Full text: ARCH+ : Studienhefte für architekturbezogene Umweltforschung und -planung (1970, Jg. 3, H. 9-11)

Frage: Als jetzt in der Presse zu lesen war, die Miet- 
preise im Arabella-Haus würden erheblich erhöht, 
angeblich in manchen Wohneinheiten bis zu 50 Prozent, 
soll die Hausverwaltung damit argumentiert haben, 
daß man nun auch erheblich mehr Service bieten kön- 
ne. Welche besonderen Dienstleistungen planen Sie 
also? 
Schörghuber: Wir werden also mindestens soweit 
kommen, daß jeder Mieter im Hause selbst, ohne sich 
einen Mantel anziehen oder einen Regenschirm aufzu- 
spannen, so ziemlich alles haben wird an Möglichkei- 
ten. Wir können ihm natürlich nicht sagen, du kannst 
jetzt hier dein Bier trinken und kriegst es umsonst, 
und er wird auch zur Bedienung gehen müssen und 
auch bezahlen müssen selbstverständlich. Aber die 
Dinge, die Sie so halbwegs als Gemeinschaftsanlagen 
angesprochen haben, wie Schwimmbad und Reinigungs 
dienste und Telefon, sind im Hause kostenlos; also 
praktisch im Hause kann er sich bestellen, was er 
will, Da gibts noch eine Reihe von kleineren Berei- 
chen, die werden selbstverständlich dann völlig pau- 
schaliert werden. Aber wir haben natürlich auch bei 
diesem Haus etwas, was die Mieter gern oder nicht 
gern sehen, das sind die Kosten. Wir werden bei 
DM 350, - für das 32,5 qm große 1-Zimmer-Apparte- 
ment liegen, netto, und bei ungefähr DM 100, - Neben- 
kosten; und wir werden bei DM 500, - für die 2-Zim- 
mer-Wohnung liegen und mit Nebenkosten auch wieder 
bis DM 600, -; und wir werden bei etwa DM 1.000, - 
liegen für die größte Wohnung. 
Eines der Prinzipien ist verständlicherweise das der 
Verhältnismäßigkeit zwischen Einkommen und Miete, 
die der Mieter bei uns bezahlt. Wir können uns natür- 
lich nicht an einen Mieter wenden, der DM 1.000, - 
Netto-Einkommen hat und der eine 2-Zimmer-Woh- 
nung für DM 550, - haben will und der vielleicht dann, 
weil er die Adresse Arabella-Straße 5 haben will aus 
beruflichen Gründen, mit der Miete einverstanden 
wäre, aber dann, wenn er drin ist, vielleicht an der 
Möblierung knappen muß und der dann in 30 Tagen 
nicht einen einzigen Tag in einem Restaurant gesehen 
wird, weil er dafür keine Mittel mehr frei hat. Diesem 
Mieter müssen wir, und wir tun’s auch gleichsam, 
sagen: dieses Haus ist nicht für ihn geeignet. 
Reformkonzepte als Bedürfnis der Reformer 
Das mit Dienstleistungen aller Art angereicherte 
Appartementhaus, die gemeinsame Nutzung und In- 
anspruchnahme von Leistungen, Geräten und bauli- 
chen Einrichtungen, erfordert allerdings eine gewisse 
Bereitschaft zum Verlassen der absoluten Isolation 
der Privatsphäre, wie sie das Einfamilienhaus er- 
möglicht hatte. Wenn sich immer mehr Angehörige 
der oberen Mittelschicht entschließen, auf das tradier: 
te Statussymbol zu verzichten, obwohl es erschwing- 
lich wäre, dann läßt dieses Verhalten auf Verände- 
rungen der ökonomischen Situation, mithin der ge- 
sellschaftlichen Leitbilder schließen. Tatsächlich gibt 
es Anzeichen dafür, daß eine gewisse Durchlässigkeit 
der Familienschranken nicht nur hingenommen, son- 
dern zunehmend gewünscht wird. Der Architekt und 
Initiator eines Wohnkollektivs, welches die ’ Genos- 
senschaft Urbanes Wohnen’ in der Kölner Innenstadt 
zu realisieren plant, erklärt: 
ARCH+ 3 (1970) H. 11 
"Wir wollen die Annehmlichkeiten des Einfamilien- 
hauses mit den vielfältigen Möglichkeiten der City 
verbinden, ... Die Bewohner können teilhaben an 
Gemeinschaftsanlagen, die sie selbst mitplanen dür- 
fen: Schwimmbad, Sauna, Gemeinschaftsräume, Spiel- 
terrassen und -räume für Kinder, ..'' Ein halbes Jahr 
später kann die Frankfurter Rundschau berichten: 
"Interessenten für das ungewöhnliche Projekt, das in 
der Bundesrepublik seinesgleichen sucht, haben sich 
schon gemeldet. Etwa 80 Leute, vorwiegend Akade- 
miker (Soziologen, Mediziner, Juristen, Lehrer und 
Architekten) schlossen sich zu einer Projektgruppe 
’”Urbanes Wohnen’ zusammen. Für sie, die sich un- 
tereinander als Genossen bezeichnen, steht fest, daß 
die Vereinsamung der Großstadt aus dem städtebauli- 
chen Konzept entsteht . 
