Frage: Als jetzt in der Presse zu lesen war, die Miet-
preise im Arabella-Haus würden erheblich erhöht,
angeblich in manchen Wohneinheiten bis zu 50 Prozent,
soll die Hausverwaltung damit argumentiert haben,
daß man nun auch erheblich mehr Service bieten kön-
ne. Welche besonderen Dienstleistungen planen Sie
also?
Schörghuber: Wir werden also mindestens soweit
kommen, daß jeder Mieter im Hause selbst, ohne sich
einen Mantel anziehen oder einen Regenschirm aufzu-
spannen, so ziemlich alles haben wird an Möglichkei-
ten. Wir können ihm natürlich nicht sagen, du kannst
jetzt hier dein Bier trinken und kriegst es umsonst,
und er wird auch zur Bedienung gehen müssen und
auch bezahlen müssen selbstverständlich. Aber die
Dinge, die Sie so halbwegs als Gemeinschaftsanlagen
angesprochen haben, wie Schwimmbad und Reinigungs
dienste und Telefon, sind im Hause kostenlos; also
praktisch im Hause kann er sich bestellen, was er
will, Da gibts noch eine Reihe von kleineren Berei-
chen, die werden selbstverständlich dann völlig pau-
schaliert werden. Aber wir haben natürlich auch bei
diesem Haus etwas, was die Mieter gern oder nicht
gern sehen, das sind die Kosten. Wir werden bei
DM 350, - für das 32,5 qm große 1-Zimmer-Apparte-
ment liegen, netto, und bei ungefähr DM 100, - Neben-
kosten; und wir werden bei DM 500, - für die 2-Zim-
mer-Wohnung liegen und mit Nebenkosten auch wieder
bis DM 600, -; und wir werden bei etwa DM 1.000, -
liegen für die größte Wohnung.
Eines der Prinzipien ist verständlicherweise das der
Verhältnismäßigkeit zwischen Einkommen und Miete,
die der Mieter bei uns bezahlt. Wir können uns natür-
lich nicht an einen Mieter wenden, der DM 1.000, -
Netto-Einkommen hat und der eine 2-Zimmer-Woh-
nung für DM 550, - haben will und der vielleicht dann,
weil er die Adresse Arabella-Straße 5 haben will aus
beruflichen Gründen, mit der Miete einverstanden
wäre, aber dann, wenn er drin ist, vielleicht an der
Möblierung knappen muß und der dann in 30 Tagen
nicht einen einzigen Tag in einem Restaurant gesehen
wird, weil er dafür keine Mittel mehr frei hat. Diesem
Mieter müssen wir, und wir tun’s auch gleichsam,
sagen: dieses Haus ist nicht für ihn geeignet.
Reformkonzepte als Bedürfnis der Reformer
Das mit Dienstleistungen aller Art angereicherte
Appartementhaus, die gemeinsame Nutzung und In-
anspruchnahme von Leistungen, Geräten und bauli-
chen Einrichtungen, erfordert allerdings eine gewisse
Bereitschaft zum Verlassen der absoluten Isolation
der Privatsphäre, wie sie das Einfamilienhaus er-
möglicht hatte. Wenn sich immer mehr Angehörige
der oberen Mittelschicht entschließen, auf das tradier:
te Statussymbol zu verzichten, obwohl es erschwing-
lich wäre, dann läßt dieses Verhalten auf Verände-
rungen der ökonomischen Situation, mithin der ge-
sellschaftlichen Leitbilder schließen. Tatsächlich gibt
es Anzeichen dafür, daß eine gewisse Durchlässigkeit
der Familienschranken nicht nur hingenommen, son-
dern zunehmend gewünscht wird. Der Architekt und
Initiator eines Wohnkollektivs, welches die ’ Genos-
senschaft Urbanes Wohnen’ in der Kölner Innenstadt
zu realisieren plant, erklärt:
ARCH+ 3 (1970) H. 11
"Wir wollen die Annehmlichkeiten des Einfamilien-
hauses mit den vielfältigen Möglichkeiten der City
verbinden, ... Die Bewohner können teilhaben an
Gemeinschaftsanlagen, die sie selbst mitplanen dür-
fen: Schwimmbad, Sauna, Gemeinschaftsräume, Spiel-
terrassen und -räume für Kinder, ..'' Ein halbes Jahr
später kann die Frankfurter Rundschau berichten:
"Interessenten für das ungewöhnliche Projekt, das in
der Bundesrepublik seinesgleichen sucht, haben sich
schon gemeldet. Etwa 80 Leute, vorwiegend Akade-
miker (Soziologen, Mediziner, Juristen, Lehrer und
Architekten) schlossen sich zu einer Projektgruppe
’”Urbanes Wohnen’ zusammen. Für sie, die sich un-
tereinander als Genossen bezeichnen, steht fest, daß
die Vereinsamung der Großstadt aus dem städtebauli-
chen Konzept entsteht .
