Thomas Kuby
ZUR GESELLSCHAFTLICHEN FUNKTION DES
INDUSTRIAL DESIGN
Design und Befreiung des Individuums?
Planend und ordnend in die industrielle Produktion ein-
zugreifen, um so zur "Verbesserung der menschlichen
Umwelt" (ICSID-Report) beizutragen, das ist die Absicht.
in der sich alle Richtungen des Industrial Design, von
den Planern bis zu den "Mustermachern" zusammenfin-
den. Gemeinsam ist ihnen die Überzeugung, daß die
freie Entfaltung des Individuums unter den gegebenen,
also kapitalistischen Bedingungen der industriellen Pro-
duktion erreicht werden könne. Nur des Zugriffs des
gestaltenden Willens bedürfe es, um mit der "unbestreit-
baren Anarchie" (Braun-Feldweg) fertig zu werden.
Die politische Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus
hat im Industrial Design, bei allem sozialen Engagement
seiner Väter, nicht stattgefunden. Abgehoben von ihren
spezifischen gesellschaftlichen und politischen Grund-
lagen erscheint die industrielle Produktion als neutraler,
technischer Apparat: als das Universum des technisch
Möglichen, innerhalb dessen die autonom gedachte,
subjektive Intention des Designers den Fortschritt zum
Besseren schafft.
Nur unter diesem Gesichtspunkt, nämlich in der Frage,
ob industrielle Produktion und Kunst vereinbar seien,
war die industrielle Produktion dem Industrial Design je
suspekt. Aber das ästhetische Ressentiment gegen die
Maschine, selbst schon Ausdruck eines politisch begriff-
losen Bewußtseins, verschwand mit ihrer Bejahung durch
den ’ Neuen Stil’ . In Gropius’ Formel "Kunst und Tech-
nik, eine neue Einheit" erscheint die Verknüpfung von
Kultur und Industrie dem liberalen Bewußtsein nur noch
als pädagogisches Problem. Als schließlich mit den ersten,
bewußt gestalteten Industrieprodukten, mit der ersten
glasverkleideten Fabrik der praktische Nachweis einer
Iuftigeren Welt erbracht war, war die Frage, Industrie
ja oder nein, für das .Design vom Tisch - und mit ihr
jeder Anstoß zur gesellschaftspolitischen Reflexion. Denn
was bedeutete noch länger die ’ ideologische Kritik’ an
den Gewinnzwecken der kapitalistischen Produktion, das
Gerede von der privaten Verfügungsgewalt über die Pro-
dunktionsmittel, wenn doch, allen sichtbar, weder die
private Verfügung noch die Gewinnzwecke die Produk-
tHonsmittel daran hindern konnten, eine praktischere,
"Thomas Kuby, geb. 1941, schloß sein Studium des
Industrial Design an der Hochschule für Gestaltung,
Ulm, mit einer gesellschaftspolitischen Kritik des In-
dustrial Design ab. Aus dieser Arbeit veröffentlichen wir
den nachfolgenden Auszug."
bequemere und - jedenfalls nach dem Geschmack der
oberen Mittelschicht - auch "schönere" Umwelt hervor-
zubringen? Die von Schmutz, Düsterkeit und Plackerei
gekennzeichneten Lebensbedingungen des Menschen, die
als konkreter Erfahrungsgehelt hinter der Marxschen Idee
der Entfremdung standen, schienen innerhalb der beste-
henden Gesellschaftsordnung überwindbar. Tatsächlich
wurden sie im Zuge der Entwicklung der Produktivkräfte
(und nicht zuletzt unter dem Druck der Gewerkschaften)
in weit höherem Maße überwunden, als Marx für die
kapitalistische Gesellschaft voraussehen konnte. Daß die
gesellschaftlichen Widersprüche und Konflikte hinter den
neuen Erscheinungsformen fortexistierten, blieb dem In-
dustrial Design verborgen: die rein optische Erfahrung
einer freundlicheren Umwelt ließ Bequemlichkeit, Ge-
Fälligkeit der Form und Menschlichkeit zu synonymen
Begriffen werden. Noch die ständige Verfeinerung und
künstliche Differenzierung unserer Umwelt wird vom De-
sign heute - im festen Glauben an die Einheit von Fort-
schritt und Profit - als Beitrag zu einer besseren, ver-
nünftigeren Welt ausgegeben. Allerdings ist fraglich, ob
das, was Industrial Design unter dem Anspruch der Fort-
schrittlichkeit tut, dazu beitragen kann, dem Menschen
die Bedingungen einer freieren, von irrationalen Zwängen
und Aggressivität befreiteren Existenz in die Hand zu
geben.
Die Frage kann nur gesellschaftspolitisch beantwortet
werden. Dazu ist es nötig, die Funktionsstellen des In-
dustrial Design innerhalb der herrschenden Gesellschafts-
ordnung zu bestimmen.
Erscheinung als Gebrauchswert
Die Gewinnzwecke der kapitalistischen Produktion ver-
langen, daß die erzeugten Waren nach dem jeweiligen
Stand der Produktivkräfte technisch und wirtschaftlich
herstellbar und nach den Anforderungen des Marktes ge-
winnbringend absetzbar sind. Um aber absetzbar zu sein
müssen sich die Gewinninteressen des Kapitals mit den
Gebrauchswertbedürfnissen der Menschen vermitteln.
Durch die antagonistischen Interessen des Marktes selbst
gespalten in technische Produktgestaltung einerseits,
ARCH+ 3 (1970) H. 9