Full text: ARCH+ : Studienhefte für architekturbezogene Umweltforschung und -planung (1970, Jg. 3, H. 9-11)

der Immobilien zu und schützt auf diese Weise den 
Anleger von den Auswirkungen von Inflation und kurz- 
fristigen Konjunkturschwankungen. '' (Aus einer An- 
zeige des United States Investment Fund) 
Gegen den auf dem Markt sich auf diese Weise bilden- 
den Preis für den Gebrauch der Ware Wohnung hilft 
kein Lamentieren über den hohen Zinsanteil, über 
Profite aus längst amortisierten Häusern etc. Wenn 
ein freier Wohnungsmarkt besteht, müssen sich die 
Mieten in der geschilderten Weise bilden wie die Prei- 
se für beliebige andere Waren. Wer daran grundsätz- 
lich etwas ändern will, muß von den Symptomen weg 
zu den eigentlichen Voraussetzungen dieser Preisbil- 
dung kommen. Solange es jedoch die kapitalistische 
Form der Wohnungsnot gibt, wird diese Art des La- 
mentierens betrieben und zum Bestandteil einer vor- 
geblich reformerischen oder gar revolutionären Poli- 
tik. Bereits Engels hatte sich mit dieser Art von 
falscher und perspektivloser Kapitalismuskritik aus- 
einanderzusetzen; wie sie insbesondere von Proudhon 
und seinen Nachfahren betrieben wurde. Beispiele: 
"Was der Lohnarbeiter gegenüber dem Kapitalisten, 
das ist der Mieter gegenüber dem Hausbesitzer'', und 
"So kommt es, daß ein Haus, welches z.B. vor 50 
Jahre: gebaut wurde, während dieser Zeit in dem 
Ertrag des Mietzinses zwei-, drei-, fünf-, zehnmal 
usw. den ursprünglichen Kostenpreis deckte''. Für 
diese Form der Kritik lassen sich gerade aus jüngster 
Zeit wieder eine Reihe von Beispielen anführen. Diese 
Kritik hat insoweit eine Ähnlichkeit mit den Diagnosen, 
die von der '"'Besonderheit'' der Ware Wohnung aus- 
gehen, als ihr Bezugspunkt außerhalb des Kapitals zu 
suchen ist. Das mag für eine politische Agitation nütz- 
lich sein; wenn daraus jedoch der Schluß gezogen wird, 
man müsse die Zinsen abschaffen oder die Grundrente 
("Die Forderung nach Aufhebung des Privateigentums 
am Produktionsmittel Boden und damit der kapitalisti- 
schen Form der Grundrente erscheint als der richtige 
politische Ansatz zur Lösung der '"Wohnungsfrage'', 
die in der Verwandlung der Wohnung in ein Produk- 
tionsmittel für die Arbeiterklasse besteht. '' Georg 
Kohlmaier, Über die Funktion des Architekten, seine 
Rechnung mit dem Hauswirt zu machen, ARCH+ 3 
(1970) H. 9, S. 12) oder dafür sorgen, daß aus '"amor- 
tisierten Häusern'' keine Profite mehr gezogen wer- 
den können, verkennt, daß es sich hierbei um normale 
Äußerungen der kapitalistischen Produktionsweisen 
handelt, die nur mit dieser beseitigt werden können. 
II. Wohnungspolitik und Sozialpolitik 
Wohnungspolitik im Absolutismus 
Versteht man unter Wohnungspolitik den Inbegriff aller 
staatlichen Maßnahmen, die sich direkt oder indirekt 
mit der Förderung des Wohnungsbaues befassen bzw. 
die auf sonstige Interventionen im Wohnbereich ab- 
zielen, so gab es eine derartige Politik bereits in den 
absolutistischen Staaten, insbesondere im 18. Jahr- 
hundert. Dieser Zeitraum des politischen Absolutis- 
mus hatte seine ökonomische Ausprägung im Merkan- 
tilismus, d.h., daß auch die Wirtschaft vom Staat do- 
miniert und diktiert wird, wobei das selbstverständ- 
liche Ziel alles Wirtschaftens in der Mehrung des 
(monetären) Reichtums des Souveräns beschrieben 
wird. 
