Full text: ARCH+ : Studienhefte für architekturbezogene Umweltforschung und -planung (1970, Jg. 3, H. 9-11)

Hinsichtlich der Produktion bedeutet das, daß sie effek- 
tiv ist, wenn es unmöglich ist, die Produktion eines 
Gutes zu steigern, ohne die eines anderen zu senken; 
für den Konsum, daß die Kombination von individuel- 
len Präferenzen und verfügbaren Gütern optimal ist, 
wenn die Position eines Subjektes zu verbessern unmög- 
lich ist, ohne die Position eines anderen zu verschlech- 
tern. 
Daraus folgt, daß in einem optimalen ökonomischen 
System ein Gleichgewicht bestehen muß zwischen den 
technischen Produktionsbedingungen und den psycholo- 
gischen Präferenzstrukturen der Konsumenten. 
Das Gleichbleiben dieser Präferenzstruktur als Voraus- 
setzung der Vergleichbarkeit wirtschaftlicher Situationen 
ist der problematische Punkt des Pareto-Kriteriums, 
denn die individuellen Präferenzen sind abhängig von 
der ursprünglichen Verteilung der Ressourcen unter die 
”gleichberechtigten Wirtschafissubjekte’. Diese Aus- 
gangsresourcen definieren die Chancen des Einzelnen, 
auf dem vorausgesetzten Wettbewerbsmarkt sich den ihm 
zustehenden Anteil am gesellschaftlichen Gesamtpro- 
dukt, sein Einkommen, zu sichern. 
"(Es kann aber) nicht die Rede davon sein ..., daß 
diese drei Klassen (nämlich: Grundbesitzer, Kapitali- 
sten und Arbeiter) unter gleichen Bedingungen auf dem 
Markt verhandeln. Die Würfel sind falsch. Die Spiel- 
regeln sind so, daß die eine Klasse ... souverän die 
Bedingungen stellt, während die andere Klasse (das 
Proletariat) akzeptieren muß, was man ihr anbietet." 
(6) 
Diese in der Realität zwingenden Ausgangsbedingungen 
lassen die in der Theorie dargestellte Chancengleich- 
heit geradezu als Zynismus erscheinen. Dazu kommt 
noch, daß die einmal gegebene Ressourcenverteilung 
durch den Wettbewerbsmechanismus nicht einmal zu 
einer Perpetuierung der Ausgangsverhältnisse, sondern 
zwangsläufig zu einer Verschärfung des Ungleichge- 
wichts in der Einkommensverteilung führt. Das für die 
bürgerliche Ökonomie symptomatische Ausklammern 
sozialer Bezüge wird bei Pareto besonders offensicht- 
lich. Er begreift die Verteilungsprobleme als grund- 
sätzlich von wirtschaftlichen Entscheidungen unabhän- 
gig und verweist diese Probleme an die allein dazu 
berufenen Politiker. Er schuf damit die ökonomischen 
Grundlagen zu einer elitären Gesellschaftstheorie, auf 
der in besonderem Masse der Faschismus, aber auch vie- 
le Apologeten der pluralistischen parlamentarischen 
Demokratie fussen. (7) 
4. Kompensationskriterien 
Wesentliche Ergänzung fand das Paretokriterium durch 
das Prinzip der Kompensation’, das darin besteht, 
denjenigen, deren Position durch eine wirtschaftliche 
Massnahme verschlechtert wurde, eine Entschädigung 
zu zahlen aus den Ressourcen, die anderen aus der- 
selben Massnahme zusätzlich entstanden sind. Behalten 
letztere trotzdem einen Überschuss, so ist eine Ver- 
besserung des gesamten Wirtschaftssystems erreicht. 
Da jedoch nicht die Verteilung, sondern nur das ge- 
samtgesellschaftliche Optimum interessiert, reicht es 
nach der Definition der Kompensatoren zu einer Ver- 
besserung des Ausgangszustandes aus, wenn die Mittel 
für eine mögliche Entschädigung vorhanden sind - für 
deren tatsächliche Durchführung selbstverständlich 
politische’ Kriterien massgeblich sind. 
