Georg R. Kiefer
FÜR EINE POLITISCHE ZEICHENTHEOQRIE
Eine der Schwierigkeiten, die Zeichentheorie zu ver-
stehen, besteht darin, daß sie nur sehr vage be-
schreibt oder definiert, welches Erkenntnisgebiet sie
thematisiert oder treffender, was alles unter einem
"Zeichen" zu verstehen ist. Das Problem von"Bezeich-
nung"und "Bezeichnetem" ist in ihr selbst noch nicht
gelöst. Wird das analytische Interesse auf verbale
Sprache reduziert, werden wichtige Kommunikations-
systeme außer acht gelassen. Beschränkt sich die
Analyse auf Konfigurationen, gehen die historischen
Implikationen häufig verloren, was aber eine Kommu-
nikation präzisierende, folglich gesellschaftsbezogene
Theorie (als "reine Theorie") widerspruchsvoll macht.
Zitate:
"Sämtliche, dem Menschen über die Sinnesorgane
mittelbar ‚oder unmittelbar zugänglichen Signale, kön-
nen Träger vereinbarter Zeichen sein." (Meyer-
Eppler)
"Sprache, im umfassenden semiotischen Sinn des Be-
griffs, ist jeder intersubjektive Set von Zeichenträ-
gern, deren Gebrauch durch syntaktische, semantische
und pragmatische Regeln bestimmt wird."
(Ch. Morris)
"Das Seiende selbst wird im Zeichen variabel gelassen,
wir haben also den Übergang vom Sein zur Seins-
funktion: das Zeichen funktioniert wie ein Gegenstand,
es ist ein "Quasigegenstand." (R. Carnap)
Ähnlich formuliert M. Bense:
"Was zum Zeichen erklärt wird, ist selbst kein Ob-
jekt mehr, sondern Zuordnung (zu etwas, was ein
Objekt sein kann), gewissermaßen "Metaobjekt."
Ohne uns mit diesen Zitaten eingehend zu beschäfti-
gen, sollen einige Thesen vorgetragen werden, die
möglicherweise aus dem Dilemma des Selbstverständnis-
ses der Zeichentheorie herausführen.
Thesen:
1. Vereinfachend und klärend soll aus den Zitaten zu-
sammengefaßt werden: Kommunikation wird möglich
mittels Zeichen. Jeder Gegenstand kann die Funk-
tion eines Zeichens haben, sofern er einer
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intersubjektiven Vereinbarung, einer Abmachung oder
Konvention unterworfen wurde. Die Wirksamkeit der
Zeichen setzt sich zusammen aus ihrer syntaktischen
(gesetzmäßigen) , semantischen (bedeutend/bezeichnend)
und pragmatischen (sinnvollen) Dimension.
Ein Signal wird durch energetische und/oder materiale
Charakteristika gekennzeichnet. Ein Zeichen bestimmt
sich darüber hinaus durch den informationellen Inhalt
des "Gegenstandes". (Die Worte"Quasigegenstand" und
"Metaobjekt" sind irreführend, da sie Losgelöstheit
vom Gegenstand suggerieren können. Dem ist entge-
genzuhalten: Zwar kann ein Zeichen auf verschieden-
ste Weise materialisiert werden, es ist jedoch ohne
Materialisation nicht darstellbar und damit auch nicht
kommunikativ. Der Schritt zur "Metaphysik" ist hier
nicht mehr groß.)
2. Wird These 1 akzeptiert, so trifft die Bezeichnung
"Zeichen" zumindest auf alle Gegenstände der
"künstlichen Welt" zu, die Kommunikationsfunktion
haben. "Künstliche Welt" ist die Welt des Gemach-
ten im Gegensatz zum Vorgefundenen (z.B. Signal).
Der Mensch verwirklicht sich in seiner Tätigkeit. Die
Produkte dieser Tätigkeit sind seine Form der Mittei-
lung, die für andere oder für ihn selbst wirksam wer-
den. Kommunikation findet statt, wenn diese produ-
zierten Gegenstände gebraucht und verändert werden,
eine "Antwort" entwickelt wird.
Neben der verbalen Sprache bestehen emotionale,
haptische (gestische), visuelle und andere Sprachen,
d.h. aus dem gesamten Bereich der "gesteuerten Um-
welt", deren Gegenstände Informationsträger sind.
Der Ansatz von M. Bense und Ch. Morris, den Zei-
chencharakter über das Verbale hinaus an Kunstwerken
nachzuweisen, muß konsequent auf alle "Informations-
träger des Alltags" erweitert werden. Erst dadurch
wird der kritische Inhalt der Zeichentheorie, werden
die materiellen Hindernisse der "Realisationen" deut-
lich, die die Semiotik zu analysieren versucht.
(Sprechen und Schreiben kostet wenig. Die hierzu
nötigen Produktionsmittel sind glücklicherweise jedem
= wenigstens formal - angeborene Fähigkeiten. Bei
ARCH+3 (1970) H. 10