Full text: ARCH+ : Studienhefte für architekturbezogene Umweltforschung und -planung (1970, Jg. 3, H. 9-11)

2. Wohnungspolitik als Krisenvermeidungspolitik 
- Wohnungsbau nach der Stabilisierung der Währung: 
die Hoffnung auf die freie Wohnungswirtschaft - 
Die Tatsache, daß aus einer Inflation Haus- und 
Grundbesitz unversehrt hervorgehen, erschloß dem 
Staat eine üppig sprudelnde Geldquelle. Nach der 
Stabilisierung der Währung war praktisch der gesamte 
Althausbesitz belastungsfrei wegen vorzeitiger Rück- 
zahlung der Hypotheken während der Inflation; damit 
waren die Erträge für den Hausbesitzer gestiegen. 
Um die Verluste während der Inflation '"gerechter' zu 
verteilen, wurde ein '"'Geldentwertungsausgleich bei 
bebauten Grundstücken'', die sog. Hauszinssteuer er- 
hoben. Bei Mieten, die etwa 30 % der Friedensmiete 
(1914) betrugen, wurden durchschnittlich 50 % der 
Rohmiete als Steuer eingezogen. In zunehmendem 
Maß wurde diese Steuer zweckgebunden (ab 1926 ca. 
50 %) für den Wohnungsbau verwendet zur Gewährung 
zinsverbilligter '"'Hauszinssteuerhypotheken''. Diese 
Mittel ließen trotz herrschender Kapitalknappheit ei- 
nen umfangreichen Neubau zu. ' 
Der Widerspruch zwischen dem Haus- und Grundbe- 
sitz und den sozialpolitischen Interessen des Staates 
war dennoch nicht gelöst. Da sich sozialpolitische 
Maßnahmen ohnehin nur von den Betroffenen finanzie- 
ren lassen, war der "Soziale Wohnungsbau'} der sub- 
ventionierte Neubau also, in einem doppelten Dilemma 
Um die zahlreichen neuen Wohnungen vermieten zu 
können (die herrschende Wohnungsnot und die in Gang 
kommende Baukonjunktur forderten Wohnungsbau), 
mußten, wenn man die Einkommensverteilung nicht 
antasten wollte, die Alt- an die Neubaumieten ange- 
glichen werden. Neben geringer Senkung der Neubau- 
mieten durch Gewährung weiterer Darlehen (kommu- 
nal, Arbeitgeber, Länder) hieß es, das Aufkommen 
aus der Hauszinssteuer zu erhöhen, Die Steigerung der 
Altbaumieten, an diese war die Hauszinssteuer ge- 
bunden, erfüllte damit einen doppelten Zweck. Um zu 
beweisen, daß auch diese Steigerungen wiederum ge- 
recht waren, wurde auf die Vorkriegszeit verwiesen, 
wo doch jeder Mieter bis zu 25 % seines Einkommens 
für Miete aufzuwenden hatte gegenüber nur 16 % jetzt 
Innerhalb von drei Jahren wurde dann die Miete von 
30 auf 120 % der Friedensmiete, also auf das vier- 
fache, erhöht. Eine gleichzeitige Begrenzung der 
Steuer auf 58 % der Friedensmiete ließ damit auch 
den Hausbesitzern genug, die so ihrer Forderung nach 
Liberalisierung, d.h. nach unbeschnittenen Gewinnen, 
näherkamen. 
