Full text: ARCH+ : Studienhefte für architekturbezogene Umweltforschung und -planung (1970, Jg. 3, H. 9-11)

des dienstleistenden Kleinbürgertums gebracht hat (3). 
Die Verschlechterung der materiellen Lage des Klein- 
bürgertums durch seine Vermassung hat bei technologisch 
notwendiger, extensiver Vergesellschaftung des Bil- 
dungsprivilegs eine Reservearmee auch des qualifizierten 
Teils des Kleinbürgertums, der technischen und bürokra- 
tischen Intelligenz geschaffen. Damit hat sich unter 
ihnen die Konkurrenz vergrößert und die Ausbeutung 
durch das Kapital verschärft, der aus mangelnder Selbst- 
organisation keine Schranken gesetzt sind. "Der kom- 
merzielle Arbeiter produziert nicht direkt Mehrwert. 
Aber der Preis seiner Arbeit ist durch den Wert seiner 
Arbeitskraft bestimmt, während die Ausübung dieser 
Arbeitskraft als eine Anspannung, Kraftäußerung und 
Abnutzung keineswegs durch den Wert seiner Arbeits- 
kraft begrenzt ist (4)." 
In ihrer Funktion, die Exploitation der menschlichen 
Arbeitskraft zu optimieren und die von ihr zu diesem 
Zweck verbesserten Produktionsmittel für die Kapital- 
verwertung einzusetzen, erfährt die Intelligenz gleich- 
zeitig die eigene, zunehmende Ausbeutung und Trennung 
von den Produktionsmitteln. Damit sind die objektiven 
Bedingungen eines mit dem Proletariat gemeinsamen 
Interesses zur Aufhebung der Ausbeutung hergestellt. 
Durch die Nebel ihrer Ideologie, die sie bisher als Ideo- 
log des Kapitals auftreten ließ, wird sie, wie die Uni- 
versitätsrevolte beweist, ihrer Klassenlage, die sie mit 
dem Proletariat teilt, zunehmend inne. 
Damit beginnt sich Benjamins Forderung, der Intellektu- 
elle solle seine Technik für den Klassenkampf einsetzen. 
heute in einem anderen Sinne zu verifizieren, als sie 
vielleicht von ihm gestellt war: die Intelligenz als 
eine dem Proletariat gegenüberstehende, revolutionäre 
Avantgarde zu verstehen, die sich für dessen Interessen 
und Nutzen im Klassenkampf einsetzt, ist, von der re- 
volutionären Effektivität her gesehen, schon immer frag- 
würdig gewesen. Sie muß heute als appelative Forderung 
verstanden werden, aus der Erkenntnis der mit dem Pro- 
letariat gemeinsamen Klassenlage die eigene Ausbeu- 
tung als Moment der allgemeinen zu bekämpfen. Weniger 
denn je ist heute die Forderung als eine intellektuelle 
Teilnahme am Klassenkampf interpretierbar, sondern sie 
knüpft materialistisch an die eigene Position im Produk- 
tionsprozeß an: die Intelligenz muß sich selbst als Sub- 
jekt der Revolution begreifen. 
Die Darstellung der konkreten Funktion des Architekten 
im Klassenkampf, den er, wie allgemein an der Lage der 
Intelligenz umschrieben wurde, zur Durchsetzung seiner 
eigenen unterdrückten Bedürfnisse führen muß, setzt die 
Reflexion seiner konkreten Funktion im gegenwärtigen 
Produktionsverhältnis voraus. Sie wird definiert durch 
sein Verhältnis zu den Produktionsmitteln, mit deren 
Hilfe er produziert bzw. produzieren wird, 
Die vulgäre Auffassung bringt den Begriff der architekto- 
nischen Produktionsmittel mit der Technologie der 
Bauindustrie zur Deckung. Sie unterschlägt das 
neben der Industrie konstituierende Moment architektoni- 
scher Produktion: das primäre Produktionsmittel in der 
Form des Naturelementes Boden. Die Erweiterung 
des Begriffes bringt die Anerkennung der geistigen Pro- 
duktionsmittel, die Mittel zur Planung in Form erarbeite- 
ter Methoden und Konstruktionsschemata und Baugesetzen, 
als ein die materiellen Produktionsmittel ergänzendes 
Moment. Von allen dreien kann der Architekt nur über 
eines wirklich verfügen: über die geistigen Produktions- 
mittel, über seine Ideologie. 
