Full text: ARCH+ : Studienhefte für architekturbezogene Umweltforschung und -planung (1970, Jg. 3, H. 9-11)

Sie wird von ihrer aus der vorindustriellen Zeit in die 
Gegenwart herübergeretteten, vorwiegend ständischen 
Struktur bestimmt. Diese figuriert in der Neigung der 
Bauindustrie zur Organisation der Arbeit in Klein- bzw 
Mittelbetrieben auf der Grundlage handwerklicher Tra- 
dition (5). Die Zersplitterung des mit Recht sogenannten 
Baugewerbes in lokal gebundene, in lokaler Konkurrenz 
zueinander stehende Betriebe wird verstärkt durch die 
Gewohnheit, für jedes Produkt eine eigene Baustelle 
einzurichten und nach der willkürlichen Reihenfolge der 
eintreffenden Bauaufträge eine unzusammenhängende 
Kette von Produktionsstätten zu durchlaufen. Die vor- 
industrielle Organisation der Arbeit verzögert die Ein- 
führung industrieller Fertigungsmethoden, die zu ihrem 
Ziel die Verlegung der "Baustelle" in die Fabrik hätten 
Der Anteil der Fertigteil-Produktion an der Gesamtpro- 
duktion mit 5,6 Prozent ist weit geringer als in der 
Großindustrie (6). Der geringe Industrialisierungsgrad 
schlägt sich in den Produktionskosten nieder, die durch 
das Verhältnis von hohen Lohnkosten und geringem 
"fixen" Kapital bestimmt werden, ein Verhältnis, das 
beim Ausgleich der Durchschnittsprofitrate zwischen den 
einzelnen Industriezweigen nur relativ geringe Gewinne 
ermöglicht. "Die Bauwirtschaft liegt mit ihren Gewinnen 
am Ende der Skala aller Branchen (7).'" Die niedrige 
Rentabilität wird mitbedingt durch die Rancune des Bau- 
gewerbes gegen Planung der Arbeitsorganisation (8) und 
durch die geringe Auslastung des in viele Bauparzellen 
zersplitterten Maschinenparkes. Die Vielzahl von Spe- 
zialgeräten, die infolge kleiner Bauaufgaben und der 
wechselnden Wetterverhältnisse nicht kontinuierlich 
eingesetzt werden können, verursachen hohe "tote 
Kosten". "Das Bauhauptgewerbe (Anm.: im Unterschied 
zur Zulieferungsindustrie) ist als Bereitschaftsgewerbe 
gezwungen... den Maschinenpark auf Beschäftigungs- 
spitzen auszulegen. Das bedeutet hohe Fixkostenbela- 
stung (9). " Infolge der diskontinuierlichen Auslastung 
ihrer Produktionskapazität krankt das Baugewerbe an 
gleichzeitiger Über- und Unterkapazität. Der Mangel 
an Kapital und die daraus resultierende Unmöglichkeit, 
die Investitionen selbst zu finanzieren, hat die Kapital- 
struktur in Relation zur Großindustrie weiter verschlech- 
tert. 
Im Versuch der Bauindustrie, ihre Produktion zu ratio- 
nalisieren, um über neu zu erobernde Exklusivmärkte den 
Anschluß an die hohen Profite der Großindustrie zu 
finden, zeichnet sich die Funktion des Architekten ab: 
In einer Sphäre, in der die Buchführung noch durch 
Handschlag ersetzt, Bauaufträge durch Bestechung in 
Form von Naturalrente erlangt werden, erscheint die 
Konzentration des Baugewerbes zu einer kapitalintensi- 
ven Großindustrie als ein ungeheuverlicher Schritt. Das 
Baugewerbe erwartet daher vom Architekten Vorschläge 
die die Spezialisierung der nach wie vor ständisch or- 
ganisierten Baubetriebe vorantreiben und ihre Koopera- 
tion innerhalb von Preiskartellen und Syndikaten einlei- 
ten sollen (10). Dadurch soll das schwankende Gewinn- 
risiko beseitigt und die noch vorhandene regionale 
Konkurrenz abgebaut werden. Die Gewinnung never 
Märkte wird von der Bauindustrie nicht als geographische 
Ausweitung, sondern als intensive Nutzung des nationa- 
len Marktes aufgefaßt, der "durch Forschung, durch 
Deckung von Bedarfslücken, durch Ausspähung von An- 
gebotsnischen erobert werden kann (11)". 
