Im Hinblick auf die eingangs skizzierten Entwick-
lungen erscheint eine solche Begriffsausweitung ange-
bracht zu sein. Außerdem ist eine Erweiterung der
betrachteten Raumnutzungsarten angebracht: auch die
Entnahme von 9, aus der Luft, die Erzeugung von
CO,, Abwässern und Müll, die Teilnahme am Verkehr
sind Raumnutzungen.
Wie jede Planung ist Raumordnung zukunftsorientiert,
denn Planung bedeutet ja gerade den Gegensatz zu
"in den Tag hinein leben'', "den lieben Gott einen
guten Mann sein lassen'', "kommt Zeit, kommt Rat''
und ähnlichen Maximen (damit erweist sich das
Thema dieses Vortrages bei genauerem Zusehen als
Pleonasmus).
Alle in (I) angedeuteten Probleme sind Aufgaben für
die so verstandene Raumordnung: wie sollte die
Nutzung welcher Räume im Hinblick auf welche Zu-
künfte in wessen Interesse geplant werden? Im folgen-
den sollen einige prozedurale Aspekte der Raumord-
nung erörtert werden. Denn es mag zwar erbaulich
und auch nützlich sein, Visionen zukünftiger Ansied-
lungsweisen zu entwickeln, aber wichtiger und
schwieriger als denkbare Zukünfte auszudenken ist
das Problem der Entscheidung, welche Zukunft '"man''
herbeiführen will und soll, und wie sie dann tat-
sächlich in die Wege geleitet werden kann.
3. Zentrale Fragen
Damit ergeben sich die Fragen:
was ist die Natur des Wissens, auf das sich die
Raumplanung abstützt, und wie hängen Pläne von
diesem Wissen ab?
wer soll planen? wie erhält der Planer seine
Legitimation von denen, für die er plant?
was macht ihn zum Experten des Planens ?
was ist das Verhältnis des Planers zur Macht ?
wie implementiert man Pläne angesichts von
Interessenkonflikten ?
Diese Fragen sind nicht spezifisch für die Raum-
ordnung, sie sind typisch für alle Arten ernstge-
meinter Zukunftsforschung, die sich nicht auf
"akademische'' Spekulationen beschränken will oder
nur, bewußt oder nicht, etablierte Herrschaftsver-
hältnisse bestärken will.
Im Folgenden werden einige Aspekte dieser Fragen
erörtert, um daraus einige Schlüsse für den Entwurf
von Planungssystemen zu ziehen.
Zunächst sollen verschiedene Argumentationsformen
diskutiert werden, wie sie häufig benutzt werden,
um zu Grundlagen für die Raumordnung zu gelangen.
4. Das Argument von der Überbevölkerung
Um zu Grundlagen für die Raumordnung zu gelangen,
liegt es nahe, zunächst nach quantitativen Faktoren
zu suchen, welche grundsätzlichen Schranken für die
Planung setzen. Angesichts der Bevölkerungsexplosion
scheint vor allem die Enge des verfügbaren Raumes
eine kritische Größe zu sein. Zum Beispiel: welche
Siedlungsformen sollte man ausschließen, weil sie
angesichts des Bevölkerungsdruckes nicht ratsam
sind (da sie ohnehin bald revidiert werden müßten).
Von den etwa 500 Mio gkm Erdoberfläche ist etwas
mehr als ein Viertel Festland (großenteils äußerst
unwirtlich), wobei Polarregionen und unbewohnte
Inseln nicht eingerechnet sind. Bei einer Bevölkerungs-
zahl von etwa 3, 5 Milliarden entfallen somit 4 Hektar
Festland auf die Person. Für die Frage der angemes-
senen,'' zukunftsorientierten'' Siedlungsformen ist
dieser Flächenanteil um Größenordnungen zu groß,
um daraus auf eine grundsätzliche Schranke etwa
für die Besiedlungsdichte, selbst bei Vervielfältigung
der Bevölkerung, schließen zu können.
Faßt man die Raumnutzungen des Wohnens, der indu-
striellen Produktion, der Versorgung und der '"Nah-
Erholung" als '"'Besiedlung'' zusammen (es fällt mir
kein besseres Wort ein), dann macht die besiedelte
Fläche nur einen geringen Teil der verfügbaren Ge-
samtfläche aus. Denn immer mehr Menschen sind in
"megapolitanischen Ballungen konzentriert, immer
weniger sind anteilmäßig mit der Landwirtschaft be-
faßt. In den USA wohnt die Hälfte der Einwohner auf
weniger als einem Prozent der Fläche, in England
auf weniger als vier Prozent.
Die besiedelte Fläche kann sehr verschieden struk-
turiert sein. Schon das simple Kriterium der Bevöl-
kerungsdichte variiert um mehrere Größenordnungen
in stadtartigen Besiedlungen: in Manhattan liegt sie
bei 30 000 pro gkm, in Harlem erreicht sie 100 000 pro
gkm, in West-Berlin liegt sei bei 3 600, und in Los
Angeles erreicht sie durchschnittlich 2 100 Einwohner
pro qkm.
Die Unterbringung der gesamten Erdbevölkerung
(von, sagen wir, 4 Milliarden) in einem einzigen
Manhattan (oder in vielen Manhattans) erforderte etwa
die halbe Fläche der Bundesrepublik. Dabei ist zu
bedenken, daß es in Manhattan großzügige Parks,
viel Industrie, Handel und Gewerbe, sowie Arbeitsstel-
len für viel mehr Personen gibt als dort Einwohner
sind. Wollte man einen Besiedlungstyp wie Los
Angeles zum universalen Prinzip erheben, bräuchte
man etwa die doppelte Fläche von Texas, um alle
Leute unterzubringen, zu beschäftigen. zu verwalten,
uSW.
Diese Vergleiche lassen sich häufen. Wenn man jeder
Familie großzügig ein Grundstück von 30 x 60 m zu-
billigen wollte - was einer Dichte von 1600 pro gkm
entspräche - wäre der Sudan, Argentinien oder Indien
für alle Lebenden zureichend. Grundstücke von
15x 30 qm (d.h. 5300 EW/gkm) würden die Flächen
der Bundesrepublik und Frankreichs erfordern. Hier-
bei sind Verkehrsflächen, Parks, usw. nach Mittel-
klassenvorstellungen eingerechnet. Schließlich würde
die erforderliche bewohnte Fläche bei Bebauung mit
geräumigen 12-stöckigen Appartement-Häusern, ein-
gelagert in viel Grün, ein Gelände der Größe Panamas.
Taiwans oder der Hälfte des Staates New York er-
fordern (85 000 EW/qkm). Hinzu kämen vergleichs-
weise kleine Flächen für Industrie. Versorgung usw. 2
So grob und überschlägig solche Betrachtungen sein
mögen, so deutlich zeigen sie, daß die oben als Be-
siedlung definierten Raumnutzungsarten nur eines
kleinen Teiles der verfügbaren Gesamtfläche bedürfen,
was auch immer die Konfigurationen der Ansiedlungen
sein mögen. Selbst bei starkem Bevölkerungswachstum
ARCH+3 (1970) H. 10