Die Ideologie des Architekten realisiert sich als ein Be- 
wußtsein, das von der Illusion, die er sich über die öko- 
nomisch-politische Funktion seiner Tätigkeit macht, aus- 
geht und sie auf das architektonische Produkt überträgt, 
das als durch den Gedanken hervorgebracht erscheint. 
In der Anwendung der bekannten Dialektik, nach der die 
Gedanken nichts als die himmlischen Formen der ökono- 
mischen Bedingungen sind, hat der Architekt für seinen 
Kapitalherrn seine ganz bestimmte Fungibilität. Die 
kulturellen Normen, die er mit Hilfe seiner Planungs- und 
Kalkulationstechnik als Bauwerk aufrichtet, helfen dem 
Auftraggeber, das Bauwerk rentierlich zu verwerten. Es 
sind dies Normen, die den Rechts- und Eigentumsvor- 
stellungen der vorkapitalistischen Welt angehören, die 
Normen für Grundrisse, die vorgeben, es existierten noch 
allgemeingültige und als vernünftig anerkannte Bedürf- 
nisse, die in solch bestimmten Formen sich eingrenzen 
ließen. Im Festhalten vergangener Produktionsverhältnis- 
se durch seine Ideologie wird die von ihm vorgeschlagene 
Lösung der "Wohnungsfrage" zur radikalen Lösung: Er 
trennt im Wohnbereich die Arbeiterklasse von sich selbst 
und zwingt sie, nach Zerlegung ihres Lebens in "Funk- 
tionen", den Wohnbereich als den einzigen Regenera- 
tionsbereich ihrer Physis anzuerkennen, sich individuell, 
im Rahmen vereinzelter Familien zu reproduzieren. Das 
Subjekt seiner Technik ist nicht der Arbeiter, sondern die 
bürgerliche Individualität. 
Der in seiner "Wissenschaft" ausgebildete Architekt, der 
in den Produktionsprozeß als Verwalter oder Organisator 
des Mehrwertes eintritt, findet an seinem Arbeitsplatz, 
dem öffentlichen oder privaten Kontor, einen objektiven 
Produktionsorganismus als fertige, materielle Produk- 
tionsbedingung vor. Zwischen die materiellen Produk- 
tionsmittel und ihn haben sich die Institutionen der 
Grund- und Kapitalinteressen geschoben, die ihm fest- 
gelegte "Programme" zuteilen, zu deren Ausführung er 
sich beeilt. Abgetrennt von seinen Verwirklichungsmit- 
teln, nur mit seiner Ideologie ausgerüstet, erscheint es 
zufällig, ob er vereinzelt oder kooperativ, als "Selb- 
ständiger" oder "Angestellter" arbeitet, anders als in 
der Groß-Industrie, wo der kooperative Charakter als 
durch die Natur des Arbeitsmittels selbst diktierte Not- 
wendigkeit erscheint. Es fehlt jeder organisatorische Zu- 
sammenhang, der die Architekturproduzenten, das Heer 
der Arbeiter in der Baustoffindustrie, der Baumaschinen- 
industrie, der Hoch- und Tiefbaubetriebe und der techni- 
schen, wie auch verwaltenden Bürokratie, zur Durch- 
führung ihrer eigenen, gesellschaftlichen Interessen zu- 
sammenschließt. Dieser Zusammenhang ist nur an sich, 
als fachliche Interdependenz verschiedener Kapitalgrup- 
pen gegeben; der Architekt vermochte bisher nicht, diese 
Interdependenz auch für sich durch wissenschaftliche odeı 
gar politische Kooperation herzustellen. 
Wie stellt sich das Verhältnis des isoliert Programme 
verarbeitenden Architekten zu seinem unmittelbaren 
Produktionsmittel, zur Bauindustrie dar? 
Innerhalb des Universums der monopolkapitalistischen 
Produktion findet der Architekt in der Bauindustrie einen 
nicht nur relativ, sondern absolut veralteten Apparat vor 
ARCH+ 3 (1970) H. 9
	        

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