Und einig in dem Ziel, hier eine Änderung herbeizu- 
führen, beschlossen sie, ein Gemeinschaftshaus zu 
bauen. Hier soll zwar jeder seinen individuellen Wohn- 
raum besitzen, im Zusammenleben mit den Nachbarn 
aber ein hohes Maß an Gemeinsamkeit praktizieren. 
Die bereits vorhandenen Interessenten haben sich ge- 
einigt, das Vorhaben mit jeweils einer Einlage zwi- 
schen 40. 000, -- und 100,000, -- DM zu finanzieren. '' 
Das immer häufiger sich artikulierende Interesse an 
Wohnformen, die die Kömmunikationsstrukturen im 
Reproduktionsbereich verbessern, wird vielfach auf 
den Freizeitgewinn zurückgeführt, auf die ’ Freizeit- 
gesellschaft’ , die angeblich der technologische Fort- 
schritt in solcher Fülle mit sich bringt, daß die "ehe- 
liche Gemeinschaft einer bleiernen Langeweile, die 
man mit dem Namen Familienglück bezeichnet'', mehr 
als bisher der Zerstreuung bedarf. In Wirklichkeit 
haben aber gerade diejenigen, die von gemeinschaftli- 
chen Wohnprojekten angezogen werden - "lauter mit- 
telalterliche, fortschrittliche Leute, vorwiegend Aka- 
demiker', heißt es bei der Kölner Genossenschaft -, 
keine Vermehrung ihrer arbeitsfreien Zeit zu erwar- 
ten. Im Gegenteil: der Konkurrenzkampf in der weit- 
gehend lohnabhängig gewordenen Mittelschicht hat sich 
derartig verschärft, daß er die einzelne Arbeitskraft 
zur kontinuierlichen Requalifizierung, zur Ergänzung 
ihrer immer unvollständigen Kenntnisse zwingt, will 
sie sich ihren Marktwert sichern und dem als ständige 
Bedrohung empfundenen sozialen Abstieg entgehen. 
Freizeit wird dadurch zur unmittelbaren beruflichen 
Arbeit, zur "Produktion von capital fixe; dies capital 
being man himself". 
In den Ingenieurwissenschaften ist das verwertbare 
Wissen nach durchschnittlich vier bis fünf Jahren zur 
Hälfte veraltet. Noch viel schnelleren Verfall der Ver- 
wertbarkeit einmal erreichten Wissens erleben die 
Angehörigen jener Berufsabteilungen, deren Haupt- 
aufgabe es ist, den neuesten Stand von Erkenntnissen 
und Trends zu vermitteln oder der Kapitalverwertung 
direkt und indirekt zugänglich zu machen: Werbefach- 
leute, Modeschöpfer, Designer, Architekten, Hoch- 
schullehrer, Journalisten etc. Auch die Wissenschaf- 
ten sind modischen Strömungen unterworfen, und zwar 
sind sie es desto mehr, je weniger ihr Tätigkeitsfeld 
sich aus dem Konflikt zwischen Erfordernissen und 
Praktiken der Kapitalverwertung einerseits, Bedürf- 
nissen der Menschen andererseits heraushalten 1äßt. 
Ein Beispiel für die Ambivalenz von Lehrmeinungen 
92%
	        

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.