Full text: ARCH+ : Studienhefte für architekturbezogene Umweltforschung und -planung (1970, Jg. 3, H. 9-11)

Der Gegenstand langfristiger Beschäftigung der Bauin- 
dustrie sollte der Ausbau der Infra-Struktur, vor allem 
der öffentlich geförderte "soziale Wohnbau" sein. 
Am Wohnungsbau zeigt sich die Schranke, auf die die 
Forderung nach Ausdehnung der Surplusabsorption stößt: 
auf die Schranke der vereinigten Interessen von Indu- 
striekapital und Grundbesitz, die darauf drängen, die 
Surplusabsorption gesellschaftlich unproduktiv durch- 
zuführen, dies, um die Stabilität der Klassenstruktur, 
unter der produziert wird, zu erhalten. Investitionen, 
durch die die massenhafte Befriedigung kollektiver Be- 
dürfnisse realisiert werden könnte, unterbleiben. Die 
Surplusverwertung wird auf Gebiete verlagert, wo das 
Bedürfnis der beiden Kapitalklassen nach gesellschaft- 
lich unproduktiver, das heißt, nur für sie produktiver 
Verwendung der Investitionen zusammentrifft, mit der 
Chance, durch sie ursprünglich kollektive Bedürfnisse 
als individuelle zu produzieren und als individuelle 
befriedigen zu können. Das Feld geplanter Vergeudung 
ist zur Zeit in der BRD der Autobahnbau (18). 
Die langfristig organisierte Surplusabsorption auf dem 
Gebiet des "sozialen" Wohnungswesens bedroht das 
Sonderinteresse des Grundeigentums, ein großes Ange- 
bot von Wohnungen mit niedrigen Mieten brächte den 
Markt, an dem sie als Ware gehandelt werden, ins 
Wanken. Die Produktion von Wohnbauten basiert unter 
dem Einfluß des Grundkapitals auf der Konstanz der 
Summe aller Wohnungen unter Ausschluß der je unren- 
tierlichsten, womit das Motiv zur kontinuierlichen 
Slumsanierung gefunden ist. 
Die Konstruktion der Miete liefert für das städtische 
Grundeigentum die Basis für sein "Recht", die Grund- 
rente einzutreiben. Die Grundrente ist das eigentliche 
Geheimnis der Versteinerung des als Ware gehandelten 
Wohnungsbaues; Moment dieser Versteinerung ist die 
technologische Rückständigkeit der Bauindustrie, welche 
dem Grundeigentum die Grundrente zu realisieren hel- 
fen muß. Für das Grundeigentum erscheint es als unab- 
dingbare Voraussetzung seiner Rentier-Existenz, die 
Legitimation für das Eintreiben der Miete bzw. der 
Grundrente darzustellen: es gilt, die Annexion der Woh- 
nung durch den Boden und den mit ihm verbrieften 
Rechte bautechnisch nach außen auszudrücken. Die 
Ideologie des Grundeigentums fordert demnach eine 
Produktionsweise, die auf die Fertigung immobiler 
Bauten und deren Individualisierung nach Parzellen aus 
gerichtet ist. Die Bauindustrie wird durch Erfüllung 
dieser Forderung gezwungen, von einer Parzelle zur 
anderen zu wechseln und bleibt dadurch auf der Stufe 
eines abhängigen Subunternehmens oder Reparaturbetrie- 
bes stehen. 
Zusammenfassend kann gesagt werden, daß die Rückstän- 
digkeit der Bauindustrie als der unmittelbare Ausdruck 
der antagonistischen Interessen von Boden- und Industrie- 
kapital sich darstellt. Eine Rationalisierung, die an die 
in Verkrüppelung gehaltene Struktur des Baugewerbes 
anknüpft, kann keine qualitativ veränderte Produktions- 
weise und können keine qualitativ veränderten Produkte 
- Wohnungen - hervorbringen (19). Da die Rückständig- 
keit der Bauindustrie integrales Moment staatlicher 
Politik ist, diese selbst nur der Ausdruck divergierender 
Kapitalinteressen sein kann, ist die Forderung nach ver- 
mehrter staatlicher Subventionierung oder Verstaatli- 
chung der Bauindustrie falsch gestellt. 
