positiv-zukunftsaufgeschlossene Einstellung als auch die
innerliche Zurückweisung aller Herausforderungen durch
die Zukunft schaffen soziale Mechanismen der sich selbst
erfüllenden Prognose.
Öffentliche und private Erwartungen an eine nahe oder
fernere Zukunft in Gestalt von Hoffnungen oder Befürch-
tungen, von Zielbildungen oder Planungen steuern bereits
heute und hier Verhalten und Entscheidung und formen
in unzählbaren Einzelschritten jene soziokulturellen Kon-
stellationen, die dann als Chancen oder als Hindernisse
für die Realisierung technischer und sozialer Entwicklungen
wirksam werden. Dies gilt vor allem für die gefühlsmäßigen
oder bewußten Antworten, die sich der einzelne oder ganze
Gruppen auf die Frage geben, ob die private oder die ge-
meinsame Zukunft sinnvoll vorbereitet werden kann, oder
ob sie sich dem planenden und gestaltenden Zugriff ent-
zieht.
Ein Beispiel für solche Mechanismen bietet etwa die
Volksbildung in Deutschland: Wir brauchen nur daran zu
denken, daß sich Schüler, die heute in die Grundschule
eintreten, 1985 am Ende ihrer beruflichen Ausbildung und
im Jahre 2000 in ihrer vollen menschlichen und sozialen
Entfaltung befinden werden. Dennoch machen unsere
erziehenden Institutionen kaum je konkrete und wissen-
schaftlich begründbare Versuche, sich diese Welt zwischen
1985 und 2000 auch nur einigermaßen präzise zu vergegen-
wärtigen, um sie den Heranwachsenden vorstellbar zu
machen.
Selbst in den gegenwärtig diskutierten Bildungsplänen
fehlt jede systematische und ernsthafte Auseinandersetzung
mit der Zukunft. Charakteristisches Beispiel hierfür sind
die gegenwärtig in Gebrauch befindlichen Lesebücher
oder die Schulbücher für die sogenannte "Gemeinschafts-
kunde". Sie bieten dem Heranwachsenden noch immer ein
romantisch idealisierendes Bild einer ständisch organisier-
ten Agrargesellschaft an oder entwerfen in schöner Ein-
mütigkeit ein verpflichtendes Muster der weiblichen Rolle
in der Gesellschaft, das ein Leitbild weiblichen Daseins
reproduzieren soll, wie es schon 1880 nicht mehr unbe-
stritten hingenommen wurde. Hier begegnen wir dem
Versuch wohlmeinender aber ratloser Menschen die Ver-
gangenheit zur Zukunft zu machen.
Aber nur eine Erziehung, die schon heute ihre Ziele und
Gehalte auch an den erwartbaren sozialen, kulturellen,
technischen und geistigen Bedingungen der Zukunftsge-
sellschaft orientiert, kann für die Heranwachsenden motiv-
bildend und in wirksamer Weise lebensvorbereitend wirken.
Bildungsinstitutionen aber, die sich in ihrer Selbstdeutung
und in ihrer selbstgewählten Aufgabe von den Möglichkei-
ten und Aufgaben der modernen Gesellschaft isolieren,
schaffen Mechanismen der sich selbst erfüllenden negativen
und regressiven Prognosen.
Gleich wichtig ist es für uns alle, daß auch die Menschen,
die heute zwischen 30 und 40 Jahre alt sind, noch an
technologischen und sozial-kulturellen Umwälzungen
teilhaben werden, die die erste industrielle Revolution
nach Tiefgang und Reichweite sehr wahrscheinlich noch
übertreffen.
