semesterspezifische 
Veranstaltungen, die Trennung von Lehrenden und 
Lernenden inkonsequent. 
Fachwissen wird erst vermittelbar, wenn aus einer 
Lernsituation ein Informationsbedürfnis entstanden ist. 
Auf einer Studentenvollversammlung mit Assistenten 
und Tutoren wurden im Beisein von Professoren folgende 
8 Essentials als Ziele formuliert und ohne Gegenstim- 
men angenommen: 
1. Abschaffung sämtlicher Prüfungen; 
2 Sämtliche Fächer werden zu Wahlfächern; 
3. Projektkurse werden fortgesetzt; 
A, alle semesterspezifischen Veranstaltungen fallen weg; 
5. Verzicht auf inhaltliche Festlegung der Lehrinhalte; 
6. Zusammenschluß der Lehrstühle, um oben Genanntes 
zu erreichen; 
7. Mittel vakanter und vakant zu haltender Lehrstühle 
werden herangezogen. 
8. Diese Punkte werden auch gegen HGP und Novellie- 
rung durchgesetzt. 
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