Die dem Architekten heute zugewiesene Funktion, die 
Gewinne der Bauindustrie und die Miete zu maximieren. 
wäre unverändert. Die Forderung nach Aufhebung des 
Privateigentums am Produktionsmittel Boden und damit 
der kapitalistischen Form der Grundrente erscheint als 
der richtige politische Ansatz zur Lösung der "Wohnungs- 
frage", die in der Verwandlung der Wohnung in ein 
Produktionsmittel für die Arbeiterklasse besteht. 
Die dafür grundlegende Strategie des Architekten; der 
die gesellschaftliche Aneignung der architektonischen 
Produktionsmittel vorzubereiten sich zur Aufgabe macht, 
kann nur aus der konkreten Analyse des konkreten histo- 
rischen Verhältnisses des Bodenkapitals innerhalb des 
gesellschaftlichen Gesamtprozesses gewonnen werden. 
IV 
Das Bodeneigentum als Form der privaten Aneignung von 
Mehrwert beschäftigt die Nationalökonomie nur am 
Rande, sehr im Widerspruch zu seiner realen Bedeutung 
für die agrikole und industrielle Produktion. Sie bleibt 
die Erklärung über die bewegliche Natur, des Bodens als 
Ware, als Kapital, das die Grundrente produziert, schul- 
dig. Die Unfähigkeit der bürgerlichen Ökonomen - zu 
diesen zählt auch der "betriebswirtschaftlich" kalkulie- 
rende Architekt -, diese Frage zu beantworten, resultier! 
aus ihrer gesellschaftlichen Position, die sie nach Marx 
"als Wortführer des industriellen Kapitals" auftreten 
läßt. Der frühbürgerlichen Ökonomie war der Konflikt 
von industriellem Kapital und Bodeneigentum noch Ge- 
genstand einer breit ausgelegten Diskussion. "Die ganze 
Frage des Freihandels ist ein Streit um die Höhe des Brot 
preises und damit um die Höhe der Löhne gewesen (20). " 
Die Grundrente in ihrer Verwandlung zum Moment der 
Miete kann nur aus der Dialektik, in der sie zu den 
Löhnen steht, -also auf der Basis des Verhältnisses von 
Kapital-Lohnarbeit, entwickelt werden. Wesentlich für 
die Rekonstruktion der Grundrente ist es, den Sprung 
aufzusuchen, mit welchem sich der durch die kapitali- 
stische Produktion produzierte Mehrwert in Rente und 
Profit aufspaltet. 
"Zentral (ist)... die Frage, woher nach Angleichung 
des Mehrwertes unter den verschiedenen Kapitalien... 
der überschüssige Teil dieses Mehrwertes stammt, den das 
im Boden angelegte Kapital in der Form der Grundrente 
an den Grundeigentümer zahlt (21)." 
Die einfachste und ursprünglichste Form der Rente ist die 
Arbeitsrente, die in der direkten Aneignung der Ar- 
beitskraft durch den Grundeigentümer qua Feudalherrn 
besteht. Mehrarbeit, Mehrwert und Rente fallen hier 
noch zusammen. Mit der Abgabe von agrikolen Produkten 
anstatt unmittelbarer Arbeit verwandelt sich die Arbeits- 
rente in Produktrente. Der qualitative Umschlag von 
Produktrente, die Arbeitsrente war, in Grundrente, die 
eine Geldrente ist, entsteht mit der Zwischenschaltung 
des Pächters zwischen Grundeigentümer und 
Arbeiter. 
Die Rente sinkt von der normalen Form des Mehrwertes 
herab zum Überschuß des Mehrwertes über den Teil, der 
vom Pächter in der Form des Profites angeeignet wird. 
Der Pächter-Kapitalist gibt nur einen Teil des exploitier- 
ten Mehwwertes an den Grundeigentümer weiter. Mit 
Unterscheidung von Profit und Grundrente wird von Marx 
das Verhältnis von Kapitalist-Grundeigentümer definiert 
als ein Verhältnis, das antagonistische Interessen be- 
ARCH+ 3 (1970) H. 9
	        

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