Hier wird ein für die weitere Problementwicklung ent-
scheidender Widerspruch deutlich, der zwischen zu-
nehmender Aufgabenfülle der unteren Ebene, also for-
maler Dezentralisierung der Ausgaben und der Zentrali-
sierung der Einnahmen, Entsprechend dezentralisiert
sich die staatliche Verschuldung, wie Abb. 8 zeigt.
Verschuldung der einzelnen staatlichen Ebenen in der BRD”)
in Milliarden DM
Jahr Bund Länder | Gemeinden Insgesamt
1953
1956
1959
1962
1965
1966
1961
1968
1969
10,8
22,8
25,6
33,9
41,2
44,6
53,1
57,9
571
16,2
15,8
15,2
14,2
17,0
19,5
24,0
26,3
25 8
2,0
5,2
9,1
15,5
25,7
29,3
31,8
34,1
36
29,0
43,8
49,9
63,6
83,9
93,4
108,9
118,3
119.5
+) Ohne Verschuldurg bei anderen Gebietskörperschaften
Quellen: Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.
Statistisches Bundesamt, Wiesbaden), Stuttgart-Mainz, Jahrgänge
1954, 1957, 1960, 1963, 1966-1970
Tab. aus: H. Hóhne, Der Staatshaushalt der BRD
Soweit zu einigen quantitativen Aspekten staatlicher
Sekundärverteilung. Ausgehend von der Funktion des
staatlichen Gesamthaushalts, nicht nur für langfristige
gesellschaftliche Aufgaben, sondern auch kurzfristige
Manipulation des Zyklus möchten wir jetzt aufzeigen,
wie im Zusammenhang von Konjunktur-, Struktur- und
Infrastruktursteuerung im System angelegte ökonomi-
sche Widersprüche - zunächst als scheinbar nur poli-
tische - sichtbar werden. Dies mag erhellen, wie Poli-
tik und Ökonomie hier vermittelt sind.
ABB. ©
In dem Maße, wie sich staatliche Steuerung ausbreitet,
um die verknócherten Formen bestehender Produktions-
verhältnisse zu korsettieren, wüchst zugleich die
Euphorie der Initiatoren, die glauben, bruchlos beste-
hende Verhältnisse per Reform entzeitlich verlängern
zu können.
Dabei gilt es jedoch darauf hinzuweisen, daß der Kapi-
talismus eine widersprüchliche Einheit ist, und
wie wir zeigten, ein Strukturwandel der Wirklichkeits-
formen nicht mit der Veränderung der wichtigsten Be-
stimmungsmomente selbst zu verwechseln ist,
Die Widersprüchlichkeit der Konjunktursteuerung
Die Erweiterung staatlichen Handlungsspielraums ist
der objektiven Verengung ihrer Basis konfrontiert. Mit
der Monopolisierung, dem relativen Mangel an neuen
Investitionsfeldern steigt zugleich die Kapitalisierung
der Extraprofite. Bei steigender Selbstfinanzierung
werden bestimmte Monopolgruppen zunehmend unabhüngig
vom Kreditmarkt. Zugleich eróffnet sich mit der Inter-
nationalisierung der Kapitalmürkte die Móglichkeit re-
lativ ungehinderten Transfers. Damit ist die Wirksam-
keit einer Kreditpolitik, die über Erhóhung oder Senkung
des Mindestreservesatzes oder eine Variierung der
Diskontsätze unternehmerische Entscheidungen zu be-
einflussen versucht, in ibrer Wirkung schwankend und
ungleich auf die verschiedenen Wirtschaftsbereiche.
AuBerdem ist das Mittel antizyklischer Kreditpolitik
bei fehlenden "Reinigungscharakter'' der Krise ohnehin
von nur geringer Wirkung. So hatte die stark expansive
Geld- und Kreditpolitik im 2. Halbjahr 1967 keine un-
mittelbare Ankurbelung der Investitionen zur Folge.
Das Angebot an Geldkapital überstieg die Nachfrage,ohne
daB die Unternehmen diese iiberschiissigen Kapitale
50
aufnahmen.
