Full text: ARCH+ : Studienhefte für architekturbezogene Umweltforschung und -planung (1970, Jg. 3, H. 9-11)

mente für eine möglichst rationale Wirtschaftsplanung 
zu entwickeln. Für eine Wirtschaftsplanung, deren 
wichtigste Aufgabe die Sicherung der Profite der Herr- 
schenden ist. Grundlage für diese Funktion ist ebenfalls 
die wertfreie Diskussionsebene, aber auch die Bildung 
mathematisch exakt formulierter Modelle. 
Die ersten Ansätze dazu, die für die kapitalistische 
Wirtschaft in ihrer Abstraktheit allerdings noch kaum 
praktikabel waren, schuf um die Jahrhundertwende 
Walras mit seinem Gleichgewichtstheorem. Dennoch 
bildeten die algebraischen Gleichungen seines Modells 
eine wesentliche Grundlage für die spätkapitalistische 
Wirtschaftsplanung. 
2. Wirtschaftliches Gleichgewicht 
Walras geht aus von einem Begriff des gesellschaftli- 
chen Reichtums, unter dem er "die Gesamtheit aller 
materiellen oder immateriellen Güter, die knapp, das 
heißt nützlich, aber nicht verfügbar, also nur in be- 
grenzter Menge vorhanden sind" (5) versteht. Über 
diese Güter verfügen die ’gleichberechtigten Wirt- 
schaftssubjekte’, die sich nach den Kapitalien, über 
die sie verfügen, in drei Klassen unterteilen (andere 
Autoren sprechen nicht von Kapitalien, sondern von 
Produktionsfaktoren): nämlich in Grundbesitzer, denen 
der Boden gehört, in Arbeiter, deren Arbeitskraft ihr 
"persönliches Kapital’ darstellt, und in Kapitalisten 
"im engeren Sinne’, die eben über Kapital verfügen. 
Die Herkunft und die Verteilung dieser Ressourcen der 
Wirtschaftssubjekte haben originären Charakter, sie 
werden als naturhaft gegeben angesehen. Da jedes 
Wirtschaftssubjekt über mindestens eines der unterschie- 
denen Kapitalien verfügt, ist ein Prinzip der Gleich- 
heit gegeben, das für den Austausch dieser Kapitalien 
einen Markt unter vollkommenen Wettbewerbsbedin- 
gungen strukturiert. 
In diesen vorausgesetzten Wettbewerbsmarkt bringt je- 
des Wirtschaftssubjekt seine ebenfalls als unveränder- 
lich vorausgesetzten Präferenzen ein, die es seinem 
Einkommen entsprechend optimal auf diesem Markt zu 
befriedigen sucht. 
Diese Bedingungen: Wettbewerbsmarkt, gegebene 
Ressourcen, gegebene Präferenzen, sowie ausserdem 
noch eine gegebene und gleichbleibende Produktions- 
technik strukturieren einen im Gleichgewicht befind- 
lichen Wirtschaftskreislauf. Das Walras’sche Gesetz be- 
sagt nun, daß in diesem Gleichgewicht der Wert des 
gesamten Angebots gleich dem Wert der gesamten 
Nachfrage sei. Sind die Ausgangsbedingungen erfüllt, 
so lassen sich Mengen und Preise sämtlicher produzier- 
ter und getauschter Güter bestimmen. 
Besondere Probleme ergeben sich aus der Zielneutrali- 
tät des Walras’schen Modells. Da sich die Wirtschaft 
danach schon von Natur aus in einem Gleichgewichts- 
zustand befindet, taucht weder die Frage nach den 
Zielen, noch nach dem Nutzen der Wirtschaftstätig- 
keit auf. 