Unter dem Namen "Sozialer Wohnungsbau'' war es da- 
mit gelungen, den Wohnungsbau von den Mietern fi- 
nanzieren zu lassen, und zwar gerade von den '"Min- 
derbemittelten'', den Altbaubewohnern, auf deren 
Wohl sich Sozialpolitik ja immer bezieht, Die Kritiker 
der Wohnungsbaupolitik taten ihr bestes, diese Ver- 
schleierung zu perfektionieren, indem sie die staat- 
liche Wohnungspolitik als "sozialistischen Vernich- 
tungswillen'' hinstellten und behaupteten, daß die Ver- 
fechter dieses Willens die "Beseitigung des vorüber- 
gehenden Notstands nicht von der Rückkehr zu den 
früheren Zuständen, nicht von der Wiedereinsetzung 
des freien Spiels der Kräfte (erwarteten), sondern von 
der Schaffung eines sozialen Mietrechts''. Der Inhalt 
eines solchen Mietrechts war diesen Kritikern klar, 
denn "was man darunter versteht. ist unklar, aber 
ARCH+ 3 (1970) H. 11 
für jeden, der logisch zu denken vermag, läuft dieses 
soziale Mietrecht auf eine völlige Sozialisierung des 
Wohnungswesens, zumindest auf eine Aushöhlung und 
Entwertung des Eigentums an Grund und Boden hinaus" 
(Max Wolff, Zwangswirtschaft und Wohnungswesen, 
1929). 
Im Gefolge der Mieten hatten inzwischen auch die 
Grundstückspreise wieder das Vorkriegsniveau er- 
reicht und damit Grundbesitz und Immobilienhandel 
ebenfalls einen angemessenen Anteil der Mietzahlun- 
gen der Altbaumieter und dann auch der Neubaumieter 
gesichert. 
Die reibungslose Durchführung dieser "Umverteilung 
der Lasten'' ermutigte 1927 zu einem weiteren Schritt 
Durch Senkung der Hauszinssteuerhypotheken sollten 
mit den gleichen Mitteln doppelt so viel Wohnungen 
gefördert werden. Das fehlende Kapital sollte durch 
Eigenkapital der Bauherren, denen dazu auch die He- 
reinnahme von Baukostenzuschüssen erlaubt wurde, 
und erhöhte Kapitalmarktmittel ersetzt werden. Aus 
zurückfließenden Hauszinssteuermitteln sollten immer 
noch zu hohe Mieten mit '"Mietsenkungszuschüssen'' 
verbilligt werden. 
Das "System 27'' war grandios: 
1. Neubauten werden durch die Hauszinssteuer finan- 
ziert, d.h. mit den Mieten der Altbaumieter, aus 
dem Einkommen der Arbeiter (über 30 % der ge- 
samten Steuer im Reich wurde in den Mietskasernen 
Berlins eingenommen) 
2 Neubaumieter zahlen den gleichen Betrag durch ihre 
Mieten als Tilgung noch einmal an den Staat 
3 Rückfließende Mittel, Baukostenzuschüsse der Mie- 
ter, Mietsenkungszuschüsse ermöglichen weitere 
Neubauten 
4. Höhere Mieten als die vom Neubaumieter selbst 
gezahlten (Mietsenkungszuschüsse) bringen erhöhten 
Gewinn für den Besitzer 
5. Niedrigere bezahlte Mieten als die beim Besitzer 
eingehenden vermindern das Risiko 
6. Die zweite Hälfte der Hauszinssteuermittel wird 
zur Finanzierung "allgemeiner Staatsausgaben'', 
insbesondere der Polizei und der Sozialfürsorge 
ausgegeben, womit die soziale "Gerechtigkeit'' wie- 
der hergestellt ist: wer die erhöhten Mieten nicht 
mehr zahlen kann, kommt wieder in den Genuß sei- 
ner Beiträge - im Obdachlosenheim, 
Nahezu alle Kritiker des Wohnungsbaus dieser Zeit 
waren sich einig: Es konnte nur darum gehen, den 
Wohnungsbau wieder voll in das Wirtschaftsleben ein- 
zugliedern, "die Aufwendungen von öffentlichen Mit- 
teln für den Wohnungsbau zu beschränken'', um damit 
aus '"'totem Kapital rentierliches' zu machen. Die aus 
sich selbst '"verzinsliche Wohnungserstellung'' der 
Vorkriegszeit stand als Ziel immer vor Augen, 
Wohnungspolitik in der Wirtschaftskrise: Befriedung 
durch Sozial- und Kulturpolitik 
Die Wirtschaftskrise setzte dieser Politik zunächst ein 
Ende. Die Zahl derer, die nach "System 27" wohnen 
konnten, war zu gering, auf dem Kapitalmarkt waren 
die benötigten Mittel nicht zu beschaffen. Da die Zwei- 
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