Bezüglich der Übungsaufgaben und deren Bewertung war
noch eine Einflußnahme der Studenten möglich. Ein Teil
der Studenten bemerkte jedoch bald, daß die neue Re-
form nur die alte Lehre in einem neuen Mantel war. In
einer Plenumsdiskussion des Semesters mit der beauftrag-
ten Architektengruppe formulierten die Studenten ihre
Kritik und Gegenvorschläge und diskutierten Probleme
des Faches Baukonstruktion, seine Inhalte und seine
Form. Die Studenten setzten durch, daß sie ihre Pro-
jekte selbständig wählen können und eine Änderung
jederzeit möglich ist. Innerhalb dieses Projektprogramms
sollten die Probleme komplex behandelt werden und
nicht wie bisher dilettantisch und zusammenhanglos in
Detailfragen. Die bisherigen Vorlesungen und Übungen
mußten einer Gruppenarbeit weichen. Die Großgruppen
beschäftigten sich auch mit psychologischen Fragen der
Gruppenarbeit und der didaktischen Vermittlung des
Lehrstoffs .
Unabhängig davon wurde von der Studienkommission ein
Projektkurs angesetzt, der für die kommenden 2 Semester
ein Lehrprogramm für die Unterstufe ausarbeiten sollte.
Anhand eines vorgegebenen Projektes (Studentisches
Wohnen) sollten Fragen der Didaktik experimentell
erarbeitet werden, obgleich die Studenten dieses Ex-
periment zusammen mit der Architektengruppe für das
Fach Baukonstruktion schon diskutiert und angenommen
hatten.
Zur Durchführung des Programms wurden einerseits Fach-
kräfte (z.B. ein Diplompsychologe) bestellt, die an
alle Gruppen das Wissen liefern sollten, andererseits
arbeiteten Studenten höherer Semester als Tutoren mit.
Bei der Einführung dieses Projektprogramms wehrten sich
die Studenten in einer Diskussion gegen die Trennung
dieses Programms von dem bereits selbst erarbeiteten
Programm für Baukonstruktion und erzwangen die Zu-
sammenlegung beider Programme (zeitliche Koordina-
tion und inhaltliche Übereinstimmung).
Die Arbeit im Projektprogramm stand in krassem Wider-
spruch zu den üblichen Lehrformen. Auf der einen Seite
wurde individvelle Arbeit und deren genaue Bewertung
verlangt, die zu Prestigedenken und Konkurrenzver-
halten führt und den einzelnen Studenten isoliert. Auf
der anderen Seite arbeiten und lernen die Studenten im
Kollektiv, was eine Zusammenarbeit erst richtig ermög-
licht und die psychischen Probleme des einzelnen be-
heben kann. Diese Zusammenarbeit fördert den regen
Austausch von Information und befähigt den einzelnen,
sein Wissen an andere zu vermitteln und gleichzeitig
jede Information kritisch zu beurteilen, was beispiels-
weise in einer Diskussion vorzüglich geleistet werden
kann. Aus dieser neuen Lehrform ergibt sich als Konse-
quenz auch eine neue Bewertungsmethode, die nicht
mehr auf dem Konkurrenzprinzip basiert, das heißt, daß
Prüfungen, die ein Hauptbestandteil der autoritären
Lehrform sind, abgeschafft oder völlig neu gestaltet
werden. Allerdings blieben in diesem Semester die Er-
kenntnisse des Projektprogramms ohne Auswirkung auf
die anderen Lehrveranstaltungen der Abteilung. Würde
die Entwicklung der neuen Lehrform so unverbindlich
wie bisher neben der alten weiterlaufen, dann müßte
der Student eine schizoide Haltung annehmen. Um das
zu verhindern, müssen die Ergebnisse des Projektpro-
gramms ausgewertet und auch konsequent in anderen
Lehrbereichen angewendet werden. Wenn auf der einen
Seite die Studenten ihre Arbeit selbst bestimmen, können
die Professoren auf der anderen Seite nicht ihre Lehrform
weiter betreiben, die genau diese selbstbestimmte Arbeit
verhindert.
In diesem Zusammenhang ist vielleicht noch erwähnens-
wert, daß von einigen Studenten ein Seminar über Fra-
gen des Berufsbildes angestrengt wurde, Dieses Seminar
behandelte die Stellung des Architekten in der Gesell-
schaft, das Verhältnis von Berufspraxis und ökonomischen
Gegebenheiten und die Relevanz dieser Überlegungen auf
den Ausbildungsgang. Gegen Ende des Semesters begannen
die kritischen Auseinandersetzungen mit den Prüfungen.
Dies kann als konkrete Konsequenz der Arbeit im Projekt-
kurs betrachtet werden. In Diskussionen merkten die Stu-
denten bald, daß Professoren wider ihre angebliche Ein-
sicht nicht gewillt waren, die studentischen Forderungen
nach Abschaffung der Prüfung zu erfüllen und aktiv neue
Lehrformen zu erarbeiten.
Darauf formulierten die Studenten folgende 5 Punkte:
1. Ersatz aller Pflichtfächer durch Wahlmöglichkeiten.
Die Befähigung zur Wahl entsteht durch ständige Dis-
kussion des Berufsbildes (Ziel: Formulierung von In-
halten und adäquater Didaktik). Das Berufsbild ent-
steht nicht aus der Bestandsaufnahme (Fremdbestim-
mung), sondern aus der Analyse der Interessen und aus
der Bestimmung politischer Notwendigkeiten.
Einzige Lernmotivation ist der Bedarf, das Interesse der
Lernenden.
Das "Lehrangebot" wird ersetzt durch Beteiligung an
der didaktischen und inhaltlichen Diskussion.
Dann sind ein fester Stundenplan, semesterspezifische
Veranstaltungen, die Trennung von Lehrenden und
Lernenden inkonsequent.
Fachwissen wird erst vermittelbar, wenn aus einer
Lernsituation ein Informationsbedürfnis entstanden ist.
Auf einer Studentenvollversammlung mit Assistenten
und Tutoren wurden im Beisein von Professoren folgende
8 Essentials als Ziele formuliert und ohne Gegenstim-
men angenommen:
1. Abschaffung sämtlicher Prüfungen;
2 Sämtliche Fächer werden zu Wahlfächern;
3. Projektkurse werden fortgesetzt;
A, alle semesterspezifischen Veranstaltungen fallen weg;
5. Verzicht auf inhaltliche Festlegung der Lehrinhalte;
6. Zusammenschluß der Lehrstühle, um oben Genanntes
zu erreichen;
7. Mittel vakanter und vakant zu haltender Lehrstühle
werden herangezogen.
8. Diese Punkte werden auch gegen HGP und Novellie-
rung durchgesetzt.
ARCH+ 2 (1969) H.7
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