EDITORIAL
(Was heißt "fortschrittlich" in Bezug auf
Planungstheorie und Planungsmethode)
ms
Wo die Zusammenstellung von Themenheften nicht mög-
lich ist, sind wir bestrebt, bestimmte Themen durch meh-
rere Hefte hindurch zu verfolgen. Im letzteren Fall ist es,
um Kontinuität zu gewährleisten, notwendig, die jeweils
verfolgte Linie immer wieder aufzunehmen und kritisch zu
reflektieren. Insofern bietet diese Alternative auch einen
Vorteil gegenüber Themenheften. In diesem Zusammen-
hang spielt von den bisherigen Heften vor allem das Edi-
torial von Heft 11 eine Rolle, da dort zum ersten Mal ein
Programm für Archt vorgestellt wurde. Wie wir in unserm
Brief in Heft 13/14 die Frage der Demokratisierung der
Planung herausgegriffen und die Linie von Arch diesbe-
züglich zu korrigieren versucht haben, so wollen wir im
Hinblick auf die Beitráge von Heft 15, die den damals
skizzierten Themenbereichen (1) und (3): "Praxisorientier -
te fortschrittliche Technologie und Planungstheorie" und
"Die Entwicklung von Planung und Technologie im Kapi-
talismus" zuzuordnen würen, auf die Bestimmung dieser
Themenbereiche in zwei Punkten eingehen.
Weniger wichtig ist der Punkt der Verwendung des Begriffs
der Technologie. Er ist als Begriffskategorie, nämlich als
Begriff einer Wissenschaft, in der Kopplung mit dem Attri-
but "fortschrittlich" nicht richtig, da eine Wissenschaft ,
prozessual aufgefasst, zwar Fortschritte macht, nicht aber
per se fortschrittlich oder rückschrittlich genannt werden
kann. Auch unabhángig davon, zur Beschreibung des The-
menbereichs von Arch+, ist der Begriff der Technologie,
ebenso wie der der Technik, ungeeignet, da weniger
adáquat als der Begriff der Planungswissenschaft bzw. der
Planung. Innerhalb der Planungswissenschaft würe der
Planungstheorie die Planungsmethode an die Seite zu stel -
len.
Der hauptsächlich zu behandelnde Punkt ist der Begriff
des Fortschritts bzw. die Klärung, was das Attribut "fort-
schrittlich" im Bezug auf Planungstheorie und Planungs-
methode bedeutet.
Der Begriff des Fortschritts ist zunächst auf die gesamte
gesellschaftlich-historische Entwicklung bezogen - so
wurde er in der frühbürgerlichen Aufklarung entwickelt -
und meint ganz allgemein eine Hoherentwicklung der
menschlichen Gesellschaft. War für die Aufklarung in die-
sem Zusammenhang der Begriff der Rationalität richtungs-
gebend, der die verstandesmüssige Durchdringung der ge-
selIschaftlichen Beziehungen beinhaltete, so musste vom
Standpunkt des dialektischen Materialismus der Begriff des
Fortschritts allgemeiner gefasst werden, nämlich im Sinne
einer allseitigen Entwicklung der Gattung Mensch, Seine
konstituierenden Momente sind Rationalisierung und De-
mokratisierung: Ermöglicht die Rationalisierung (zu unter-
scheiden vom Begriff der Rationalität im Sinn der Aufklä-
rung) den zunehmend zweckdienlichen Einsatz der (verfüg-
baren) Mittel, so ist Demokratisierung, die zunehmend ge-
meinsame und bewusste Setzung von Zielen, erforderlich,
damit immer weniger die Ziele einer Minderheit der Masse
schaden, und damit die Masse sich in der gemeinsamen und
bewussten Setzung von Zielen zunehmend selbst verwirkli-
chen kann.
Da sich die gesellschaftliche Entwicklung und mit ihr der
Fortschritt dialektisch, nämlich in Schritten und Sprüngen
vollzieht, ist bei der Beurteilung der Fortschrittlichkeit
eines Schritts neben der quantitativen Veränderung einzu-
schliessen sein vorwärtsdrängendes Moment, welches über
das Aufbrechen, Entwickeln und Aufheben von Widersprü-
chen, also durch den Sprung, schliesslich als qualitative
Veränderung sich auswirkt. Eine besondere Rolle unter den
Schritten der gesellschaftlichen Entwicklung spielen die
Schritte der Entwicklung der Produktivkrifte, da durch sie
nicht irgendein Widerspruch, sondern der Grundwiderspruch
einer Gesellschaftsformation aufbricht bzw. sich entwickelt.
und dessen Aufhebung die Ablösung der bestehenden durch
eine hóhere Gesellschaftsformation bedeutet. Dieser Grund-
widerspruch ist der Widerspruch zwischen den Produktiv-
kräften und den Produktionsverhältnissen. Er ergibt sich
daraus, dass die Entwicklung der Produktivkräfte, obwohl
sie gemdss der bestehenden Produktionsverhiltnisse gesieu-
ert wird, einmal ihnen gegenüber ein selbständiges Moment
gewinnt, und zwar deshalb, weil sie sich nicht auf eine
vollständig kontrollierbare, rein instrumentelle Tätigkeit
reduzieren lässt, vielmehr der eigenen kreativen Momente .
der Einsicht und des Einfalls bedarf (die ihrerseits auf der
jeweiligen Erfahrung sowie dem Zufall beruhen), zum an-
dern, infolge ihres kumulativen Effekts der Übernahme der
Erfahrung von Generation zu Generation, immer weiter
voranschreitet, während die Produktionsverhältnisse von
relativ statischem Charakter sind. Entwickelt sich dieser
Widerspruch trotz der Fesseln, zu denen die überlebten
Produktionsverhültnisse für die voranschreitende Entwick-
lung der Produktivkrüfte zunehmend werden, weiter - wird
er weiter entwickelt - so ist er schliesslich nur dadurch
aufzuheben, dass die Produktionsverhältnisse umgewülzt
und den weit voranentwickelten Produktivkraften angepasst
werden, d.h. dadurch, dass der Versuch gemacht wird,
die Produktionsverhültnisse mit dem Charakter der Produktiv-
kräfte in Übereinstimmung zu bringen.
(Die Aufhebung der Klassengesellschaft - der auf dem Klas-
sengegensatz begründeten GeslIschaft - ist nicht maglich
auf der Grundlage des Widerspruchs innerhalb der kapita-
listischen Produktionsverhältnisse, also des Widerspruchs
zwischen der Kapitalistenklasse und der Arbeiterklasse,
ARCH+ 15 (1971-3)