Bei Selbstbeschränkung staatlicher Steuerung auf den
Zirkulationsbereich wird damit die Einnahmen- und
Ausgabenpolitik des Staates selbst von zunehmender
Bedeutung und hier ist eine der Grundlagen für das
mögliche Konfligieren von Krisenvermeidungs- und
Infrastrukturpolitik bereits angelegt.
Kapitalistische Produktionsverhältnisse lassen nicht
zu, den auch in der 67/68er Krise aufgebrochenen Wi-
derspruch von Produktion und Konsumtion durch Um-
verteilungsmaßnahmen entgegenzutreten. Sogenannte
Sozialausgaben, so wird argumentiert, sind kein Mittel,
um in der Krise die Nachfrage anzukurbeln, da sie spä-
ter kaum mehr rückgängig zu machen sind. Überhaupt
gilt, daß die Möglichkeiten der Verteilung begrenzt
sind durch die Erfordernisse der Produktion, Distri-
bution von Produktion abhängig. Als durch Stabilitäts-
gesetz und MIFRIFI legalisierte Maßnahmen bleiben
die Politik der Kontraktion und Extraktion der Haushal-
te. Ein expansiver Haushalt, in dem durch staatlichen
"Kaufkraftersatz" die Krise überwunden werden soll
(so z.B. durch Bauinvestitionen im Verkehrsbereich),
hat, da einem Mehr an Nachfrage gleichviel oder weni-
ger Angebot zur Verfügung steht, grundsätzlich inflatio-
nüren Effekt. Krisenvermeidung wird erkauft durch den
Preis potentieller Krisenverschürfung. Ist Inflation im
Inland noch auf die Masse der Lohnabhängigen abzuwäl-
zen, so verschlechtert sie langfristig - gerade bei einer
exportorientierten Industrie wie in der BRD - die
Konkurrenzfähigkeit auf dem internationalen Markt.
Wird nun an die Stelle konsumsteigender Investitionen
die Ausweitung des eigenen staatlichen Konsums gesetzt
(z.B. durch Ausweitung des Rüstungsetats), führt das
zu folgendem Dilemma: Die staatliche Absorption von
Produktion, bei nur geringer Erhöhung der Konsumtions-
kraft, führt zu zunehmender Profitmasse, die wiederum
nach profitabler Investition drängt. Dabei aber werden
die Arbeitskräfte zunehmend knapper und Lohnerhöhun-
gen stehen an. Der Preis des Versuchs, zunehmende
Realisierungsschwierigkeiten zu beheben, ist die zu-
nehmende Verwertungsschwierigkeit. Gerade beim Aus-
treten aus der Talsohle zeigt sich dieses Problem, wo
der Staat unter dem Imperativ der Vermeidung von
Bankrotten gerade jene Betriebe subventionieren muß,
die ohnehin die schwächsten und am wenigsten entwick-
lungsfähigen sind, für diese dann ein Anlaß, verschärft
neue Überkapazitäten anzulegen. Hat die Bundesregie-
rung wie wir sahen, einige Einflußmittel verloren, an-
dere gewonnen, so ist jedoch nicht die kurzfristige An-
kurbelung der Wirtschaft - auf Kosten eines verschürf-
ten Wiederauftauchens der Situation - das Problem.
Staatliche Handlungsunfaühigkeit beginnt mit dem Auf-
schwung und verschärft sich mit dem Boom. Läßt man
den Dingen ihren Lauf, so führt dies zur bekannten
Überhitzung, in der dann die Profitrate sinkt und dies
zum Rückgang der Investitionen und zum Sturz der Kon-
junktur führt.
Versucht man aber, die Preise zu halten einschließ-
lich der gerade im Boom bei hoher Arbeitsknappheit
kaum zu manipulierenden Preise der Ware Arbeitskraft
und geht man zu einer restriktiven Kredit- und Geld-
politik über, so sinkt die zahlungsfähige Nachfrage, es
steigt die überschüssige Kapazität. Aus dem Dilemma.
einer Entwicklung nur folgen zu können, konzipierend
ARCH+ 15 (1971-3)