geben die Stadtplaner: War noch im Zeichen des Wie-
deraufbaues Auflockerung und Durchgrünung der Städte
modern, so haben sich in den letzten Jahren, im Zei-
chen verschärfter Verwertungsschwierigkeiten, An-
sichten über die Zweckmäßigkeit hoher Bebauungsdich-
ten immer mehr durchgesetzt. Extremisten der Ver-
dichtung haben bereits fensterlose Arbeits- und Wohn-
räume propagiert, in denen durchscheinende Wände,
künstliches Tageslicht und notfalls Farbfilmprojekto-
ren den fehlenden Ausblick ersetzen sollen,
Für die Angehörigen von Berufen, in denen man da-
rauf angewiesen ist, ständig Informationen zu erhalten,
sich in den zugehörigen Meinungs- und Richtungskämp-
fen zu orientieren und die Wirkung eigener Ansichten
zu testen, ist gesellschaftliche Isolation schädigend.
Hieraus erklärt sich die Forderung der fungiblen
Mittelschicht nach mehr Urbanität, nach Konzentra-
tion der Kommunikationsgelegenheiten. Wenn die Stadt
solches in viel zu geringem Umfang bietet, und wenn
es jenseits der materiellen Möglichkeiten dieser Schicht
liegt, die Stadtstruktur in der gewünschten Weise
schnell und wirksam zu verbessern, bleibt nur noch
der Rückzug auf kommensurable Objekte, auf die Mini-
Öffentlichkeit von Häusern und Wohnungen, die nach
diesen schichtenspezifischen Bedürfnissen organisier-
bar sind im Sinne einer Informations- und Meinungs-
börse.
Aus keinem anderen Bedürfnis sind viele studentische
Wohngemeinschaften gegründet worden, wenn ihnen
auch zeitweilig eine eminent politische Funktion zuge-
schrieben wurde. Noch im Herbst 1968 hieß es in
einem Papier des Berliner SDS: ''Die Bedeutung der
Wohngemeinschaften für die Arbeit des Verbandes be-
steht darin, eine intensivere politische Diskussion
zwischen den einzelnen Genossen und dem gesamten
Verband zu ermöglichen; die Kommunikation wird er-
höht; die Beteiligung und Mitgestaltung der Genossen
an den Aktionen, die theoretischen Diskussionen wer-
den zwischen wesentlich mehr Genossen geführt wer-
den können. Schließlich werden damit jene Gruppen,
die jetzt die SDS-Politik faktisch bestimmen, ersetzt
durch den Verband selbst. Der ganze Verband wird
ein großer ’Informeller Kader’ .'' Inzwischen hat sich
dieses Organisationskonzept längst als eine Überbe-
wertung der Wohnform und der Leistungsfähigkeit der
Studentenbewegung herausgestellt. Die funktionierende
Wohngemeinschaft kann zwar die Selbstidentifikation
des politisch arbeitenden Individuums unterstützen,
zur Entwicklung seiner Verhaltensnormen beitragen,
Absicherung und Ermutigung gegenüber der Außenwelt
sein; ob sie aber funktioniert, das ist von einer gan-
zen Reihe persönlicher Faktoren abhängig: von der
Zuverlässigkeit, der Disziplin, den Ordnungsgewohn-
heiten, der Kooperationsbereitschaft, der gegenseiti-
gen Sympathie, den gemeinsamen Interessen und Pro-
jekten ihrer Mitglieder.
Im kapitalistischen System, als Mittel zur
Umwälzung desselben propagiert, hat das Kommune-
konzept verschiedentlich große Verwirrung gestiftet,
weil ihm die Gefahr innewohnt, als Konzept des grup-
pen-privaten Rückzugs aus der kommerzialisierten
Gesellschaft und ihrer zerstörten Umwelt praktiziert
zu werden. Die Kommune wird jetzt aufgefaßt als
Freiraum, der denjenigen, die ihn sich schaffen, aus-
schließlich zur Verbesserung ihrer eigenen Lage dient:
sie wird eine Variante des kleinbürgerlichen Escapis-
mus, ein Fluchtmodell, und der Abwanderung ihrer
Mitglieder in die Subkultur steht nichts mehr im Weg.
