Full text: ARCH+ : Studienhefte für architekturbezogene Umweltforschung und -planung (1969, Jg. 2, H. 5-8)

Jan van der Meulen 
ARCHITEKTUR 
Baukunst und Baugeschichte 
Die Vermehrung des Wissens und der Ausbau der wissen- 
schaftlichen Hilfsmittel haben zuerst diejenigen Fächer in 
eine Krise geführt, deren Anspruch auf Universalität seit 
langem schon eine Verflachung ihrer Disziplinen verursachte. 
Das Maß an praktischer Ausrichtung, das dem Ausbildungs- 
wesen auf dem Gebiet der Architektur geblieben ist, hat 
es dagegen erlaubt, daß dieser Umstand eher von der 
Architektur als von der Baugeschichte erkannt worden ist. 
Während das Architekturstudium sich so sehr wissenschafts- 
fremd etabliert hat, daß in Fachkreisen die Frage ernsthaft 
gestellt werden kann, ob Forschung überhaupt notwendig 
sei, widersetzt sich allerdings die Kunstgeschichte - lies 
Baugeschichte - einer Neuordnung des Studiums, eben weil 
bei ihr die enge Verbindung von Forschung und Lehre vom 
Beginn des Studiums an immer gegeben sein mußte. Aus 
diesem Gegensatz heraus sollte es einer reformwilligen 
Generation deutlich sein, daß beide Fächer sich viel zu 
sagen haben. Aber statt einen konstruktiven Dialog zu 
führen, sieht die Baugeschichte bisweilen schweigend zu, 
wie sie als Fach ausaeschaltet werden soll. 
Technische Hochschule und Universität 
Schon die Worte unseres Themas "Baukunst" und "Bauge- 
schichte" beinhalten die einfachen Grundvoraussetzungen 
der jeweiligen Bildungsstruktur Kunst gegenüber 
Geschichte; das heißt subjektives Können gegenüber 
objektiver Geschichtswissenschaft (Dichtung gegenüber 
Wahrheit); die Kunstakademie gegenüber der philosophischen 
Fakultät; oder - wegen des Bauens noch näher präzisiert - 
die Technische Hochschule gegenüber der Universität. 
Es bedarf von beiden Seiten, sowohl von der Architektur 
wie von der Baugeschichte, einer aufrichtigen Klärung 
der Disziplinstrukturen - die bloße Terminologisierung der 
Frage, z.B. die Umbenennung der Technischen Hochschule 
in Universität im Falle Stuttgarts, hat bisher zu keinem 
Dialog geführt. 
Beide Fächer sind bereits in ihrer historischen Entwicklung 
derart befangen, daß auch diese kurz angeschnitten werden 
muß. 
Bevor die Baugeschichte hier das Gespräch eröffnen darf, 
muß sie ihre Berechtigung als Disziplin nachweisen. Die 
Baugeschichte ist primär eine objektive historische Diszi- 
olin. Als solche ist sie von der Kunstgeschichte grundsätz- 
lich nicht zu unterscheiden. Sie müssen beide gemeinsam, 
strengstens als systematische Wissenschaften erkannt, der 
subjektiven praktisch-schöpferischen Tätigkeit der Künste 
entgegengesetzt werden. Die mit den Künsten gemeinsame 
kunstkritische Analyse kann nur dann einsetzen, wenn das 
historische Wesen des Kunstwerks nachgewiesen worden 
ist (in bezug auf die Baugeschichte bildet das gemeinsame 
Feld die Architekturtheorie, siehe unten). Vor allem im 
Rahmen der praktisch-künstlerischen Architektenausbildung 
«ann diese entgegengesetzte, rein wissenschaftliche Quali- 
fikation der Baugeschichtslehre nicht zu stark betont wer- 
den. Es ist aber gerade die Bildungsstruktur der Technischen 
Hochschulen, die diese Voraussetzung im allgemeinen nicht 
berücksichtigt: dort wird die Baugeschichte beinahe aus- 
schließlich von Baukünstlern getragen. Das heißt, lediglich 
wegen des sekundären "technischen" Zusammenhangs mit 
dem "Bauen" wird in der Bildungsstruktur auf die Grundlage 
der ordentlichen philosophischen Disziplinen verzichtet. 
Die zunächst als praktische Hilfswissenschaft von Dörpfeld 
bis v. Gerkan entwickelte Ausgrabungswissenschaft, die 
sich auf dem überschaubaren Feld der klassischen Archäo- 
logie rasch zu hohem Ansehen emporarbeiten konnte, bleibt 
von dieser Feststellung unberührt. 
Wir sehen also, daß trotz der klaren Voraussetzungen der 
Baugeschichtswissenschaft es eine gewisse Unvereinbarkeit 
zwischen Bildungsstruktur und Aufgabe an den Fakultäten 
für Bauwesen gibt. Wenn gerade in Deutschland der her- 
kömmliche Kern des Berufsbildes "Architekt" zu einer Zeit 
in Frage gestellt wird, in der die Architektur teilweise in 
die "Universität" aufgenommen wird, dann geschieht dies, 
weil der Beruf hier noch nie einer Disziplin im Sinne der 
Universität unterworfen werden konnte. (Es ist bezeichnend, 
daß, während der schwer faßbare herkömmliche Berufskern 
nach wie vor von dem einzelnen "Architekten" bewältigt 
werden sollte, die neu hinzukommenden technischen Er- 
rungenschaften jeweils Spezialberufe ausbildeten, z.B. 
Akustiker, Klimatechniker u.a.) Die Erwerbskünste, zu 
denen wir bis heute die Architektur zählen müssen, bildeten 
seit der Antike einen Gegenbegriff zu den artes liberales, 
die noch an der mittelalterlichen Universität die philoso- 
phische Vorstufe der "höheren Fakultäten" darstellte und 
im Gesamtrahmen des studium generale nach wie vor den 
Gegenbegriff zum studium particulare, dem wissenschaftlich 
subalternen Studium, bildete. Ob die damals auftretenden 
großen Baumeister (wie Villard d’ Honnecourt oder Hugues 
ARCH +2 (1969) H.5
	        
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