sucht und überprüft werden kann. Die Brauchbarkeit und
Kritisierbarkeit einer qualifizierten Aussage ist abhängig
vom Praxisbereich, für den sie gemacht wird.
Die Qualität einer Didaktik der Gruppenarbeit als Instru-
ment der Konzeption qualifizierender Tätigkeiten wird
bestimmt von dem Praxisbereich der Didaktik: der Erzeu-
gung von Qualifikation. Da der Wert einer Qualifika-
tion nur am Zweck der Qualifikation (dem Praxisbereich
für die Qualifikation) gemessen werden kann, ist auch
die Effizienz der Didaktik nur an diesem Zweck über-
prüfbar: Sie kann nur Fachdidaktik mit mehr oder weniger
verallgemeinerndem Anspruch sein. Didaktik "an sich"
ist Unsinn. Das Qualifikationsziel von Gruppenarbeit ist
jeweils abhängig vom individuellen Vorlauf (Sozialisa-
tion) der Gruppenmitglieder: Klassenlage, Elternhaus,
Bildungsgang, individuelle Erfahrungen. Die Gruppen-
arbeit selbst stellt für die Mitglieder einer Gruppe einen
weiteren Sozialisationsvorgang dar. Hier liegt ein Anlaß
und Ansatzpunkt einer Politisierung der Gruppenarbeit.
4.12 Die Bedeutung individueller Qualifikationsinteres-
sen für die Gruppenarbeit
Das Feststellen von Qualifikationszielen ist auch in der
Gruppe eine Leistung von Individuen. Diese Ziele sind
abhängig von individuellen Qualifikationsinteressen. Ge-
meinsame und einander ergänzende Qualifikationsinte-
ressen sind eine Grundlage für die Arbeit in Gruppen.
Die Formulierung und Reformulierung dieser Interessen,
als ein die Gruppenarbeit ständig begleitender Prozeß,
entscheidet mit über die Qualität der Gruppenarbeit.
Sinn der Gruppenarbeit ist die Qualifikation der Grup-
penmitglieder, Qualifikation liegt in der Fähigkeit,
konkrete Aussagen zu wohldefinierten Zwecken zu ma-
chen und sie in einer bestimmten Praxis zu realisieren.
Gruppenarbeit hat demnach die Aufgabe, zu folgenden
Aussagebereichen die Aussage- und Handlungsmöglich-
keiten zu verbessern:
- Aussagen zu individuellen Zielen, Ansprüchen, Ab-
sichten und Fähigkeiten der Gruppenmitglieder
Aussagen in bezug auf relevante Fachinhalte und Fach-
informationen
Aussagen zur Organisation der individuellen und Grup-
pentätigkeiten.
Im folgenden sollen zu jedem dieser Punkte differenzier-
tere Bestimmungen gemacht und die jeweiligen Praxis-
bereiche benannt werden. Es soll die Möglichkeit gezeigt
werden, in diesen Bereichen Gruppenarbeit zu praktizie-
ren und schließlich auf mögliche Fehleinschätzungen hin-
gewiesen werden
4.2 Individvelle Motivation in der Gruppenarbeit
4.21 Die Rolle der individuellen Motivation bei der Ar-
beit in Gruppen
Die individuelle Motivation, an einer Gruppenarbeit
teilzunehmen, wird allgemein als eine entscheidende
Triebkraft der Arbeit bezeichnet. Bei der Gruppenarbeit
entsteht, wie bei jedem anderen Sozialisationsprozeß,
individuelle Motivation zum Teil "fremdbestimmt" als
ein Ergebnis einer Auseinandersetzung individueller Selbst
bestimmungsansprüche mit einschränkenden Realitäten aus
dem Bereich des natürlichen und sozialen, des materiel-
len Umfeldes. Die Erfahrungen der Stuttgarter Praxis mit
Gruppenarbeit haben gezeigt, daß eines der größten
Arbeitshemmnisse, zumindest auf seiten der Gruppen-
mitglieder, ihre ungeklärte Motivationslage darstellt.
