Full text: ARCH+ : Studienhefte für Planungspraxis und Planungstheorie (1972, Jg. 4, H. 15-16)

EDITORIAL 
(Was heißt "fortschrittlich" in Bezug auf 
Planungstheorie und Planungsmethode) 
ms 
Wo die Zusammenstellung von Themenheften nicht mög- 
lich ist, sind wir bestrebt, bestimmte Themen durch meh- 
rere Hefte hindurch zu verfolgen. Im letzteren Fall ist es, 
um Kontinuität zu gewährleisten, notwendig, die jeweils 
verfolgte Linie immer wieder aufzunehmen und kritisch zu 
reflektieren. Insofern bietet diese Alternative auch einen 
Vorteil gegenüber Themenheften. In diesem Zusammen- 
hang spielt von den bisherigen Heften vor allem das Edi- 
torial von Heft 11 eine Rolle, da dort zum ersten Mal ein 
Programm für Archt vorgestellt wurde. Wie wir in unserm 
Brief in Heft 13/14 die Frage der Demokratisierung der 
Planung herausgegriffen und die Linie von Arch diesbe- 
züglich zu korrigieren versucht haben, so wollen wir im 
Hinblick auf die Beitráge von Heft 15, die den damals 
skizzierten Themenbereichen (1) und (3): "Praxisorientier - 
te fortschrittliche Technologie und Planungstheorie" und 
"Die Entwicklung von Planung und Technologie im Kapi- 
talismus" zuzuordnen würen, auf die Bestimmung dieser 
Themenbereiche in zwei Punkten eingehen. 
Weniger wichtig ist der Punkt der Verwendung des Begriffs 
der Technologie. Er ist als Begriffskategorie, nämlich als 
Begriff einer Wissenschaft, in der Kopplung mit dem Attri- 
but "fortschrittlich" nicht richtig, da eine Wissenschaft , 
prozessual aufgefasst, zwar Fortschritte macht, nicht aber 
per se fortschrittlich oder rückschrittlich genannt werden 
kann. Auch unabhángig davon, zur Beschreibung des The- 
menbereichs von Arch+, ist der Begriff der Technologie, 
ebenso wie der der Technik, ungeeignet, da weniger 
adáquat als der Begriff der Planungswissenschaft bzw. der 
Planung. Innerhalb der Planungswissenschaft würe der 
Planungstheorie die Planungsmethode an die Seite zu stel - 
len. 
Der hauptsächlich zu behandelnde Punkt ist der Begriff 
des Fortschritts bzw. die Klärung, was das Attribut "fort- 
schrittlich" im Bezug auf Planungstheorie und Planungs- 
methode bedeutet. 
Der Begriff des Fortschritts ist zunächst auf die gesamte 
gesellschaftlich-historische Entwicklung bezogen - so 
wurde er in der frühbürgerlichen Aufklarung entwickelt - 
und meint ganz allgemein eine Hoherentwicklung der 
menschlichen Gesellschaft. War für die Aufklarung in die- 
sem Zusammenhang der Begriff der Rationalität richtungs- 
gebend, der die verstandesmüssige Durchdringung der ge- 
selIschaftlichen Beziehungen beinhaltete, so musste vom 
Standpunkt des dialektischen Materialismus der Begriff des 
Fortschritts allgemeiner gefasst werden, nämlich im Sinne 
einer allseitigen Entwicklung der Gattung Mensch, Seine 
konstituierenden Momente sind Rationalisierung und De- 
mokratisierung: Ermöglicht die Rationalisierung (zu unter- 
scheiden vom Begriff der Rationalität im Sinn der Aufklä- 
rung) den zunehmend zweckdienlichen Einsatz der (verfüg- 
baren) Mittel, so ist Demokratisierung, die zunehmend ge- 
meinsame und bewusste Setzung von Zielen, erforderlich, 
damit immer weniger die Ziele einer Minderheit der Masse 
schaden, und damit die Masse sich in der gemeinsamen und 
bewussten Setzung von Zielen zunehmend selbst verwirkli- 
chen kann. 
Da sich die gesellschaftliche Entwicklung und mit ihr der 
Fortschritt dialektisch, nämlich in Schritten und Sprüngen 
vollzieht, ist bei der Beurteilung der Fortschrittlichkeit 
eines Schritts neben der quantitativen Veränderung einzu- 
schliessen sein vorwärtsdrängendes Moment, welches über 
das Aufbrechen, Entwickeln und Aufheben von Widersprü- 
chen, also durch den Sprung, schliesslich als qualitative 
Veränderung sich auswirkt. Eine besondere Rolle unter den 
Schritten der gesellschaftlichen Entwicklung spielen die 
Schritte der Entwicklung der Produktivkrifte, da durch sie 
nicht irgendein Widerspruch, sondern der Grundwiderspruch 
einer Gesellschaftsformation aufbricht bzw. sich entwickelt. 
und dessen Aufhebung die Ablösung der bestehenden durch 
eine hóhere Gesellschaftsformation bedeutet. Dieser Grund- 
widerspruch ist der Widerspruch zwischen den Produktiv- 
kräften und den Produktionsverhältnissen. Er ergibt sich 
daraus, dass die Entwicklung der Produktivkräfte, obwohl 
sie gemdss der bestehenden Produktionsverhiltnisse gesieu- 
ert wird, einmal ihnen gegenüber ein selbständiges Moment 
gewinnt, und zwar deshalb, weil sie sich nicht auf eine 
vollständig kontrollierbare, rein instrumentelle Tätigkeit 
reduzieren lässt, vielmehr der eigenen kreativen Momente . 
der Einsicht und des Einfalls bedarf (die ihrerseits auf der 
jeweiligen Erfahrung sowie dem Zufall beruhen), zum an- 
dern, infolge ihres kumulativen Effekts der Übernahme der 
Erfahrung von Generation zu Generation, immer weiter 
voranschreitet, während die Produktionsverhältnisse von 
relativ statischem Charakter sind. Entwickelt sich dieser 
Widerspruch trotz der Fesseln, zu denen die überlebten 
Produktionsverhültnisse für die voranschreitende Entwick- 
lung der Produktivkrüfte zunehmend werden, weiter - wird 
er weiter entwickelt - so ist er schliesslich nur dadurch 
aufzuheben, dass die Produktionsverhältnisse umgewülzt 
und den weit voranentwickelten Produktivkraften angepasst 
werden, d.h. dadurch, dass der Versuch gemacht wird, 
die Produktionsverhültnisse mit dem Charakter der Produktiv- 
kräfte in Übereinstimmung zu bringen. 
(Die Aufhebung der Klassengesellschaft - der auf dem Klas- 
sengegensatz begründeten GeslIschaft - ist nicht maglich 
auf der Grundlage des Widerspruchs innerhalb der kapita- 
listischen Produktionsverhältnisse, also des Widerspruchs 
zwischen der Kapitalistenklasse und der Arbeiterklasse, 
ARCH+ 15 (1971-3)
	        

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