Full text: ARCH+ : Studienhefte für Planungspraxis und Planungstheorie (1972, Jg. 4, H. 15-16)

Umorientierung der Kriegs-Maschinenbauproduktion 
auf landwirtschaftliches Gerät und Exportmaschinen 
(8); letzteres - die Enteignung des Großgrundbesitzes - 
ist notwendige Voraussetzung, um die Bauern für den 
sozialistischen Weg zu gewinnen. Es ist das kleinbäuer- 
liche Bewußtsein, das die Phase des isolierten Arbeits- 
kräfteeinsatzes unterhalb der gesellschaftlichen Durch- 
schnittsproduktivität vor den Übergang in die Kollekti- 
vierung setzt. 
Der Aufbau einer nationalen Wirtschaft war von der 
Notwendigkeit äußerster Sparsamkeit getragen: "So 
betrug der Zerstórungsgrad der Industrie ... 45 %, 
wührend er in den Westzonen nur 20 % ausmachte. 70 % 
der Betriebe des Maschinenbaus waren von Kriegsein- 
wirkungen betroffen und 30 % aller Energieanlagen 
total vernichtet ... Die Industrieproduktion war 1945 
auf etwa 277 % des Vorkriegsstandes von 1936 abgesun- 
ken" (9). 
Der hohe Zerstörungsgrad wie auch die Abdrosselung 
des Interzonenhandels 1948 verursachten extreme Knapp- 
heit an Energie, Rohstoffen und Arbeitsmaschinen. Die 
Unbeweglichkeit der Arbeitskrüfte und der Mangel so- 
wohl an nutzbarer Bausubstanz wie an Baustoffen taten 
das ihre dazu. 
Die der Notdurft gehorchende spontane Nutzung der be- 
stehenden Substanz war die erste notwendige Reaktion. 
Auch das erste Aufstellen von Wirtschaftsplänen 1946 | 
für jeweils ein Vierteljahr unter der Kontrolle der SMAD- 
in denen die mengenmiBige Produktion und die Material- 
versorgung festgelegt wurden, mußten vom überhaupt 
Nutzbaren ausgehen (10). 
Aus der vollkommen neuen Organisation der nationalen 
und internationalen Arbeitsteilung aber ergab sich von 
Anfang an die Notwendigkeit, den Begriff Sparsam- 
keit in umfassenderen Zusammenhängen zu sehen. 
Sie war nicht die einfache Verwertung aller bestehenden 
strukturellen Elemente wie Transportwege, Produktions- 
einheiten und Siedlungsschwerpunkte. Ganz im Gegenteil 
konnte Sparsamkeit nur volle Entfaltung der Überlegen- 
heit der sozialistischen Produktionsverhältnisse zur 
Durchsetzung der auf die Fernziele gerichteten Perspek- 
tiven sein. Die Beseitigung aller Hindernisse, die aus 
der kapitalistischen Produktionsorganisation herrührten, 
war die eine Forderung: die Neuorientierung auf eine 
internationale Arbeitsteilung zwischen Ländern, die 
untereinander durch das gemeinsame Ziel, dem Sozia- 
lismus im Weltmaßstab zum Sieg zu verhelfen, konkur- 
renzlos verbunden waren, die andere Forderung. 
A. 4 Das Erfordernis, eine den neuen politischen Ver- 
hältnissen adäquate materielle Struktur zu schaffen 
Zunächst mag es müßig erscheinen, die Verwirklichung 
der organisatorischen Form des demokratischen Zentralis- 
mus in irgendeinem Zusammenhang mit der materiellen 
Struktur des Landes zu sehen. Da aber die Disproportio- 
nen der monopolkapitalistischen materiell-strukturellen 
Organisation auch von der Konzentration der Admini- 
stration und der politischen Macht geprägt sind, scheint 
uns die Frage nach ihrer politischen Aufhebung sogar 
Sowjetische Militäradministration (SMAD) 
von erstrangiger Bedeutung. Dabei geht es keinesfalls 
um den Nachweis, daß sich der demokratische Zentra- 
lismus erst dann entwickeln kann, wenn alle materiellen 
Vorbedingungen geschaffen sind. Diese Frage verbietet 
sich, weil mit dem Sturz der alten Machtverhältnisse 
die Arbeiterklasse gerade die Aufgabe der radikalen Um- 
gestaltung der Produktionsverhältnisse hat, was auch 
heißt, die entsprechenden materiellen Bedingungen auf 
allen Ebenen zu schaffen. Es kann hier also nur darum 
gehen, die schrittweise Umformung der materiellen 
Strukturverhältnisse nachzuvollziehen und danach zu 
fragen, ob die Umwälzung dieser Strukturen weniger 
radikal geschehen kann als der politisch-organisatori- 
Sche Neuaufbau. 
Es liegt nahe, die Frage rein abstrakt zu stellen - 
etwa: wie muß die Gebietsstruktur einer nach dem de- 
mokratischen Zentralismus organisierten Gesellschaft 
mit hochentwickelten Produktivkräften aussehen? Nur 
führt diese Frage zu nichts, da wir es mit einer realen 
Gesellschaft zu tun haben, die sich zurecht als histo- 
risch legitimiert ansieht und die bestmögliche Weiter- 
entwicklung ihrer historischen Voraussetzungen an- 
strebt. 
Aus dem angerissenen Problem ergeben sich mit Vor- 
rang drei Fragen, die bei allen im folgenden behandel- 
ten materiellen Erscheinungsformen gestellt werden 
müssen: 
1. Welches sind die charakteristischen Merkmale der 
ererbten materiellen Gegebenheiten, die sich auf 
dem Gebiet der DDR noch auswirken? 
Wie bestimmt sich in der Phase äußerster ökonomi- 
scher Beschränkung der gesellschaftliche Wert der 
kapitalistischen Produktions- u. Reproduktionsan- 
lagen und ihrer Verflechtungen? 
3 Wie beeinflußt die Arbeiterklasse als bestimmende 
gesellschaftliche Kraft die Umwälzung dieser Grund- 
struktur? 
A. 5 Das Postulat der Beseitigung des Stadt/Land- 
Gegensatzes 
Anhand der Eingliederung der Arbeitskräfte zeigte sich 
schon, daß auch nach 1949 - dem Geburtsjahr der 
DDR - der Gegensatz zwischen Stadt und Land, zwi- 
schen Mehrwert akkumulierenden wachsenden und wirt- 
schaftlich regressiven. Gebieten wiedererstand. Da dies 
eindeutig auf die erschwerten, aus der kapitalistischen 
Vergangenheit herrührenden Voraussetzungen zurück- 
zuführen ist, müssen wir vom "Fortbestehen des 
Stadt/Land-Gegensatzes unter Planverhültnissen' in 
dieser Phase ausgehen. 
Die Überwindung des Widerspruchs zwischen Stadt und 
Land ist im Gegenteil eine der grundlegenden Erforder- 
nisse der DDR: die Anhebung der Produktivität auf dem 
Lande verbunden mit der Mobilisierung der ländlichen 
Bevölkerung für die industrielle Produktion steht und 
fällt mit der Überwindung der Rückschrittlichkeit auf 
dem Dorfe. Die Kausalzusammenhünge zwischen un- 
entwickelten Produktivkräften und zurückgebliebenem 
Bewußtsein, von doppelter Ausbeutung durch Stadt und 
Großgrundbesitz und existentieller Hörigkeit sind ein 
Erbe, das nur im gezielten, schonungslosen Kampf zu 
ARCH+ 15 (1971-3)
	        

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