Full text: ARCH+ : Studienhefte für architekturbezogene Umweltforschung und -planung (1970, Jg. 3, H. 9-11)

welche die Grundlage für Theorien bilden; 
- instrumentell (wie das Ingenieurwesen), indem sie die 
Mittel und Methoden für die Anwendung in konkreten 
Situationen entwickelt; 
- pragmatisch, indem sie diese Anwendbarkeit ständig 
berücksichtigt und bei der Anwendung selbst beteiligt 
ist (wie die Medizin) (12)." 
Dieser Wissenschaftsbegriff und damit der erweiterte 
Planungsbegriff der Definition (d) liegt auch der opera- 
tionalen Forschung zugrunde (operations research). 
Bei der operationalen Forschung geht es um die "Lösung 
operationaler Probleme mit Hilfe der Wissenschaft 
schlechthin" (13), wobei Churchman, Ackoff und 
Arnoff folgende Planungsphasen unterscheiden: Formu- 
lierung des Problems, Modellkonstruktion, Ableitung 
einer Lösung aus dem Modell, Test des Modells und der 
Lösung, Vorsorge für eine Überwachung und Anpassung 
der Lösung und deren praktische Verwirklichung. 
Es soll hier nicht weiter auf die operationale Forschung 
eingegangen werden; in diesem Zusammenhang ist vor 
allem die Tatsache bedeutsam, daß der Planungsbegriff 
des operations research auch auf die Regelung (Steue- 
rung), d.h. auf die Stabilisierung verwirklichter 
Lösungen erweitert wird (14). 
Wenn wir davon ausgehen, daß ein solcher Planungsbe- 
griff in zunehmendem Maße aus dem Bereich der Unter- 
nehmensführung zur Grundlage behördlicher Planung 
avanciert, dann läßt sich aus diesem Umstand die Ver- 
mutung bekräftigen, daß vor dem Hintergrund 
der bestehenden gesellschaftlichen Ver- 
hältnisse mit den neuen technischen Möglichkeiten 
der (zweck-)rationalen Organisierung der soziotechni- 
schen Umwelt die Gefahr heraufzieht, Planungsimpera- 
tive aus vermeintlichen technologischen "Sachzwängen" 
abzuleiten mit dem Ziel einer konfliktvermeidenden 
Stabilisierung (Steuerung und Regelung) soziotechnischer 
Prozesse; kurz: die Gefahr der Verselbständigung des 
Subsystems zweckrationalen Handelns zu einem techno- 
kratischen Verwaltunasapparat 
1.2 Das "technokratische Modell" 
Die vorgestellte Vermutung soll zunächst gesellschafts- 
politisch untermauert werden; auf ihre psychologischen 
Aspekte wird unter Punkt 1.5 dieses Teils kurz einge- 
gangen. 
Habermas erklärt, daß sich heute die Frage stelle, ob 
das dezisionistische Modell ("in letzter Instanz kann 
sich das politische Handeln nicht rational begründen") 
einem technokratischen weicht, in dem sich der "Sach- 
zwang" der Spezialisten gegenüber der Dezision der 
Führer (durchsetzt). Der Staat "...scheint nicht länger 
ein Apparat zur gewaltsamen Durchsetzung prinzipiell 
unbegründbarer, nur’dezisionistisch vertretener (Eigen-) 
Interessen zu bleiben, sondern Organ einer durchgängig 
rationalen Verwaltung zu werden". 
Systemforschung, Entscheidungstheorie und operationale 
Forschung stellen nicht neue Technologien bereit und 
verbessern damit die herkömmlichen Instrumente, "... 
sondern rationalisieren durch berechnete Strategien und 
Entscheidungsautomatiken die Wahl als solche" (15). Der 
Auffassung der Volkswirtschaft als "zweckorientierte 
Maschine" (social engineering) liegt eine tendenzielle 
und strukturelle Gleichsetzung der staatlichen Verwal- 
tung mit dem Management von privaten Wirtschaftsun- 
ternehmen zugrunde. Das bedeutet also, daß in der 
Planung der Einsatz von Mitteln allein nach Kosten 
optimiert wird. Es muß dann versucht werden, gesell- 
schaftlichen Nutzen und Wert in Kostendimensionen zu 
quantifizieren. 