Und einig in dem Ziel, hier eine Änderung herbeizu-
führen, beschlossen sie, ein Gemeinschaftshaus zu
bauen. Hier soll zwar jeder seinen individuellen Wohn-
raum besitzen, im Zusammenleben mit den Nachbarn
aber ein hohes Maß an Gemeinsamkeit praktizieren.
Die bereits vorhandenen Interessenten haben sich ge-
einigt, das Vorhaben mit jeweils einer Einlage zwi-
schen 40. 000, -- und 100,000, -- DM zu finanzieren. ''
Das immer häufiger sich artikulierende Interesse an
Wohnformen, die die Kömmunikationsstrukturen im
Reproduktionsbereich verbessern, wird vielfach auf
den Freizeitgewinn zurückgeführt, auf die ’ Freizeit-
gesellschaft’ , die angeblich der technologische Fort-
schritt in solcher Fülle mit sich bringt, daß die "ehe-
liche Gemeinschaft einer bleiernen Langeweile, die
man mit dem Namen Familienglück bezeichnet'', mehr
als bisher der Zerstreuung bedarf. In Wirklichkeit
haben aber gerade diejenigen, die von gemeinschaftli-
chen Wohnprojekten angezogen werden - "lauter mit-
telalterliche, fortschrittliche Leute, vorwiegend Aka-
demiker', heißt es bei der Kölner Genossenschaft -,
keine Vermehrung ihrer arbeitsfreien Zeit zu erwar-
ten. Im Gegenteil: der Konkurrenzkampf in der weit-
gehend lohnabhängig gewordenen Mittelschicht hat sich
derartig verschärft, daß er die einzelne Arbeitskraft
zur kontinuierlichen Requalifizierung, zur Ergänzung
ihrer immer unvollständigen Kenntnisse zwingt, will
sie sich ihren Marktwert sichern und dem als ständige
Bedrohung empfundenen sozialen Abstieg entgehen.
Freizeit wird dadurch zur unmittelbaren beruflichen
Arbeit, zur "Produktion von capital fixe; dies capital
being man himself".
In den Ingenieurwissenschaften ist das verwertbare
Wissen nach durchschnittlich vier bis fünf Jahren zur
Hälfte veraltet. Noch viel schnelleren Verfall der Ver-
wertbarkeit einmal erreichten Wissens erleben die
Angehörigen jener Berufsabteilungen, deren Haupt-
aufgabe es ist, den neuesten Stand von Erkenntnissen
und Trends zu vermitteln oder der Kapitalverwertung
direkt und indirekt zugänglich zu machen: Werbefach-
leute, Modeschöpfer, Designer, Architekten, Hoch-
schullehrer, Journalisten etc. Auch die Wissenschaf-
ten sind modischen Strömungen unterworfen, und zwar
sind sie es desto mehr, je weniger ihr Tätigkeitsfeld
sich aus dem Konflikt zwischen Erfordernissen und
Praktiken der Kapitalverwertung einerseits, Bedürf-
nissen der Menschen andererseits heraushalten 1äßt.
Ein Beispiel für die Ambivalenz von Lehrmeinungen
92%