Wie bei Pareto garantiert auch bei diesen Wohlfahrts- 
Skonomen allein der vollkommene Wettbewerbsmarkt 
optimale Wirtschaftszustände, daher müssen alle ande- 
ren Marktformen, wie Monopol und Oligopol oder 
sonstwie unvollkommener Wettbewerb durch wirtschafts- 
politische Massnahmen in diesen vollkommenen Zustand 
gebracht werden, der einigen nützt und keinem scha- 
det. Diese Massnahmen setzen ebenso wie die oben 
angesprochenen Umverteilungen - falls diese tatsäch- 
lich politisch opportun erscheinen sollten - eine 
rationale Wirtschaftsplanung voraus. 
Ausführungsorgan einer solchen Wirtschaftsplanung ist 
der von den Wohlfahrtsökonomen definierte Welfare 
State’, der als oberster Verteiler des Sozialproduktes 
den Klassenausgleich und das Funktionieren des Mark- 
tes erreichen soll. 
"Die staatliche Garantie des Profits und die zunehmen- 
de Verschmelzung der Monopole mit dem Staat ver- 
leiht den Staatsaufträgen und den öffentlichen Investi- 
tionen eine fundamentale Bedeutung für die Aufrecht- 
erhaltung eines normalen Wirtschaftslebens ... Aber 
gleichzeitig ist der Dirigismus von der Art des 
’Welfare State” immer weniger in der Lage, starke 
wirtschaftliche Rezessionen durch begrenzte staatliche 
Investitionen zu vermeiden; und grössere Investitionen 
lassen sich nur im Rahmen der Rüstungs- und der 
Kriegswirtschaft durchführen. Das aber bedeutet, daß 
zwischen der Wirtschaft des ’Welfare State’ und der 
des Faschismus keine unüberwindbare Schranke be- 
steht." (8) 
5. Subjektive Werttheorie 
Die Indifferenz der Wohlfahrtsökonomie gegenüber der 
Verteilung des Sozialprodukts entlarvt sie als Herr- 
schaftsinstrument der Bourgeoisie und macht ihren 
Namen für die Beherrschten zum Euphemismus. 
Gleichzeitig ist diese Indifferenz Ergebnis des Ver- 
harrens der Wohlfahrtsökonomie auf der subjektiven 
Werttheorie der Grenznutzenschule, das es ihr unmög- 
lich macht, die individuellen Nutzenkategorien anders 
als gegeben anzusehen. 
Diese subjektive Werttheorie steht im krassen Gegen- 
satz zur marxistischen, die die Nutzenvorstellungen 
als Variable begreift, die auch als subjektive Nutzen- 
vorstellungen bestimmt sind von den objektiven Mög- 
lichkeiten des jeweiligen, Entwicklungsstandes der 
Produktionsmittel und der Verfügungsgewalt über die 
Produkte, kurz: bestimmt sind von den jeweiligen ge- 
sellschaftlichen Verhältnissen. 
Auf der Werttheorie der Grenznutzenschule basiert 
auch die Argumentation des Mittelstandes in seiner 
Gegnerschaft zum geplanten Kapitalismus und zur 
Planwirtschaft insgesamt. Diese Argumentation in ihrem 
erfolglosen Kampf gegen die immer deutlicher werden- 
de Vormachtstellung der Monopole, sieht einzig in 
der Restaurierung eines Wettbewerbsmarktes eine Chance 
zum Zeitgewinn für ihre untergehende Klasse. Auf ihr 
baut sich die ganze Ideologie des Neoliberalismus 
auf mit seiner Politik, die Staatsintervention zugun- 
sten des Mittelstandes, nämlich durch Kartellgesetze 
und Unterstützungen Marktdysfunktionalitäten auszu- 
gleichen, fordert. Die staatliche Planung soll sich 
ARCH+3 (1970) H. 10
	        

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