Der für den Architekturbetrieb heute verantwortliche 
Architekt, von tendenzieller Arbeitslosigkeit bedroht 
( 
unterwirft sich diesen Forderungen, noch ehe sie ihm 
von der Bauindustrie gestellt werden. In dieser Intention 
fordert Architekt Jörn Jansen eine Bauplanung, deren 
Aufgabe darin besteht, "ein Maximum von Wissen... zur 
Lösung der gestellten Aufgaben zu koordinieren, die 
Dispositionen und Beschaffungen, die für die gewünschte 
Nutzung erforderlich sind, zu leiten... Aufgrund der 
Tatsache, daß Forschung, Produktion und Nutzung kon- 
tinvierliche Prozesse sind, programmiert die Bauplanung 
diese Prozesse." Die personalisierte Bauplanung hat 
Selbstbewegung: sie produziert und programmiert ihren 
eigenen Prozeß; sie kompiliert "Wissen", um der "ge- 
wünschten Nutzung" optimale Voraussetzungen zu schaf- 
fen. Wem nützt die Nutzung und wer wünscht sie daher? 
Jansen, der einen Graben der Wertfreiheit für seine 
Wissenschaft ausgehoben hat, kann von ihm aus "getrost 
unterstellen, daß gesellschaftlicher Nutzen individueller 
Nutzen einschließt", weshalb Planungsaufgaben "prin- 
zipiell anonym" zu interpretieren seien. Weigert sich 
Jansen, den Zusammenhang der gewünschten Nutzung 
mit ihrem Adressaten herzustellen, so wird dieser Zu- 
sammenhang durch die Angabe der Gliederung der Nut- 
zung auf den Begriff gebracht: "Nutzungen sind geglie- 
dert nach den Regulativen der Arbeitsteilung. . . 
Produktion, Verwaltung, Bildung, Wohnen." In der 
Gliederung der Nutzung nach "Regulativen" wird die 
Personalunion von Auftraggeber und Nutznießer, das an 
profitabler Arbeitsteilung existentiell interessierte Ka- 
pital der Bauwirtschaft und des Bodeneigentums sichtbar. 
Nach der Absprache mit dem Auftraggeber über die 
"gewünschte Nutzung" gehört es nunmehr zur nicht un- 
billig geforderten Pflicht des Architekten, die Planungs- 
aufgabe "prinzipiell anonym" zu interpretieren. Planung 
soll, nach Jansen, in den Verwertungsprozeß des Kapi- 
tals nur eingreifen, um auftauchende Disparitäten der 
Verwertung - ungenügende Nutzung - auszugleichen. 
"Jedes System... benutzt Bauten als betriebstechnische 
Hilfsmittel. Treten im System Fehler und Mängel auf, 
dann entsteht damit ein Planungsproblem (11a).'" Das 
System ist das Kapital und das Bauwerk sein Betrieb, der 
Planer Erfüllungsgehilfe zur Beseitigung der innerbetrieb- 
lichen Mängel. Von den durch die Planung Betroffenen 
ist nicht die Rede. 
Der Exkurs zur Position des apologetisch argumentieren- 
den Architekten erhellt, wie die politische Tendenz, die 
Affirmation der bestehenden Produktionsverhältnisse, 
seinen Vorschlägen zur Rationalisierung nur eine "sy- 
stem'"'-immanente Funktion zukommen kann: die Ratio- 
nalisierung der Waren-Qualität, mit der Architektur 
gehandelt werden soll, zu betreiben. Mit Hilfe seiner 
Technik beliefert der Architekt den Produktionsapparat 
der Bauindustrie. 
Die Rationalisierungsvorschläge des Architekten erfüllen 
sich nach dem im Monopolkapitalismus üblichen Doppel- 
sinn eines beschränkt technologischen Fortschrittes bei 
gleichzeitiger Optimierung des Mehrwertes. Bei Modi- 
fizierung der Struktur der Bauindustrie zur innerbetrieb- 
lichen Kooperation, in der die einzelnen Betriebe recht- 
lich selbständig und wirtschaftlich unabhängig bleiben, 
wird es möglich, eine bewußt partielle Rationali- 
sierung durchzuführen: anstatt sie unter dem Aspekt 
einer optimalen Industrialisierung des Bauens bei gleich- 
zeitiger Reduktion der menschlichen Arbeit zu betreiben, 
werden die gängigen, nur schwer industrialisierbaren 
Baustoffe, wie Ziegel, Holz und Beton, und die aus ihnen 
entwickelten Baukonstruktionen zur Grundlage verbesser- 
ARCH+ 3 (1970) H. 9
	        

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