Full text: ARCH+ : Studienhefte für architekturbezogene Umweltforschung und -planung (1970, Jg. 3, H. 9-11)

sucht und überprüft werden kann. Die Brauchbarkeit und 
Kritisierbarkeit einer qualifizierten Aussage ist abhängig 
vom Praxisbereich, für den sie gemacht wird. 
Die Qualität einer Didaktik der Gruppenarbeit als Instru- 
ment der Konzeption qualifizierender Tätigkeiten wird 
bestimmt von dem Praxisbereich der Didaktik: der Erzeu- 
gung von Qualifikation. Da der Wert einer Qualifika- 
tion nur am Zweck der Qualifikation (dem Praxisbereich 
für die Qualifikation) gemessen werden kann, ist auch 
die Effizienz der Didaktik nur an diesem Zweck über- 
prüfbar: Sie kann nur Fachdidaktik mit mehr oder weniger 
verallgemeinerndem Anspruch sein. Didaktik "an sich" 
ist Unsinn. Das Qualifikationsziel von Gruppenarbeit ist 
jeweils abhängig vom individuellen Vorlauf (Sozialisa- 
tion) der Gruppenmitglieder: Klassenlage, Elternhaus, 
Bildungsgang, individuelle Erfahrungen. Die Gruppen- 
arbeit selbst stellt für die Mitglieder einer Gruppe einen 
weiteren Sozialisationsvorgang dar. Hier liegt ein Anlaß 
und Ansatzpunkt einer Politisierung der Gruppenarbeit. 
4.12 Die Bedeutung individueller Qualifikationsinteres- 
sen für die Gruppenarbeit 
Das Feststellen von Qualifikationszielen ist auch in der 
Gruppe eine Leistung von Individuen. Diese Ziele sind 
abhängig von individuellen Qualifikationsinteressen. Ge- 
meinsame und einander ergänzende Qualifikationsinte- 
ressen sind eine Grundlage für die Arbeit in Gruppen. 
Die Formulierung und Reformulierung dieser Interessen, 
als ein die Gruppenarbeit ständig begleitender Prozeß, 
entscheidet mit über die Qualität der Gruppenarbeit. 
Sinn der Gruppenarbeit ist die Qualifikation der Grup- 
penmitglieder, Qualifikation liegt in der Fähigkeit, 
konkrete Aussagen zu wohldefinierten Zwecken zu ma- 
chen und sie in einer bestimmten Praxis zu realisieren. 
Gruppenarbeit hat demnach die Aufgabe, zu folgenden 
Aussagebereichen die Aussage- und Handlungsmöglich- 
keiten zu verbessern: 
- Aussagen zu individuellen Zielen, Ansprüchen, Ab- 
sichten und Fähigkeiten der Gruppenmitglieder 
Aussagen in bezug auf relevante Fachinhalte und Fach- 
informationen 
Aussagen zur Organisation der individuellen und Grup- 
pentätigkeiten. 
Im folgenden sollen zu jedem dieser Punkte differenzier- 
tere Bestimmungen gemacht und die jeweiligen Praxis- 
bereiche benannt werden. Es soll die Möglichkeit gezeigt 
werden, in diesen Bereichen Gruppenarbeit zu praktizie- 
ren und schließlich auf mögliche Fehleinschätzungen hin- 
gewiesen werden 
4.2 Individvelle Motivation in der Gruppenarbeit 
4.21 Die Rolle der individuellen Motivation bei der Ar- 
beit in Gruppen 
Die individuelle Motivation, an einer Gruppenarbeit 
teilzunehmen, wird allgemein als eine entscheidende 
Triebkraft der Arbeit bezeichnet. Bei der Gruppenarbeit 
entsteht, wie bei jedem anderen Sozialisationsprozeß, 
individuelle Motivation zum Teil "fremdbestimmt" als 
ein Ergebnis einer Auseinandersetzung individueller Selbst 
bestimmungsansprüche mit einschränkenden Realitäten aus 
dem Bereich des natürlichen und sozialen, des materiel- 
len Umfeldes. Die Erfahrungen der Stuttgarter Praxis mit 
Gruppenarbeit haben gezeigt, daß eines der größten 
Arbeitshemmnisse, zumindest auf seiten der Gruppen- 
mitglieder, ihre ungeklärte Motivationslage darstellt. 