Daß diese Situation nicht durch eine allgemeine "Moti
vationsdebatte" verändert werden kann, soll näher in
4.24 begründet werden.
Ich gehe von der Annahme aus (Arbeitshypothese), daß
jeder auch noch so amorphen Motivationslage zwei Dinge
zugrunde liegen, die tendenziell ohnehin, bei irratio-
nalem Verhalten der Gruppenmitglieder aber in gestei-
gertem Maße zueinander in Widerspruch treten können:
Kommunikationsbedürfnis (von verbaler, erotischer bis
sexueller Art) und das Bedürfnis nach Existenzsicherung.
Kommunikationsbedürfnisse in der Gruppe zu befriedi-
gen, stößt auf unterschiedlich starke, zum Teil aber
vehemente Tabus und Insuffizienzen der Gruppenmitglie-
der (Sexualökonomie des akademischen Kleinbürgertums).
Sie erschweren bis verhindern in dieser Beziehung an-
dere, als vorwiegend kompensatorische, Befriedigungs-
formen. Hier soll keiner naturgesetzlichen Trennung von
Arbeit und Erotik das Wort geredet werden, es sollte
aber bei einer realistischen Einschätzung von Problemen
der Gruppenarbeit nicht vergessen werden, daß katego-
rische Emanzipationsappelle (beides zu verbinden) eine
konkrete Benennung konkreter Schwierigkeiten eher ver-
hindern, auf jeden Fall nicht ersetzen können. Für die
Gruppenarbeit werden Kommunikationsstörungen da
wichtig, wo sie latent oder manifest die Qualifizierung
einschränken. Das heißt nicht, daß z.B. sexuelle Stö-
rungen oder Elternhauskonflikte in den Gruppendebatten
nichts verloren haben, sondern nur, daß die Diskussion
dieser Dinge (wenn sie stattfindet) mit dem Ziel ge-
schehen sollte, die Arbeitsfähigkeit der Gruppenmitglie-
der zu verbessern. So gesehen muß sie sogar stattfinden.
Für die Befriedigung des Bedürfnisses nach Existenzsi-
cherung ist Gruppenarbeit ein wirksames Instrument:
Hier liegen schwerpunktmäßig ihre Aufgaben. In der
Auseinandersetzung zwischer, Existenzsicherungsansprü-
chen und ihren Einschränkungen durch die gesellschaft-
lichen Verhältnisse liegt ein weiterer Ansatzpunkt für
Politisierung der Gruppenarbeit .
4.22 Praxisbereiche für das Konkretisieren individueller
Motivation
Für Gruppenarbeit, die sich die Qualifikation der Grup-
penmitglieder zum Ziel gesetzt hat, liegt ein Praxis-
schwerpunkt für das Auffinden individueller Motivationen
darin, die individuellen Qualifikationsinteressen auf
konkrete Begriffe zu bringen. Um Aussagen über Ziele,
Ansprüche, Absichten und Fähigkeiten der Gruppenmit-
glieder zu gewinnen, muß in der Gruppe zuerst festge-
stellt werden, welche und wie konkrete Aussagen die
Mitglieder am Anfang der Gruppenarbeit machen kön-
nen. Wenn in der Studienrichtung Architektur in Stutt-
gart eine Gruppenarbeit anfängt, haben alle Teilnehmer
schon Vorentscheidungen getroffen, zum Beispiel, daß
sie Architektur studieren wollen (was immer das ist), und
zwar in Stuttgart (was immer das bedeutet und wie im-
mer diese Entscheidung gefallen ist). Die Entscheidungs-
basis für die weitere Arbeit ist damit gegeben, wenn
auch wahrscheinlich noch komplex und unkonkret. Auf
dieser Grundlage kann in der Auseinandersetzung mit
Informationen über Berufspraxis, Laufbahnbedingungen,
Studienbedingungen, Fachinformationen und Informatio-
nen über die Aussagen der anderen Gruppenmitglieder
im Verlauf der Gruppenarbeit eine fortlaufende weitere
ARCH+ 3 (1970) H. 11