Full text: ARCH+ : Studienhefte für architekturbezogene Umweltforschung und -planung (1970, Jg. 3, H. 9-11)

"Demokratie" und "Technokratie" werden hier bewußt 
als ideologische Begriffe verstanden. 
Marcuse sagt, die Technokratie liefere die "... große 
Rationalisierung der Unfreiheit, sein Leben selbst zu 
bestimmen. Denn diese Unfreiheit ... erscheint als 
Unterwerfung unter den technischen Apparat, der die 
Bequemlichkeiten des Lebens erweitert und die Arbeits- 
produktivität erhöht" (38). Diese Unterwerfung scheint 
nicht mehr auf der Grundlage des traditionellen Klassen- 
kampfes aufgehoben oder verhindert werden zu können, 
da der im Hinblick auf ihre ökonomischen Interessen 
definierten "Klasse" (des Proletariats) nicht nur mit der 
Steigerung des Lebensstandards und Arbeitsproduktivität 
die traditionelle Organisationsbasis entzogen werde (wie 
Rapaport feststellt), sondern auch deshalb, weil ein über 
neue Manipulationstechniken forcierter Identitäts- bzw. 
Loyalitätsdruck die alten Klassengegensätze zunehmend 
verschleiert. 
Als Ziel einer Demokratisierung sei die Emanzipation der 
Individuen definiert als ein permanenter Befreiungspro- 
zeß von der Herrschaft der Menschen (bzw. Apparate) 
über Menschen. Das Ergebnis eines gesellschaftlichen 
Emanzipationsprozesses ist nicht planbar. 
Habermas versteht unter Demokratie "...die institutio- 
nell gesicherten Formen einer allgemeinen und öffent- 
lichen Kommunikation, die sich mit der praktischen 
Frage befaßt: wie die Menschen unter den objektiven 
Bedingungen ihrer immens erweiterten Verfügungsgewalt 
miteinander leben können und wollen" (39). (Dabei 
interpretiere ich die "institutionell gesicherten Formen" 
als das Schaffen von Freiräumen, in denen Emanzipation 
möglich wird; Emanzipation selbst 1äßt sich natürlich 
nicht institutionell sichern.) Demokratie wird nicht durch 
Technik als solche ausgeschlossen. Entscheidungen über 
den Einsatz und die Nutzanwendung technischer Poten- 
tiale muß vielmehr der demokratischen Willensbildung 
und der gesellschaftlichen Kontrolle zugänglich gemacht 
werden, wobei die verhärteten institutionellen Deliga- 
tionssysteme einer repräsentativen Demokratie aufgeweicht 
werden müssen. Marcuse betont deshalb, daß Emanzipa- 
tion nur möglich sei, "... wenn die indirekte Demokratie 
des korporativen Kapitalismus’ " durch die "direkte De- 
mokratie, bei der Wahlen und Repräsentanz nicht mehr 
als Institutionen der Herrschaft dienen", ersetzt werden 
(40). 
Demokratisierung des Planungsprozesses 
bedeutet dann, daß für den am Planungsprozeß beteilig- 
ten und von der Planung betroffenen Bürger die Möglich- 
keit und Fähigkeit der autonomen Verfügung über die 
den individuellen Habitus bestimmenden Umweltfaktoren 
zum Prüfstein zweckrationalen Handelns gemacht werden. 
Vor diesem Hintergrund erscheint der Anspruch, inner- 
halb des "Subsystems zweckrationalen Handelns" opti- 
male Verfahren zur optimalen Befriedigung gesellschaft- 
licher Bedürfnisse zu entwickeln, dann emanzipations- 
feindlich, wenn diejenigen, deren Bedürfnisse befriedigt 
werden sollen, von den Entscheidungen über Maßnahmen 
zur Bedürfnisbefriedigung ausgeschlossen werden. 
Ein scheinbar noch so demokratisches Planungsergebnis, 
mit demokratisierungsfeindlichen Methoden aus dem 
Repertoire positivistischer Handlungswissenschaften er- 
zeugt, genügt der oben dargestellten Maxime zweckra- 
tionalen Handelns im demokratisierten Planungsprozeß 
nicht: Scheinmöglichkeiten zur Demokratisierung 
mit diesen Methoden anzubieten bedeutet, die Fähig- 
keiten zu demokratischem Verhalten unterdrücken. 
Der naive Versuch, aus pragmatischem Ansatz unreflek- 
tiert Fähigkeiten demokratischen Verhaltens einzu- 
üben, genügt der oben dargestellten Maxime ebenso- 
wenig: Das Spiel mit den Verplanten domestiziert eman- 
zipatorische Forderungen, die aus dem Bewußtsein der 
Hilflosigkeit gegenüber den herrschenden gesellschaftli- 
chen Gewalten entstehen könnten. 
Teil B 
BEISPIELE DER "NUTZERBETEILIGUNG" AM 
PLANUNGSPROZESS 
(Citizen Participation und Advocacy Planning 
in den USA) 
Im folgenden Teil der Arbeit sollen auf der Grundlage 
der vorangegangenen theoretischen Darstellungen Bei- 
spiele der "Nutzerbeteiligung" am Planungsprozeß als 
"Versuche zur Demokratisierung" erörtert werden. 
Il. "Citizen Participation” und "Advocacy 
Planning" 
In Europa beschränken sich, soweit mir bekannt ist, die 
Ansätze und Modelle der "Nutzerbeteiligung am Pla- 
nungsprozeß'" noch vorwiegend auf "Laboratoriumsver- 
suche", unter denen die Planspiel-Simulationen (41) 
wohl zu den fortschrittlichsten zählen. 
In den Vereinigten Staaten werden dagegen seit einigen 
Jahren Versuche unternommen, die von der Planung Be- 
troffenen aktiv am Planungsprozeß zu beteiligen - citizen 
participation. Dabei artikuliert sich zunehmend ein 
neues Selbstverständnis von Planern und vor allem Sozio- 
logen, die sich als Anwälte der Betroffenen in einer 
pluralistischen Gesellschaft begreifen - advocate planner. 
Bevor ich anhand einiger, dem AIP-Journal entnommener 
Berichte auf Probleme der citizen participation und 
advocacy planning eingehe, sei noch auf eine Einschrän- 
kung hingewiesen in der Übertragbarkeit der dargestellten 
Thesen und Projekte auf die Verhältnisse in der BRD: In 
den USA konzentriert sich die citizen participation vor- 
nehmlich auf slum-clearing-Projekte, also auf die Sa- 
nierungsprobleme großer amerikanischer Städte. Diese 
Art der Planungsprobleme ist stark verflochten mit den 
spezifischen Ursachen inneramerikanischer Konflikte wie 
Korruption in der Bauwirtschaft, Rassismus, Bürgerrechts- 
und Armenbewegung. 
1.1 Citizen Participation Strategies (Burke) (42) 
E.M. Burke versteht citizen participation als nationalen . 
demokratischen Auftrag, der Tradition der amerikanischen 
Demokratie verpflichtet. Die Problematik der Bürgerbe- 
teiligung sei gekennzeichnet durch die Diskrepanz der 
geforderten Konkretion des Bürgerrechts auf Mitbestim- 
mung einerseits und andererseits durch das bislang Exper- 
ten vorbehaltene "Sachwissen'", das die kompetente 
Mitbestimmung aller Beteiligten erschwere. 
Zur Überwindung dieser Diskrepanz untersucht er aus 
seinem scheißliberalen Blickwinkel fünf citizen partici- 
ARCH+ 3 (1970) H. 9
	        

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