2. Wohnungspolitik als Krisenvermeidungspolitik
- Wohnungsbau nach der Stabilisierung der Währung:
die Hoffnung auf die freie Wohnungswirtschaft -
Die Tatsache, daß aus einer Inflation Haus- und
Grundbesitz unversehrt hervorgehen, erschloß dem
Staat eine üppig sprudelnde Geldquelle. Nach der
Stabilisierung der Währung war praktisch der gesamte
Althausbesitz belastungsfrei wegen vorzeitiger Rück-
zahlung der Hypotheken während der Inflation; damit
waren die Erträge für den Hausbesitzer gestiegen.
Um die Verluste während der Inflation '"gerechter' zu
verteilen, wurde ein '"'Geldentwertungsausgleich bei
bebauten Grundstücken'', die sog. Hauszinssteuer er-
hoben. Bei Mieten, die etwa 30 % der Friedensmiete
(1914) betrugen, wurden durchschnittlich 50 % der
Rohmiete als Steuer eingezogen. In zunehmendem
Maß wurde diese Steuer zweckgebunden (ab 1926 ca.
50 %) für den Wohnungsbau verwendet zur Gewährung
zinsverbilligter '"'Hauszinssteuerhypotheken''. Diese
Mittel ließen trotz herrschender Kapitalknappheit ei-
nen umfangreichen Neubau zu. '
Der Widerspruch zwischen dem Haus- und Grundbe-
sitz und den sozialpolitischen Interessen des Staates
war dennoch nicht gelöst. Da sich sozialpolitische
Maßnahmen ohnehin nur von den Betroffenen finanzie-
ren lassen, war der "Soziale Wohnungsbau'} der sub-
ventionierte Neubau also, in einem doppelten Dilemma
Um die zahlreichen neuen Wohnungen vermieten zu
können (die herrschende Wohnungsnot und die in Gang
kommende Baukonjunktur forderten Wohnungsbau),
mußten, wenn man die Einkommensverteilung nicht
antasten wollte, die Alt- an die Neubaumieten ange-
glichen werden. Neben geringer Senkung der Neubau-
mieten durch Gewährung weiterer Darlehen (kommu-
nal, Arbeitgeber, Länder) hieß es, das Aufkommen
aus der Hauszinssteuer zu erhöhen, Die Steigerung der
Altbaumieten, an diese war die Hauszinssteuer ge-
bunden, erfüllte damit einen doppelten Zweck. Um zu
beweisen, daß auch diese Steigerungen wiederum ge-
recht waren, wurde auf die Vorkriegszeit verwiesen,
wo doch jeder Mieter bis zu 25 % seines Einkommens
für Miete aufzuwenden hatte gegenüber nur 16 % jetzt
Innerhalb von drei Jahren wurde dann die Miete von
30 auf 120 % der Friedensmiete, also auf das vier-
fache, erhöht. Eine gleichzeitige Begrenzung der
Steuer auf 58 % der Friedensmiete ließ damit auch
den Hausbesitzern genug, die so ihrer Forderung nach
Liberalisierung, d.h. nach unbeschnittenen Gewinnen,
näherkamen.
Unter dem Namen "Sozialer Wohnungsbau'' war es da-
mit gelungen, den Wohnungsbau von den Mietern fi-
nanzieren zu lassen, und zwar gerade von den '"Min-
derbemittelten'', den Altbaubewohnern, auf deren
Wohl sich Sozialpolitik ja immer bezieht, Die Kritiker
der Wohnungsbaupolitik taten ihr bestes, diese Ver-
schleierung zu perfektionieren, indem sie die staat-
liche Wohnungspolitik als "sozialistischen Vernich-
tungswillen'' hinstellten und behaupteten, daß die Ver-
fechter dieses Willens die "Beseitigung des vorüber-
gehenden Notstands nicht von der Rückkehr zu den
früheren Zuständen, nicht von der Wiedereinsetzung
des freien Spiels der Kräfte (erwarteten), sondern von
der Schaffung eines sozialen Mietrechts''. Der Inhalt
eines solchen Mietrechts war diesen Kritikern klar,
denn "was man darunter versteht. ist unklar, aber
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für jeden, der logisch zu denken vermag, läuft dieses
soziale Mietrecht auf eine völlige Sozialisierung des
Wohnungswesens, zumindest auf eine Aushöhlung und
Entwertung des Eigentums an Grund und Boden hinaus"
(Max Wolff, Zwangswirtschaft und Wohnungswesen,
1929).
Im Gefolge der Mieten hatten inzwischen auch die
Grundstückspreise wieder das Vorkriegsniveau er-
reicht und damit Grundbesitz und Immobilienhandel
ebenfalls einen angemessenen Anteil der Mietzahlun-
gen der Altbaumieter und dann auch der Neubaumieter
gesichert.
Die reibungslose Durchführung dieser "Umverteilung
der Lasten'' ermutigte 1927 zu einem weiteren Schritt
Durch Senkung der Hauszinssteuerhypotheken sollten
mit den gleichen Mitteln doppelt so viel Wohnungen
gefördert werden. Das fehlende Kapital sollte durch
Eigenkapital der Bauherren, denen dazu auch die He-
reinnahme von Baukostenzuschüssen erlaubt wurde,
und erhöhte Kapitalmarktmittel ersetzt werden. Aus
zurückfließenden Hauszinssteuermitteln sollten immer
noch zu hohe Mieten mit '"Mietsenkungszuschüssen''
verbilligt werden.
Das "System 27'' war grandios:
1. Neubauten werden durch die Hauszinssteuer finan-
ziert, d.h. mit den Mieten der Altbaumieter, aus
dem Einkommen der Arbeiter (über 30 % der ge-
samten Steuer im Reich wurde in den Mietskasernen
Berlins eingenommen)
2 Neubaumieter zahlen den gleichen Betrag durch ihre
Mieten als Tilgung noch einmal an den Staat
3 Rückfließende Mittel, Baukostenzuschüsse der Mie-
ter, Mietsenkungszuschüsse ermöglichen weitere
Neubauten
4. Höhere Mieten als die vom Neubaumieter selbst
gezahlten (Mietsenkungszuschüsse) bringen erhöhten
Gewinn für den Besitzer
5. Niedrigere bezahlte Mieten als die beim Besitzer
eingehenden vermindern das Risiko
6. Die zweite Hälfte der Hauszinssteuermittel wird
zur Finanzierung "allgemeiner Staatsausgaben'',
insbesondere der Polizei und der Sozialfürsorge
ausgegeben, womit die soziale "Gerechtigkeit'' wie-
der hergestellt ist: wer die erhöhten Mieten nicht
mehr zahlen kann, kommt wieder in den Genuß sei-
ner Beiträge - im Obdachlosenheim,
Nahezu alle Kritiker des Wohnungsbaus dieser Zeit
waren sich einig: Es konnte nur darum gehen, den
Wohnungsbau wieder voll in das Wirtschaftsleben ein-
zugliedern, "die Aufwendungen von öffentlichen Mit-
teln für den Wohnungsbau zu beschränken'', um damit
aus '"'totem Kapital rentierliches' zu machen. Die aus
sich selbst '"verzinsliche Wohnungserstellung'' der
Vorkriegszeit stand als Ziel immer vor Augen,
Wohnungspolitik in der Wirtschaftskrise: Befriedung
durch Sozial- und Kulturpolitik
Die Wirtschaftskrise setzte dieser Politik zunächst ein
Ende. Die Zahl derer, die nach "System 27" wohnen
konnten, war zu gering, auf dem Kapitalmarkt waren
die benötigten Mittel nicht zu beschaffen. Da die Zwei-
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