Die generelle Praxisferne aller Gleichgewichtstheorien 
wird deutlich in ihrem Festhalten an einem vollkom- 
menen Wettbewerbsmarkt, dem auch schon, als sie 
entwickelt wurden, in der Wirtschaftswirklichkeit 
längst das Oligopol gegenüberstand. Diese Tatsache 
setzte der Anwendbarkeit der klar und mathematisch 
exakt formulierten Gleichgewichtstheorien von Anfang 
an enge Grenzen. Ihrer Anwendung blieb praktisch nur 
der mikroökonomische Bereich, sie schafft noch kein 
Instrumentarium für die Planung imorganisierten Kapita- 
lismus. 
Ein weiteres wesentliches Hemmnis für eine Anwendung 
auf makroökonomische Planungen bildet die Annahme 
der gegebenen Quantität und Qualität der Ressourcen, 
sowie die der gegebenen Produktionstechnik. Diese An- 
nahmen beschränken die Aussagekraft der auf ihnen auf- 
bauenden Modelle auf sehr kurze Planungszeiträume . 
Die tatsächliche Weiterentwicklung der Produktions- 
techniken und die Zunahme und Verbesserung der Aus- 
gangsressourcen wurde von diesen statischen Theorien 
geradezu negiert. Deshalb ist es ihnen unmöglich, Aus- 
sagen zu machen über die wesentlichen Probleme der 
kapitalistischen Wirtschaftsentwicklung, über Krisen und 
Zyklen. Sie reduzieren die dynamische Wirtschaftsent- 
wicklung auf einen sich ad infinitum selbst reproduzie- 
renden statischen Kreislauf. Diese Theorien fallen da- 
mit weit hinter die schon vor ihnen von Marx formu- 
lierten Erkenntnisse über die erweiterte Reproduktion 
zurück . 
3. Wohlfahrtsökonomie 
Das oben angeführte Problem der Zielneutralität stellen 
die Utilitaristen und die Wohlfahrtsökonomen in den 
Mittelpunkt ihrer Überlegungen. Sie fragen nach einer 
eindeutig definierbaren Grösse, an deren Veränderung 
das Funktionieren eines jeweiligen gesamtgesellschaft- 
lichen Systems sich ablesen läßt, sowie der Erfolg 
oder Mißerfolg einer wirtschaftlichen Massnahme sich 
messen läßt. 
Die Utilitaristen gehen dabei von identischen Nutzen- 
vorstellungen der einzelnen Individuen aus, die sich 
entsprechend summieren und so auch ein gesamtgesell- 
schaftliches Optimum relativ leicht erkennen lassen. 
Im Gegensatz dazu schreiben die Wohlfahrtsökonomen 
der Pareto-Schule den einzelnen Individuen unter- 
schiedliche Nutzenvorstellungen zu, die dann auch 
nicht kardinal, sondern nur ordinal begriffen werden 
können, also nicht in absoluten Werten, sondern ledig-- 
lich in Präferenzskalen. 
Einen optimalen Wirtschaftszustand bei unterschiedlichen 
Präferenzen zu erkennen ist jedoch ohne ein besonders 
definiertes Kriterium nicht möglich. Erst ein solches 
Kriterium läßt Vergleiche zu über verschiedene Wirt- 
schaftszustände und ermöglicht damit die Auswahl unter- 
schiedlicher Planungsmaßnahmen . 
Die Bedeutung dieser Erkenntnisse für die Wirtschafts- 
planung und damit für die Planung überhaupt ist aus- 
serordentlich. Gleichzeitig birgt eine solche vom ge- 
sellschaftlichen Bezugsrahmen losgelöste Art der Kri- 
terienbildung alle Gefahren technokratischer Willkür, 
denn in sie gehen genau nur die klassenspezifischen 
Präferenzen dessen ein, der die Präferenzskalen auf- 
stellt. 
Pareto definierte ein solches Kriterium für die optimale 
Verfassung eines Wirtschaftszustandes als vektorielles 
Maximum, indem er eine Kombination von nicht ver- 
gleichbaren Grössen dann für optimal erklärte, wenn 
es unmöglich ist, eine dieser Grössen zu vergrössern, 
ohne eine andere zu verkleinern. 
ARCH+3 (1970) H, 10
	        

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