Hinsichtlich der Produktion bedeutet das, daß sie effek-
tiv ist, wenn es unmöglich ist, die Produktion eines
Gutes zu steigern, ohne die eines anderen zu senken;
für den Konsum, daß die Kombination von individuel-
len Präferenzen und verfügbaren Gütern optimal ist,
wenn die Position eines Subjektes zu verbessern unmög-
lich ist, ohne die Position eines anderen zu verschlech-
tern.
Daraus folgt, daß in einem optimalen ökonomischen
System ein Gleichgewicht bestehen muß zwischen den
technischen Produktionsbedingungen und den psycholo-
gischen Präferenzstrukturen der Konsumenten.
Das Gleichbleiben dieser Präferenzstruktur als Voraus-
setzung der Vergleichbarkeit wirtschaftlicher Situationen
ist der problematische Punkt des Pareto-Kriteriums,
denn die individuellen Präferenzen sind abhängig von
der ursprünglichen Verteilung der Ressourcen unter die
”gleichberechtigten Wirtschafissubjekte’. Diese Aus-
gangsresourcen definieren die Chancen des Einzelnen,
auf dem vorausgesetzten Wettbewerbsmarkt sich den ihm
zustehenden Anteil am gesellschaftlichen Gesamtpro-
dukt, sein Einkommen, zu sichern.
"(Es kann aber) nicht die Rede davon sein ..., daß
diese drei Klassen (nämlich: Grundbesitzer, Kapitali-
sten und Arbeiter) unter gleichen Bedingungen auf dem
Markt verhandeln. Die Würfel sind falsch. Die Spiel-
regeln sind so, daß die eine Klasse ... souverän die
Bedingungen stellt, während die andere Klasse (das
Proletariat) akzeptieren muß, was man ihr anbietet."
(6)
Diese in der Realität zwingenden Ausgangsbedingungen
lassen die in der Theorie dargestellte Chancengleich-
heit geradezu als Zynismus erscheinen. Dazu kommt
noch, daß die einmal gegebene Ressourcenverteilung
durch den Wettbewerbsmechanismus nicht einmal zu
einer Perpetuierung der Ausgangsverhältnisse, sondern
zwangsläufig zu einer Verschärfung des Ungleichge-
wichts in der Einkommensverteilung führt. Das für die
bürgerliche Ökonomie symptomatische Ausklammern
sozialer Bezüge wird bei Pareto besonders offensicht-
lich. Er begreift die Verteilungsprobleme als grund-
sätzlich von wirtschaftlichen Entscheidungen unabhän-
gig und verweist diese Probleme an die allein dazu
berufenen Politiker. Er schuf damit die ökonomischen
Grundlagen zu einer elitären Gesellschaftstheorie, auf
der in besonderem Masse der Faschismus, aber auch vie-
le Apologeten der pluralistischen parlamentarischen
Demokratie fussen. (7)
4. Kompensationskriterien
Wesentliche Ergänzung fand das Paretokriterium durch
das Prinzip der Kompensation’, das darin besteht,
denjenigen, deren Position durch eine wirtschaftliche
Massnahme verschlechtert wurde, eine Entschädigung
zu zahlen aus den Ressourcen, die anderen aus der-
selben Massnahme zusätzlich entstanden sind. Behalten
letztere trotzdem einen Überschuss, so ist eine Ver-
besserung des gesamten Wirtschaftssystems erreicht.
Da jedoch nicht die Verteilung, sondern nur das ge-
samtgesellschaftliche Optimum interessiert, reicht es
nach der Definition der Kompensatoren zu einer Ver-
besserung des Ausgangszustandes aus, wenn die Mittel
für eine mögliche Entschädigung vorhanden sind - für
deren tatsächliche Durchführung selbstverständlich
politische’ Kriterien massgeblich sind.
Wie bei Pareto garantiert auch bei diesen Wohlfahrts-
Skonomen allein der vollkommene Wettbewerbsmarkt
optimale Wirtschaftszustände, daher müssen alle ande-
ren Marktformen, wie Monopol und Oligopol oder
sonstwie unvollkommener Wettbewerb durch wirtschafts-
politische Massnahmen in diesen vollkommenen Zustand
gebracht werden, der einigen nützt und keinem scha-
det. Diese Massnahmen setzen ebenso wie die oben
angesprochenen Umverteilungen - falls diese tatsäch-
lich politisch opportun erscheinen sollten - eine
rationale Wirtschaftsplanung voraus.
Ausführungsorgan einer solchen Wirtschaftsplanung ist
der von den Wohlfahrtsökonomen definierte Welfare
State’, der als oberster Verteiler des Sozialproduktes
den Klassenausgleich und das Funktionieren des Mark-
tes erreichen soll.
"Die staatliche Garantie des Profits und die zunehmen-
de Verschmelzung der Monopole mit dem Staat ver-
leiht den Staatsaufträgen und den öffentlichen Investi-
tionen eine fundamentale Bedeutung für die Aufrecht-
erhaltung eines normalen Wirtschaftslebens ... Aber
gleichzeitig ist der Dirigismus von der Art des
’Welfare State” immer weniger in der Lage, starke
wirtschaftliche Rezessionen durch begrenzte staatliche
Investitionen zu vermeiden; und grössere Investitionen
lassen sich nur im Rahmen der Rüstungs- und der
Kriegswirtschaft durchführen. Das aber bedeutet, daß
zwischen der Wirtschaft des ’Welfare State’ und der
des Faschismus keine unüberwindbare Schranke be-
steht." (8)
5. Subjektive Werttheorie
Die Indifferenz der Wohlfahrtsökonomie gegenüber der
Verteilung des Sozialprodukts entlarvt sie als Herr-
schaftsinstrument der Bourgeoisie und macht ihren
Namen für die Beherrschten zum Euphemismus.
Gleichzeitig ist diese Indifferenz Ergebnis des Ver-
harrens der Wohlfahrtsökonomie auf der subjektiven
Werttheorie der Grenznutzenschule, das es ihr unmög-
lich macht, die individuellen Nutzenkategorien anders
als gegeben anzusehen.
Diese subjektive Werttheorie steht im krassen Gegen-
satz zur marxistischen, die die Nutzenvorstellungen
als Variable begreift, die auch als subjektive Nutzen-
vorstellungen bestimmt sind von den objektiven Mög-
lichkeiten des jeweiligen, Entwicklungsstandes der
Produktionsmittel und der Verfügungsgewalt über die
Produkte, kurz: bestimmt sind von den jeweiligen ge-
sellschaftlichen Verhältnissen.
Auf der Werttheorie der Grenznutzenschule basiert
auch die Argumentation des Mittelstandes in seiner
Gegnerschaft zum geplanten Kapitalismus und zur
Planwirtschaft insgesamt. Diese Argumentation in ihrem
erfolglosen Kampf gegen die immer deutlicher werden-
de Vormachtstellung der Monopole, sieht einzig in
der Restaurierung eines Wettbewerbsmarktes eine Chance
zum Zeitgewinn für ihre untergehende Klasse. Auf ihr
baut sich die ganze Ideologie des Neoliberalismus
auf mit seiner Politik, die Staatsintervention zugun-
sten des Mittelstandes, nämlich durch Kartellgesetze
und Unterstützungen Marktdysfunktionalitäten auszu-
gleichen, fordert. Die staatliche Planung soll sich
ARCH+3 (1970) H. 10