In der seriöseren Sphäre der etablierten Reformgeister
transformiert sich der drop out zum Genossenschaft-
ler, gründet Cooperative, Initiativen, Institute und
Aktionen. Wo der Bourgeois bewußt und zynisch eigene
Interessen für solche der Gesamtgesellschaft ausgibt,
erliegt der kleinbürgerliche Weltverbesserer einer
Selbsttäuschung: er verwechselt die seinen mit jenen,
unterlegt seinem Kampf ums ’ Überleben’ die ethische
Motivation.
Dabei stellen sich der proletarischen Bevölkerung,
den breiten Massen der Lohnabhängigen, ganz andere
Probleme. Ihre abhängige Situation, ihre Lebensweise
wie ihr Arbeitstag haben sich seit der Jahrhundert-
wende trotz immens gestiegener Arbeitsproduktivität
nicht wesentlich geändert. Entsprechend unverändert
sind auch ihre Wohnungen geblieben; daß es nicht durch-
weg die von vor 100 Jahren sind, ist nur den Bombarde-
ments und der konjunkturregulierenden Funktion des
Sanierungsgeschäftes zu danken. Doch in den neuen
Wohnungen, die man für das Proletariat baut, lebt es
sich nicht besser, weil Arbeitgeber, Erzieher, Richter,
Polizisten, Werbefritzen, Wohnungsgeber und das
ganze System von Kontrolle und Bespitzelung, das sie
in Gang gesetzt haben, immer noch für den entsprechen-
den Zuschnitt sorgen. Die herrschende Klasse sieht
sich gezwungen, auch auf dem Gebiet des Wohnungs-
baus durch Anlage des Quartiers, Wohnform, Vor-
schriften für die Mieter und Höhe der Mieten die Vo-
raussetzungen für die Vereinzelung der Familien, für
den Leistungsdruck aufrecht zu erhalten.
Öffentlichkeit und Partizipation
Für die bürgerlichen Sozialwissenschaftler hat sich
die ’ Unwirtlichkeit unserer Städte’ und.die Trostlosig-
keit des Wohnens als eine Frage nach dem Verhältnis
von öffentlicher und privater Sphäre gestellt; sie mein-
ten, in der modernen Großstadt einen spezifischen
Verlust von ’ Urbanität’ registrieren zu können, die
sich als eine gesellschaftliche Qualität nach Maßgabe
des Verhältnisses von Öffentlichkeit und Privatheit
in einzelnen Regionen und Wohnquartieren bestimmen
lasse.
Das städtebauliche Leitbild eines an bürgerlichen Ver-
kehrsformen orientierten Urbanismus hat zunächst zur
Kritik der Vereinzelung und Anonymisierung der In-
dividuen wie der ’ totalen Privatheit’ der Kleinfamilie
und der auf sie zugeschnittenen Dutzendwohnung ge-
führt. Wiederherstellung von Öffentlichkeit im Bereich
von Wohnen und Konsum stand seitdem auf dem Plan
der Progressiven. Aufbrechen der Isolation und Pri-
vatheit durch Kommunikationszentren, Gemeinschafts-
einrichtungen und Kommunehäuser, also Teilhabe der
Individuen an lokaler Öffentlichkeit stellt eine Ziel-
richtung dieses Versuchs bürgerlicher Rekonstruktion
dar; die andere Zielrichtung ergab sich. daraus un-
mittelbar. Der Versuch, Öffentlichkeit für den Privat-
mann zu erschließen, mündete in ein Interesse, an der
Planung teilzuhaben, um das urbane Ideal künftig zu
realisieren.
ARCH-+ 3 (1970) H. 11