Daß diese Situation nicht durch eine allgemeine "Moti 
vationsdebatte" verändert werden kann, soll näher in 
4.24 begründet werden. 
Ich gehe von der Annahme aus (Arbeitshypothese), daß 
jeder auch noch so amorphen Motivationslage zwei Dinge 
zugrunde liegen, die tendenziell ohnehin, bei irratio- 
nalem Verhalten der Gruppenmitglieder aber in gestei- 
gertem Maße zueinander in Widerspruch treten können: 
Kommunikationsbedürfnis (von verbaler, erotischer bis 
sexueller Art) und das Bedürfnis nach Existenzsicherung. 
Kommunikationsbedürfnisse in der Gruppe zu befriedi- 
gen, stößt auf unterschiedlich starke, zum Teil aber 
vehemente Tabus und Insuffizienzen der Gruppenmitglie- 
der (Sexualökonomie des akademischen Kleinbürgertums). 
Sie erschweren bis verhindern in dieser Beziehung an- 
dere, als vorwiegend kompensatorische, Befriedigungs- 
formen. Hier soll keiner naturgesetzlichen Trennung von 
Arbeit und Erotik das Wort geredet werden, es sollte 
aber bei einer realistischen Einschätzung von Problemen 
der Gruppenarbeit nicht vergessen werden, daß katego- 
rische Emanzipationsappelle (beides zu verbinden) eine 
konkrete Benennung konkreter Schwierigkeiten eher ver- 
hindern, auf jeden Fall nicht ersetzen können. Für die 
Gruppenarbeit werden Kommunikationsstörungen da 
wichtig, wo sie latent oder manifest die Qualifizierung 
einschränken. Das heißt nicht, daß z.B. sexuelle Stö- 
rungen oder Elternhauskonflikte in den Gruppendebatten 
nichts verloren haben, sondern nur, daß die Diskussion 
dieser Dinge (wenn sie stattfindet) mit dem Ziel ge- 
schehen sollte, die Arbeitsfähigkeit der Gruppenmitglie- 
der zu verbessern. So gesehen muß sie sogar stattfinden. 
Für die Befriedigung des Bedürfnisses nach Existenzsi- 
cherung ist Gruppenarbeit ein wirksames Instrument: 
Hier liegen schwerpunktmäßig ihre Aufgaben. In der 
Auseinandersetzung zwischer, Existenzsicherungsansprü- 
chen und ihren Einschränkungen durch die gesellschaft- 
lichen Verhältnisse liegt ein weiterer Ansatzpunkt für 
Politisierung der Gruppenarbeit . 
4.22 Praxisbereiche für das Konkretisieren individueller 
Motivation 
Für Gruppenarbeit, die sich die Qualifikation der Grup- 
penmitglieder zum Ziel gesetzt hat, liegt ein Praxis- 
schwerpunkt für das Auffinden individueller Motivationen 
darin, die individuellen Qualifikationsinteressen auf 
konkrete Begriffe zu bringen. Um Aussagen über Ziele, 
Ansprüche, Absichten und Fähigkeiten der Gruppenmit- 
glieder zu gewinnen, muß in der Gruppe zuerst festge- 
stellt werden, welche und wie konkrete Aussagen die 
Mitglieder am Anfang der Gruppenarbeit machen kön- 
nen. Wenn in der Studienrichtung Architektur in Stutt- 
gart eine Gruppenarbeit anfängt, haben alle Teilnehmer 
schon Vorentscheidungen getroffen, zum Beispiel, daß 
sie Architektur studieren wollen (was immer das ist), und 
zwar in Stuttgart (was immer das bedeutet und wie im- 
mer diese Entscheidung gefallen ist). Die Entscheidungs- 
basis für die weitere Arbeit ist damit gegeben, wenn 
auch wahrscheinlich noch komplex und unkonkret. Auf 
dieser Grundlage kann in der Auseinandersetzung mit 
Informationen über Berufspraxis, Laufbahnbedingungen, 
Studienbedingungen, Fachinformationen und Informatio- 
nen über die Aussagen der anderen Gruppenmitglieder 
im Verlauf der Gruppenarbeit eine fortlaufende weitere 
ARCH+ 3 (1970) H. 11
	        
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