Full text: ARCH+ : Studienhefte für architekturbezogene Umweltforschung und -planung (1970, Jg. 3, H. 9-11)

praktisch 
über mächtige staatliche Wohnungsbaugesellschaften 
zur Durchsetzung seiner Politik, insbesondere, um 
gezielte Maßnahmen in regionalen Schwerpunkten 
durchführen zu können 
zur Beeinflussung der Konjunktur, 
war der Wohnungsbau in liberaler Sicht noch als 
solcher konjunkturdämpfend, so wird er jetzt be- 
wußt eingesetzt als Mittel der Konjunkturpolitik (z. 
B. in den 2 Konjunkturprogrammen 1967 - 38 % der 
Gesamtinvestitionen im Wohnungsbau in Berlin) 
durch Sanierung, 
als zukünftiges Betätigungsfeld, auf dem sich diese 
Mittel konzentriert einsetzen lassen und das insbe- 
sondere zu jedem Zeitpunkt für staatliche Maßnah- 
men bereit steht. Die jeweils dazu nötigen ''Stan- 
dards'' lassen sich jederzeit propagieren und per 
Gesetz zur Norm erheben. 
6. Die "Endlösung der Wohnungsfrage'' 
Bis auf Berlin, wo die endgültige Einführung des Wei- 
ßen Kreises auf 1972 verschoben wurde, scheint das 
Traumziel der Wohnungspolitiker, gleich welcher 
Herkunft, erreicht: der freie Wohnungsmarkt ist 
etabliert. 
Schon wähnte man die Diskussion über unerwünschte 
Nebeneffekte bei Einführung der Weißen Kreise aus- 
gestanden (siehe dazu: W. Müller, Weißer Kreis - 
Wohlstand oder Notstand?, in: Sanierung für wen?, 
Berlin 1969), da, inmitten der Hochkonjunktur, wird 
plötzlich die Wohnungsfrage wieder zu einer Frage, 
an deren positiver Beantwortung sogar Sein oder 
Nichtsein der SPD-Regierung geknüpft wird. 
Und selbst die zaghaftesten Versuche einer Beant- 
wortung, die nur im neuerlichen Eingriff ''in das freie 
Spiel der Kräfte'' liegen kann, werden in altbekannter 
Weise quittiert: "Am Ende wird bei solchen Diskus- 
sionen nicht mehr herauskommen als dies: Zweifel 
daran zu wecken, daß die Sozialdemokraten 11 Jahre 
nach Godesberg die Marktwirtschaft wirklich voll 
akzeptiert haben'' (Dieter Stolze, in: Die Zeit, 32/ 
1970). 
nisierter Interessen auf die Wohnungspolitik'"'). 
Es ist an dieser Stelle müßig, die Funktion der die 
Wirklichkeit beherrschenden wohnungspolitischen Ein- 
griffe des Staates noch einmal zu untersuchen, Sozia- 
ler Wohnungsbau, Soziales Mietrecht und Wohngeld 
sind in ihren Grundzügen dargestellt, detaillierte Kri- 
tik gewinnt erst Bedeutung im Rahmen taktischer Über- 
legungen zur Verbesserung der Lage der Mieter im 
Kapitalismus und das nur, solange sie nicht zu utopi- 
schen, idealistischen Alternativvorschlägen führt. Die 
Positionen über die "Wohnungsfrage'' sind damit trotz 
angeblicher Komplexität klar abgesteckt. Die eine ist 
exakt ausgedrückt in der Alternative zum Kapitalismus 
Die andere läßt sich zusammenreimen aus den Stel- 
lungnahmen der Interessenverbände in dieser Sache - 
ihre Argumente wurden in der Darstellung der Woh- 
nungspolitik ausreichend dargestellt. Auch eine hun- 
dertfache Variation in der aktuellen Diskussion in 
liberalen Zeitungen wie der Frankfurter Rundschau, 
immer neue Titelgeschichten im SPIEGEL (27/70, 
10/70, 35/69 ...), Volkswirt (Beilage 28/70) und 
STERN, in immer wiederholten Interviews in Panora- 
ma und Report mit Fachleuten vom Schlage Mitscher- 
lichs ändern nicht einen Deut, 
Nicht "die Endlösung auf dem Gebiet des Wohnungs- 
wesens, die nicht anders als sozial sein kann'' (Denk- 
schrift des Bundesministers für Wohnungsbau: Warum 
Abbau der Zwangswirtschaft? Warum soziales Miet- 
recht?, 1960), ist also geschafft, sondern die nur 
zeitweilig gelungene völlige Verschleierung der Zuge- 
hörigkeit der Wohnungswirtschaft zur kapitalistischen 
Wirtschaft beginnt zu versagen. Die deutlicher denn 
je zu Tage tretenden Widersprüche machen es zuneh- 
mend schwieriger, die Ideologie des ''Sozialen'' auf- 
recht zu erhalten und bringen damit die '"'Gesellschafts- 
ordnung!' als solche ins Wanken. 
So wundert es nicht, daß auf den öffentlichen Tribünen 
erbitterte Scheingefechte ausgetragen werden, die mit 
der Wirklichkeit absolut nichts gemein haben. Die 
Ziele dieser Scheinangriffe lassen sich im histori- 
schen Kontext verstehen, läßt doch die dauernde Wie- 
derholung auf gleiche Ursachen schließen (und haben 
damit die Aufgabe, das, was oben über die ökonomi- 
sche Kategorisierung der Ware Wohnung gesagt wur- 
de, zu verschleiern) . 
Die Erkenntnis, daß es im Kapitalismus immer eine 
'"Wohnungsfrage'' geben muß, kann eben nur verborgen 
werden durch moralische Appelle an das ''Verantwor- 
tungsbewußtsein'' von Mietern und Vermietern, im 
Angriff gegen "Auswüchse'' der Profitgier und schließ- 
lich in dem Versuch, die Wohnung aus der Wirklich- 
keit ihrer Unterordnung unter die Verwertungsbe- 
dingungen des Kapitals in eine geistige Sphäre zu 
heben: "Die Art, wie du bist und ich bin, die Weise, 
nach der wir Menschen auf Erden sind, ist das Bauen, 
ist das Wohnen'' (ein Wort Heideggers, zitiert nach: 
Verband der Wohnungswirtschaft: "Der Einfluß orga- 
ARCH+ 3 (1970) H. 11 
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