H.D. Blanek, Dieter M. Kunze, Detlev Simons
VERSUCH EINER BELEGBAREN BEURTEILUNG
VON STUDENTENARBEITEN
Einleitung:
Anlaß für den Versuch der Darstellung einer Beurtei-
lung von Studentenarbeiten in der nachstehenden Form
war ein oft empfundenes Unbehagen an einer ungenügen-
den Einsicht in die Urteile, die Noten über Studien-
arbeiten. - eine mangelnde Einsicht sowohl für die Be-
urteilten, die Studenten, als auch für den Beurteiler,
den Professor, den Assistenten, der oft nur schwer und
ungenügend eine umfassende Begründung seiner Beno-
tung zu geben vermag. Dadurch entsteht in der Meinung
der Studenten nicht selten der Vorwurf einer "falschen''
Benotung ihrer Entwurfskonzepte.
Es stellte sich daher die Frage nach einer durchsich-
tigeren Beurteilung für eine zu verbessernde intersub-
jektive Verständigung zwischen Beurteiltem und Beur-
teiler über die Noten der abgeschlossenen Studienar-
beiten.
Die Frage, mit der wir uns zu beschäftigen hatten,
lautete: Wodurch läßt sich ein besserer Einblick, ein
Erkennen der Beurteilung erreichen?
Grundlagen:
Als Voraussetzung für die folgenden Überlegungen gilt
die Annahme, daß ein Entwurfskonzept, ein Plan, ei-
nen Kompromiß aus konvergierenden und divergieren-
den Absichten, Anforderungen darstellt. Der Entwer-
fende befindet sich dabei in einer Konfliktsituation, in
einem Dilemma, denn will er die volle maximale Er-
füllung einer Anforderung, eines Gesichtspunktes, be-
deutet das fast immer ein weniger an Erfüllung anderer
Gesichtspunkte (vgl. Gäfgen, 1963, S. 138). Die maxi-
male Erfüllung der Anforderung "dichte Bebauung" be-
deutet beispielsweise für die inneren Teile eines groß-
flächig und mehrgeschossig bebauten Gebiets Verzicht
auf "Tagesbelichtungeg‘''.
Versteht man unter Entwerfen einen Prozeß des Su-
chens (vgl. Rieger, 1967, S 76 ff), so gilt für den Ent
werfer unter der Maxime, - erarbeite den möglichst
besten Entwurf - aufgrund seiner vorgegebenen Kon-
stitution durch Lernen, Erkennen, Korrigieren, das
optimale Konzept aus dem Dilemma der divergieren-
den Anforderungen zu finden.
Ein Urteil über ein so‚gefundenes Konzept, die Beno-
tung eines Entwurfs, setzt zunächst eine möglichst
umfassende Kenntnis der Konsequenzen des Entwurfs-
konzeptes voraus. Benotung ist sodann Aussage über
den Grad der Erfüllung dieser Konsequenzen in Bezug
auf die an das Konzept gestellten Anforderungen, an-
hand der Bedeutung dieser Anforderungen (Gäfgen,
1963). Wir nennen ein Urteil, eine Benotung durchsich-
tig, belegbar, wenn
1. der Vollzug von Aussagen über den Wert (Bewertung)
eines Entwurfskonzepts, allgemein eines Wertträ-
gers,
2. aufgrund des Vollzugs von Aussagen (Beschreibung)
über das Entwurfskonzept, allgemein des Wertträ-
gers, intersubjektiv nachvollziehbar ist.
Wert bedeutet begrifflicher Gehalt (vgl. Kraft 1951,
S. 101), z.B. schlecht, besser, gut, nützlich, schön.
Es läßt sich auch sagen, Werte sind ideelle Gehalte,
die für einen Beurteiler Bedeutung haben, die für ihn
wertvoll sind (Leinfellner, 1967).
Bei näherer Betrachtung des Findens von Urteilen über
Studienarbeiten ergab sich zunächst,
1. daß die Anforderungen, die Gesichtspunkte, die Mo-
tivationen, nach denen ein Beurteiler ein Entwurfs-
konzept prüft, für den zu Beurteilenden, den Ferti-
ger eines Entwurfskonzeptes, und nicht selten auch
für den Beurteiler selbst nur ungenügend bekannt,
vorbewußt, kaum aber bewußt sind, und
2. daß die Gesichtspunkte oder die Bedeutung der Ge-
sichtspunkte für die Erstellung eines Entwuriskon-
zeptes oft verschieden von den Gesichtspunkten
sind, die der Beurteiler als Kriterien für seine Be-
urteilung verwendet.
Beispielsweise kann für den Entwerfenden "gute Form"
kein Gesichtspunkt beim Entwerfen sein, während der
Beurteiler diesen Gesichtspunkt als Kriterium für sei-
ne Beurteilung benutzt, oder für den Entwerfenden ist
"gute Form'' zwar ein Gesichtspunkt beim Entwerfen,
doch ist diese Anforderung für ihn weniger wichtig als
für den Beurteiler.
ARCH + 2 (1969) H.5