Full text: ARCH+ : Studienhefte für architekturbezogene Umweltforschung und -planung (1970, Jg. 3, H. 9-11)

Jörn Janssen, Joachim Krausse, Joachim Schlandt 
STADTPLANER UND REFORMGEISTER 
(Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen auszugs- 
weisen Vorabdruck aus der Voltaire-Flugschrift 31, 
die unter dem gleichen Titel im November 70 erscheint. 
C Edition Voltaire 1970) 
"Selbstredend meint selbst jener Teil der Bourgeoisie, 
der die Planwirtschaft annimmt, etwas anderes mit 
ihr, als das Proletariat: eben den letzten Versuch einer 
Rettung des Kapitalismus durch äußerste Zuspitzung 
seines inneren Widerspruchs.'' 
Georg Lukäcs 
Planung als Reformgedanke 
In Städten und Stadtregionen werden die Auswüchse 
einer Wirtschaft erfahren, die immer schon Planung 
in der Weise getrieben hatte, als die Folgen geplanten 
Handelns lediglich im Hinblick auf die Auswirkungen, 
die das Planungssubjekt betrafen, kalkuliert wurden. 
Die von diesem System produzierten Mißstände neh- 
men inzwischen solche Ausmaße an, daß durch die 
Verschlechterung der Produktions- und Reproduktions- 
bedingungen nicht nur eine Schmälerung der Profite 
des Kapitals, sondern langfristig ein Zusammenbruch 
der Wirtschaft droht, wenn nicht durch Planung in den 
Industriestaaten rechtzeitig grundlegende Reformen 
durchzusetzen sind. 
Diese Reformen sind Gegenstand von Raumordnung, 
Stadt- und Regionalplanung sowie Stadterneuerung, die 
im Interesse des Großkapitals, zum Teil gegen die 
Widerstände anderer Kapitalfraktionen wie z.B. gegen 
die kleineren Haus- und Grundbesitzer, vom Staat 
durchgeführt werden sollen. Obwohl hierdurch dem 
Staat größere Kompetenzen zugeeignet werden, ist das 
Ziel dieser Reformen nicht die Aufhebung des Wider- 
spruchs zwischen gesellschaftlicher Produktion und 
privater Aneignung, sondern die Erhaltung der Be- 
dingungen für die fortwährende Exploitation von Pro- 
duzenten und natürlichen Ressourcen. Das Maß für 
Bedeutung und Kompetenz der Planung und ihrer Ent- 
würfe ist bestimmt durch ihre reale Verfügungsgewalt 
über die Mittel zur Realisation dieser Entwürfe. Pla- 
nung verdient daher ihren Namen nur dann, wenn sie - 
wie in sozialistischen Staaten - über die industriellen 
Produktivkräfte unter den Bedingungen fortgeschrit- 
tener Konzentration verfügen kann. Alles andere ist 
Spielerei. 
Deutlich genug sagt es Georg Picht: "Hat man einmal 
erkannt, daß zu jeder Planung die Konstitution eines 
handlungsfähigen Subjektes der Planung gehört, und 
daß die Reichweite der Planung auf den Umkreis der 
Einflußmöglichkeiten der planenden Instanz beschränkt 
ist, so stellt sich heraus, daß das meiste von allem, 
was heute über Planung geschrieben wird, das Papier 
nicht wert ist, worauf man es druckt. '' 
Als Planung kann die Handlungsweise politischer Pla- 
ARCH+ 3 (1970) H. 11 
nungsinstanzen im Sinne von unabhängiger Trägerschaft 
öffentlicher Interessen nicht gelten, wenn sie - wie in 
den kapitalistischen Staaten - direkt abhängig sind von 
den Wirtschaftsinteressen hochgradig verflochtener 
Konzerne und Trusts, deren Aktionsfelder die Grenzen 
nationalstaatlicher Hoheitsgebiete längst überschritten 
haben. Wenn schon Gewerkschaften und Parteien ge- 
zwungen sind, auf übernationaler Ebene nicht nur zu 
kooperieren, sondern auch sich zu organisieren, so ist 
dies ein weiterer Beleg dafür, daß der Staatskapitalis- 
mus durch die sozio-ökonomischen Verhältnisse be- 
reits überholt ist. Staatliche Planung kann somit allen- 
falls untergeordnete Aufgaben in der Monopolwirtschaft 
erfüllen. Dies muß auch Horst Harnischfeger meinen, 
wenn er schreibt: "Nicht zu Planung in diesem Sinne 
(gesellschaftliche Verhältnisse zu gestalten) gehören 
Verhaltensweisen von Verwaltungen, die auf der Grund- 
lage eines klar bestimmten, vorgegebenen Zwecks 
Mittel zur Erreichung dieses Zwecks antizipieren und 
einsetzen.'' 
Über diese Zwecke muß man von den Planern genauere 
Auskunft verlangen als die lapidare Aussage, daß dro- 
hende Katastrophen, deren Ursachen man nicht kennt 
oder nicht erklären will, abzuwenden seien. 
Planungsgruppen - subjektive Freiheit, objektive 
Zwänge 
Mit Problemen der Regional-, Stadt- und Bauplanung 
befassen sich neben der Staatsbürokratie zahllose klei- 
ne und einige mittlere Unternehmen, deren Projekte, 
Gutachten und Beratungen die Funktion haben, privat- 
wirtschaftliche Bestrebungen abzuklären und politische 
Entscheidungen abzusichern. Kraft ihrer prognosti- 
schen Trendermittlungen sowie der Rahmen--und Ent- 
wicklungspläne heben sie bestimmte sozioökonomische 
Aktivitäten auf eine höhere Stufe der Faktizität, be- 
reiten sie die materielle Produktion vor, ohne jedoch 
in die entscheidungsetzende Einheit selbst- hieße sie 
nun Privatunternehmen oder Behörde - integriert oder 
gar mit ihr identisch zu sein. Ähnlich gestellt zum 
Produktionsprozeß wie die Forschungs- und Entwick- 
lungsabteilungen der großen Industrien unterscheiden 
sie sich von diesen durch zeitlich begrenzte Koopera- 
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