Full text: ARCH+ : Studienhefte für architekturbezogene Umweltforschung und -planung (1970, Jg. 3, H. 9-11)

Thomas Kuby 
ZUR GESELLSCHAFTLICHEN FUNKTION DES 
INDUSTRIAL DESIGN 
Design und Befreiung des Individuums? 
Planend und ordnend in die industrielle Produktion ein- 
zugreifen, um so zur "Verbesserung der menschlichen 
Umwelt" (ICSID-Report) beizutragen, das ist die Absicht. 
in der sich alle Richtungen des Industrial Design, von 
den Planern bis zu den "Mustermachern" zusammenfin- 
den. Gemeinsam ist ihnen die Überzeugung, daß die 
freie Entfaltung des Individuums unter den gegebenen, 
also kapitalistischen Bedingungen der industriellen Pro- 
duktion erreicht werden könne. Nur des Zugriffs des 
gestaltenden Willens bedürfe es, um mit der "unbestreit- 
baren Anarchie" (Braun-Feldweg) fertig zu werden. 
Die politische Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus 
hat im Industrial Design, bei allem sozialen Engagement 
seiner Väter, nicht stattgefunden. Abgehoben von ihren 
spezifischen gesellschaftlichen und politischen Grund- 
lagen erscheint die industrielle Produktion als neutraler, 
technischer Apparat: als das Universum des technisch 
Möglichen, innerhalb dessen die autonom gedachte, 
subjektive Intention des Designers den Fortschritt zum 
Besseren schafft. 
Nur unter diesem Gesichtspunkt, nämlich in der Frage, 
ob industrielle Produktion und Kunst vereinbar seien, 
war die industrielle Produktion dem Industrial Design je 
suspekt. Aber das ästhetische Ressentiment gegen die 
Maschine, selbst schon Ausdruck eines politisch begriff- 
losen Bewußtseins, verschwand mit ihrer Bejahung durch 
den ’ Neuen Stil’ . In Gropius’ Formel "Kunst und Tech- 
nik, eine neue Einheit" erscheint die Verknüpfung von 
Kultur und Industrie dem liberalen Bewußtsein nur noch 
als pädagogisches Problem. Als schließlich mit den ersten, 
bewußt gestalteten Industrieprodukten, mit der ersten 
glasverkleideten Fabrik der praktische Nachweis einer 
Iuftigeren Welt erbracht war, war die Frage, Industrie 
ja oder nein, für das .Design vom Tisch - und mit ihr 
jeder Anstoß zur gesellschaftspolitischen Reflexion. Denn 
was bedeutete noch länger die ’ ideologische Kritik’ an 
den Gewinnzwecken der kapitalistischen Produktion, das 
Gerede von der privaten Verfügungsgewalt über die Pro- 
dunktionsmittel, wenn doch, allen sichtbar, weder die 
private Verfügung noch die Gewinnzwecke die Produk- 
tHonsmittel daran hindern konnten, eine praktischere, 
"Thomas Kuby, geb. 1941, schloß sein Studium des 
Industrial Design an der Hochschule für Gestaltung, 
Ulm, mit einer gesellschaftspolitischen Kritik des In- 
dustrial Design ab. Aus dieser Arbeit veröffentlichen wir 
den nachfolgenden Auszug." 
bequemere und - jedenfalls nach dem Geschmack der 
oberen Mittelschicht - auch "schönere" Umwelt hervor- 
zubringen? Die von Schmutz, Düsterkeit und Plackerei 
gekennzeichneten Lebensbedingungen des Menschen, die 
als konkreter Erfahrungsgehelt hinter der Marxschen Idee 
der Entfremdung standen, schienen innerhalb der beste- 
henden Gesellschaftsordnung überwindbar. Tatsächlich 
wurden sie im Zuge der Entwicklung der Produktivkräfte 
(und nicht zuletzt unter dem Druck der Gewerkschaften) 
in weit höherem Maße überwunden, als Marx für die 
kapitalistische Gesellschaft voraussehen konnte. Daß die 
gesellschaftlichen Widersprüche und Konflikte hinter den 
neuen Erscheinungsformen fortexistierten, blieb dem In- 
dustrial Design verborgen: die rein optische Erfahrung 
einer freundlicheren Umwelt ließ Bequemlichkeit, Ge- 
Fälligkeit der Form und Menschlichkeit zu synonymen 
Begriffen werden. Noch die ständige Verfeinerung und 
künstliche Differenzierung unserer Umwelt wird vom De- 
sign heute - im festen Glauben an die Einheit von Fort- 
schritt und Profit - als Beitrag zu einer besseren, ver- 
nünftigeren Welt ausgegeben. Allerdings ist fraglich, ob 
das, was Industrial Design unter dem Anspruch der Fort- 
schrittlichkeit tut, dazu beitragen kann, dem Menschen 
die Bedingungen einer freieren, von irrationalen Zwängen 
und Aggressivität befreiteren Existenz in die Hand zu 
geben. 
Die Frage kann nur gesellschaftspolitisch beantwortet 
werden. Dazu ist es nötig, die Funktionsstellen des In- 
dustrial Design innerhalb der herrschenden Gesellschafts- 
ordnung zu bestimmen. 
Erscheinung als Gebrauchswert 
Die Gewinnzwecke der kapitalistischen Produktion ver- 
langen, daß die erzeugten Waren nach dem jeweiligen 
Stand der Produktivkräfte technisch und wirtschaftlich 
herstellbar und nach den Anforderungen des Marktes ge- 
winnbringend absetzbar sind. Um aber absetzbar zu sein 
müssen sich die Gewinninteressen des Kapitals mit den 
Gebrauchswertbedürfnissen der Menschen vermitteln. 
Durch die antagonistischen Interessen des Marktes selbst 
gespalten in technische Produktgestaltung einerseits, 
ARCH+ 3 (1970) H. 9
	        

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