Dennoch verfügt unsere Gesellschaft bisher kaum über
Institutionen und organisierte geistige Potenzen, die sich
sinnvoll und verantwortlich mit den Chancen der modernen
industriellen Großgesellschaft auseinandersetzen. Die
sachgerechte Sammlung, Analyse, Dokumentation und
Aufbereitung der Ergebnisse der Zukunftsforschung stellt
deshalb eine außerordentlich wichtige Aufgabe dar. Ein
möglichst breiter Menschenkreis sollte seriöse, auf wis-
senschaftlichen Strukturanalysen beruhende Prognosen der
Entwicklung von Mensch und Gesellschaft kennen und sie
zu unterscheiden lernen von den Ausdrucksformen eines
realitätsflüchtigen Wunschdenkens ebenso wie von den
sensationsbetonten Schreckbildern jener technischen Uto-
pien, die sich mit antidemokratischen Menschenbildern
und autoritären Gesellschaftskonzeptionen verbinden.
Mustert man die gegenwärtig zugänglichen Einzelvorher-
sagen und gesamtgesellschaftlichen Prognosen durch, so
zeigt sich, daß technologisch zentrierte Zukunftsvisionen
von der sich immer mehr erweiternden "Machbarkeit" der
Welt fasziniert sind, daß sie gleichzeitig aber fast durch-
gehend keinerlei Berücksichtigung der Methoden und Er-
kenntnisse der modernen Verhaltensforschung und der
Sozialpsychologie erkennen lassen
Hier dürfte sich die Tatsache auswirken, daß viele dieser
Schriften optimistische oder drohende Visionen entwerfen,
die in ihren Aussagefunktionen und in ihren letzten Zielen
weniger auf Erkenntnis gerichtet als normativ und politisch
intentioniert sind. Dabei werden oft keineswegs notwendige
Informationslücken durch persönliche Wertsetzungen und
Geschmacksurteile geschlossen. So wird die Auseinander-
setzung mit der Weltdimension der Zukunft immer wieder
durch Bezugssysteme geformt, die ungeprüfte psychologische
soziologische und politische Voraussetzungen verabsolutie-
ren und zurückliegende private Lebenserfahrungen in
gesamtgesellschaftliche Prognostik umsetzen.
Diese Einsicht drängt sich bei der Diskussion inhaltlicher
Aussagen über Wandlungen des menschlichen Verhaltens
und über künftig erwartbare Formen des Zusammenlebens
auf. Dabei begegnet man einer Vielzahl von Menschen,
die solche Wandlungen schon a priori als "unmöglich"
kateaorisieren.
"Philosophische" Entscheidungen darüber, was möglich
und was unmöglich ist, aber stellen eine praktisch durch-
aus wirksame und viele Menschen beeindruckende Ein-
schränkung und Tabuisierung schöpferischen Denkens dar.
Und dies, obgleich faktisch hier aus bloßen Vorurteilen,
aus Plausiblitätsannahmen sowie bestenfalls aus einer
Soziologie geschlußfolgert wird, die selbst vorrangig die
Funktion einer restaurativen Gesellschaftsphilosophie
übernimmt.
In sozialpsychologischer Analyse erweisen sich solche mit
der "menschlichen Natur" operierende Unmöglichkeits-
postulate als die anspruchsvolle Formulierung unreflek-
tierter Überzeugungen genau identifizierbarer Gruppen
oder als Ausdrucksformen eines stilistisch gehobenen
common sense der Träger einer musisch-literarischen,
dabei aber wirtschaftsfernen und antitechnischen Menta-
lität. Stets aber wollen die Wortführer restaurativer und
regressiver Mentalität bestimmte Deutungen und Eigen-
schaften des Menschen von jeder Möglichkeit der Wand-
lung ausschließen. Als wünschenswert oder gar als not-
wendig gedeutete Eigenschaften heißen dann "wesentlich"
"echt" oder - wenn sie in sehr deutlichem Widerspruch
zur Erfahrung stehen - auch "eigentlich".
Gleiches gilt für den Bereich der normativen Orientie-
rungen: Hier werden unterschiedliche Auswahlsätze tra-
ditioneller Vorstellungen von Ursprung und Funktion ver-
haltensregulierender Pflichten und Ziele als "ewige" Werte
und Normen gedeutet, die einerseits in der menschlichen
Natur mit Notwendigkeit verankertund deshalb unwandelbhar
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