Wenn die Kostenminimierung bzw. die Profitmaximierung 
als diskutable subjektive Wertsetzungen im Dienste der 
herrschenden Klasse der Kapitalisten zugunsten quasi 
naturgesetzlicher Sachzwänge aus dem Bewußtsein der 
Planer und Politiker verdrängt werden, können erst 
Sachzwänge als Ausdruck technischer (a priori) Notwen- 
digkeiten die Leistung eines Systems definieren und 
zur Legitimation politisch-technokratischer Entscheidun- 
gen herangezogen werden. "Wertneutralität'" verwandelt 
sich. in "Wertfreiheit". 
Eine derart quantifizierbare Leistung kann dann den 
"Sollwert" zur Steuerung und Regelung (kybernetischer) 
Systeme abgeben. Das soziotechnische System "Gesell- 
schaft" wird dann als äußerst komplexes System (black 
box) (16) definiert. Dabei soll über die analytische Er- 
fahrungsgewinnung hinaus das System mit Hilfe des 
Prinzips der "Eingangsmanipulation und Ausgangsklassifi- 
kation" (17) gemäß eines solchen Sollwertes stabilisiert 
werden, d.h. potentielle Konflikte sollen frühzeitig er- 
kannt und eliminiert werden. Wenn wir davon ausgehen, 
daß die Methoden des operations research zunehmend 
auch zur Grundlage behördlicher Planungen werden, so 
wird die Möglichkeit des Einsatzes "lernfähiger" Auto- 
maten oder Automaten mit "Bewußtseinsmechanismen" 
(18) zur Stabilisierung bestehender Verhältnisse zur 
"realen Utopie". 
Bezeichnend ist das Emanzipationsverständnis technokra- 
tischer Ideologiekritik: Wenn eine sinnvolle Gestaltung 
der Umwelt einen wissenschaftlichen Erkenntnisprozeß 
voraussetzt, so kann argumentiert werden, daß dieser in 
der Geschichte durch "Ideologien", durch Transzendie- 
rung auf einen wissenschaftliche Erkenntnis übersteigen- 
den Wert hin immer wieder korrumpiert wurde; und diese 
Transzendierungen geben die Basis für die inhumansten 
Gesellschaftssysteme ab. Jede Ideologie wird daher als 
inhuman begriffen; d.h. aber, daß die Frage nach dem 
"Sinn des Lebens" nicht Gegenstand ideologiekritischen 
Erkenntnisinteresses sein kann. 
Am Verhältnis der Geistes- zu den Naturwissenschaften 
wird dieses Dilemma besonders deutlich: so bei H.P. 
Barth, H. Krauch und H. Rittel unter dem Thema "Die 
Technik der wissenschaftlichen Arbeit in Gruppen": 
"Anerkennung ’ wissenschaftlicher” Methoden: Die 
Mitglieder eines Kooperativs müssen sich über die Be- 
nutzung ’wissenschaftlicher” Methoden und deren Not- 
wendigkeit einig sein. Diese Tatsache schafft einen 
objektiven Arbeitsstil, der in der Lage ist, innenpoliti- 
sche Rücksichten und persönliche Argumente weitgehend 
zu relativieren und auszuschalten. Er ist durch strenge 
Sachbezogenheit und Folgerichtigkeit ausgezeichnet. 
Behauptungen sind zu begründen, Gegenargumente zu 
prüfen. So selbstverständlich diese Forderung zu sein 
scheint, so schwer ist sie zu realisieren. Insbesondere 
Teams, ‚die sich aus Natur- und Geisteswissenschaftlern 
zusammensetzen, drohen ständig im ” Methodenkrieg‘ 
auseinanderzubrechen. Die verständliche Tendenz der 
Geisteswissenschaftler zur Erörterung der ’ Sinnfrage’ 
ARCH+3 (1970) H. 9
	        
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