In diesem Zusammenhang werden staatliche Manufak- 
turen errichtet bzw. private Unternehmer in großem 
Umfang subventioniert, die der merkantilistischen 
Politik untergeordnet sind. In diesem Rahmen wurde 
auch der Bau von ’ Wohnungen’ für die Beschäftigten 
gefördert, und zwar sowohl durch Steuervergünsti- 
gungen (temporärer Erlaß von Grundsteuern etc.) als 
auch durch Zuschüsse zu den Baukosten. Daneben 
förderte der Souverän den Bau von Wohnungen für 
seine Beamten und Militärs. "Die staatliche Förderung 
betraf, soweit es sich nicht um große städtebauliche 
Maßnahmen handelte, ... insbesondere jenen Woh- 
nungsbau, der in Verbindung mit der Errichtung von 
Fertigungsstätten der gewerblichen Gütererzeugung 
stand und der wohnlichen Versorgung von Beamten 
sowie von Angehörigen des Militärs diente.' (Heinrich 
Jaschinski, Lehren aus der Geschichte der Wohnungs- 
politik, Institut für Siedlungs- und Wohnungswesen der 
westfälischen Wilhelms-Universität Münster, Heft 21, 
Münster 1969, S. 9) Eine Wohnungspolitik ist auch 
darin zu sehen, daß der absolutistische Staat eine Bo- 
denspekulation in den Städten dadurch beschränkte, daß 
er Grundstücke unentgeldlich oder zum Ackerwert an 
Baulustige abgibt und einen Zwang zur Bebauung da- 
durch ausübt, daß er bebaubare Grundstücke zum Ak- 
kerwert einziehen kann. Diese Bodenpolitik hatte ihren 
Ursprung bereits in den mittelalterlichen Städten. In 
Deutschland wurde zudem seit dem 30jährigen Krieg 
eine planmäßige Neugründung von Siedlungen und Städten 
betrieben; insbesondere von Preußen wurde eine An- 
siedlung von Ausländern gefördert, die die Menschen- 
verluste der Kriege wieder ausgleichen sollte, Auch 
hier wurde eine Baulandspekulation weitgehend ver- 
hindert. Die Omnipotenz und allgegenwärtige Präsenz 
des Staates kam in den bis ins einzelne gehenden Be- 
bauungsplänen zum Ausdruck; insbesondere die Resi- 
denzen sollten in erster Linie die angemessene Kulisse 
für die Herrscher von Gottes Gnaden abgeben. ''Solche 
großzügigen Schöpfungen waren nur möglich, indem 
die Fürsten ihre Machtmittel in landesväterlicher Für- 
sorge kräftig gebrauchten." (Jaschinski, a.a.0O., S. 
25) 
Mit dieser absolutistischen Politik wurde jedoch ge- 
rade die Klasse der Bourgeosie systematisch gestärkt, 
mit dem Ergebnis, daß sie sich nicht mehr bedin- 
gungslos dem Souverän unterordnete, sondern sich 
insoweit gegen ihn auflehnte, als sie forderte, an den 
Ergebnissen ihrer Produktion vorrangig teilzuhaben. 
Die vom Merkantilismus eingeleitete industrielle Revo 
lution sprengte dessen Rahmen, indem nun die Betä- 
tigungsfreiheit des Bürgers gefordert und allmählich 
realisiert wurde. Es wurde der allgemeine Nenner 
aller fortschrittlichen und bürgerlichen Theorie und 
Politik, daß der Staat sich aus dem Wirtschaftsleben 
völlig zurückzuziehen habe, damit sich auf dem so de- 
finierten freien Markt das Gemeinwohl von selbst ein- 
stellen mußte. Mit der Erfüllung dieser Forderung und 
der Verwirklichung des ökonomischen Liberalismus 
mußte deshalb auch die merkantilistische Wohnungs- 
und Bodenpolitik völlig zum Erliegen kommen. 
1. Die Ausgangslage: Wohnungsnot im 19. Jahrhundert 
Die Wohnungsnot ist kein spezifisches Merkmal kapi- 
talistischer Produktionsverhältnisse; ''... im Gegen- 
teil, sie hat alle unterdrückten Klassen aller Zeiten 
ziemlich gleichmäßig betroffen'' (F. Engels, Zur 
ARCH+ 3 (1970) H. 11
	        

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