Full text: ARCH+ : Studienhefte für architekturbezogene Umweltforschung und -planung (1970, Jg. 3, H. 9-11)

Im Hinblick auf die eingangs skizzierten Entwick- 
lungen erscheint eine solche Begriffsausweitung ange- 
bracht zu sein. Außerdem ist eine Erweiterung der 
betrachteten Raumnutzungsarten angebracht: auch die 
Entnahme von 9, aus der Luft, die Erzeugung von 
CO,, Abwässern und Müll, die Teilnahme am Verkehr 
sind Raumnutzungen. 
Wie jede Planung ist Raumordnung zukunftsorientiert, 
denn Planung bedeutet ja gerade den Gegensatz zu 
"in den Tag hinein leben'', "den lieben Gott einen 
guten Mann sein lassen'', "kommt Zeit, kommt Rat'' 
und ähnlichen Maximen (damit erweist sich das 
Thema dieses Vortrages bei genauerem Zusehen als 
Pleonasmus). 
Alle in (I) angedeuteten Probleme sind Aufgaben für 
die so verstandene Raumordnung: wie sollte die 
Nutzung welcher Räume im Hinblick auf welche Zu- 
künfte in wessen Interesse geplant werden? Im folgen- 
den sollen einige prozedurale Aspekte der Raumord- 
nung erörtert werden. Denn es mag zwar erbaulich 
und auch nützlich sein, Visionen zukünftiger Ansied- 
lungsweisen zu entwickeln, aber wichtiger und 
schwieriger als denkbare Zukünfte auszudenken ist 
das Problem der Entscheidung, welche Zukunft '"man'' 
herbeiführen will und soll, und wie sie dann tat- 
sächlich in die Wege geleitet werden kann. 
3. Zentrale Fragen 
Damit ergeben sich die Fragen: 
was ist die Natur des Wissens, auf das sich die 
Raumplanung abstützt, und wie hängen Pläne von 
diesem Wissen ab? 
wer soll planen? wie erhält der Planer seine 
Legitimation von denen, für die er plant? 
was macht ihn zum Experten des Planens ? 
was ist das Verhältnis des Planers zur Macht ? 
wie implementiert man Pläne angesichts von 
Interessenkonflikten ? 
Diese Fragen sind nicht spezifisch für die Raum- 
ordnung, sie sind typisch für alle Arten ernstge- 
meinter Zukunftsforschung, die sich nicht auf 
"akademische'' Spekulationen beschränken will oder 
nur, bewußt oder nicht, etablierte Herrschaftsver- 
hältnisse bestärken will. 
Im Folgenden werden einige Aspekte dieser Fragen 
erörtert, um daraus einige Schlüsse für den Entwurf 
von Planungssystemen zu ziehen. 
Zunächst sollen verschiedene Argumentationsformen 
diskutiert werden, wie sie häufig benutzt werden, 
um zu Grundlagen für die Raumordnung zu gelangen. 
4. Das Argument von der Überbevölkerung 
Um zu Grundlagen für die Raumordnung zu gelangen, 
liegt es nahe, zunächst nach quantitativen Faktoren 
zu suchen, welche grundsätzlichen Schranken für die 
Planung setzen. Angesichts der Bevölkerungsexplosion 
scheint vor allem die Enge des verfügbaren Raumes 
eine kritische Größe zu sein. Zum Beispiel: welche 
Siedlungsformen sollte man ausschließen, weil sie 
angesichts des Bevölkerungsdruckes nicht ratsam 
sind (da sie ohnehin bald revidiert werden müßten). 
Von den etwa 500 Mio gkm Erdoberfläche ist etwas 
mehr als ein Viertel Festland (großenteils äußerst 
unwirtlich), wobei Polarregionen und unbewohnte 
Inseln nicht eingerechnet sind. Bei einer Bevölkerungs- 
zahl von etwa 3, 5 Milliarden entfallen somit 4 Hektar 
Festland auf die Person. Für die Frage der angemes- 
senen,'' zukunftsorientierten'' Siedlungsformen ist 
dieser Flächenanteil um Größenordnungen zu groß, 
um daraus auf eine grundsätzliche Schranke etwa 
für die Besiedlungsdichte, selbst bei Vervielfältigung 
der Bevölkerung, schließen zu können. 
Faßt man die Raumnutzungen des Wohnens, der indu- 
striellen Produktion, der Versorgung und der '"Nah- 
Erholung" als '"'Besiedlung'' zusammen (es fällt mir 
kein besseres Wort ein), dann macht die besiedelte 
Fläche nur einen geringen Teil der verfügbaren Ge- 
samtfläche aus. Denn immer mehr Menschen sind in 
"megapolitanischen Ballungen konzentriert, immer 
weniger sind anteilmäßig mit der Landwirtschaft be- 
faßt. In den USA wohnt die Hälfte der Einwohner auf 
weniger als einem Prozent der Fläche, in England 
auf weniger als vier Prozent. 
Die besiedelte Fläche kann sehr verschieden struk- 
turiert sein. Schon das simple Kriterium der Bevöl- 
kerungsdichte variiert um mehrere Größenordnungen 
in stadtartigen Besiedlungen: in Manhattan liegt sie 
bei 30 000 pro gkm, in Harlem erreicht sie 100 000 pro 
gkm, in West-Berlin liegt sei bei 3 600, und in Los 
Angeles erreicht sie durchschnittlich 2 100 Einwohner 
pro qkm. 
Die Unterbringung der gesamten Erdbevölkerung 
(von, sagen wir, 4 Milliarden) in einem einzigen 
Manhattan (oder in vielen Manhattans) erforderte etwa 
die halbe Fläche der Bundesrepublik. Dabei ist zu 
bedenken, daß es in Manhattan großzügige Parks, 
viel Industrie, Handel und Gewerbe, sowie Arbeitsstel- 
len für viel mehr Personen gibt als dort Einwohner 
sind. Wollte man einen Besiedlungstyp wie Los 
Angeles zum universalen Prinzip erheben, bräuchte 
man etwa die doppelte Fläche von Texas, um alle 
Leute unterzubringen, zu beschäftigen. zu verwalten, 
uSW. 
Diese Vergleiche lassen sich häufen. Wenn man jeder 
Familie großzügig ein Grundstück von 30 x 60 m zu- 
billigen wollte - was einer Dichte von 1600 pro gkm 
entspräche - wäre der Sudan, Argentinien oder Indien 
für alle Lebenden zureichend. Grundstücke von 
15x 30 qm (d.h. 5300 EW/gkm) würden die Flächen 
der Bundesrepublik und Frankreichs erfordern. Hier- 
bei sind Verkehrsflächen, Parks, usw. nach Mittel- 
klassenvorstellungen eingerechnet. Schließlich würde 
die erforderliche bewohnte Fläche bei Bebauung mit 
geräumigen 12-stöckigen Appartement-Häusern, ein- 
gelagert in viel Grün, ein Gelände der Größe Panamas. 
Taiwans oder der Hälfte des Staates New York er- 
fordern (85 000 EW/qkm). Hinzu kämen vergleichs- 
weise kleine Flächen für Industrie. Versorgung usw. 2 
So grob und überschlägig solche Betrachtungen sein 
mögen, so deutlich zeigen sie, daß die oben als Be- 
siedlung definierten Raumnutzungsarten nur eines 
kleinen Teiles der verfügbaren Gesamtfläche bedürfen, 
was auch immer die Konfigurationen der Ansiedlungen 
sein mögen. Selbst bei starkem Bevölkerungswachstum 
ARCH+3 (1970) H. 10
	        
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